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"Die Liebe ist wie das Fieber", seufzte der Romancier Stendhal. "Sie entsteht und erlischt, ohne daß der Wille daran den geringsten Anteil hat..." Diese Klage fiel dem amerikanischen Psychologen David Lykken wieder ein, als er zusammen mit seinem Kollegen Auke Tellegen dem Flug von Amors Pfeilen nachspürte: Warum entscheidet sich ein Mann für die Eine, eine Frau für den Einen? Gibt es Regeln, nach denen sie wählen? Oder verlieben sie sich im passenden Moment in den Nächstbesten, der des Weges kommt, wie unter dem Bann des Zauberkrauts aus dem Sommernachtstraum? Die Ergebnisse von Lykkens neuer großer Studie sprechen für die magische Variante und erschüttern damit viele Theorien von Psychologen, die klare Gesetzmäßigkeiten bevorzugen. Gerade hatte sich an den Fakultäten eine einheitliche Lehrmeinung durchgesetzt: Wir finden diejenigen sympathisch, die uns selbst ähneln - gleich und gleich gesellt sich gern. Die Gegenthese, der zufolge sich Gegensätze anziehen, wurde durch zahlreiche Forschungsergebnisse widerlegt. Eheleute, so steht es in den Lehrbüchern, ähneln sich in Intelligenz, Religionszugehörigkeit, Bildung, Körpergröße, Augenfarbe und dergleichen mehr. Auf den ersten Blick kommt die neue, im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Untersuchung zum gleichen Ergebnis. 3392 Ehepartner füllten Persönlichkeitstests aus, machten Angaben zu ihren Interessen und Hobbys, äußerten ihre Meinung zu kontroversen Themen. Wieder ähnelten sich die Verheirateten. Doch die Ähnlichkeiten waren eher von statistischem Interesse, sie waren nur schwach ausgeprägt. Ein 300 Fragen umfassender Persönlichkeitstest bescheinigte beiden meist nur entfernt verwandte Charakterzüge. Der Mann traute sich häufig andere Fähigkeiten zu als die Frau. In ihrer Freizeit machten sie nur gelegentlich dasselbe. Wirklich gemeinsam war den Gatten außer der Ausbildungsdauer allein ihre Haltung zu hergebrachten Werten. Wenn es um Abtreibung, Verteidigung des Vaterlands oder Nachtklubs ging, herrschte weitgehend Einigkeit. Den höchsten Wert erzielten religiöse Aktivitäten. Den Kirchgang tritt das typische Ehepaar gemeinsam an - oder es bleibt einträchtig daheim. Auf insgesamt 88 Skalen ordneten die Forscher die Untersuchten ein, doch nur auf zehn erzielten die miteinander Verheirateten wenigstens einigermaßen vergleichbare Werte. Als Lykken sich frühere Studien genauer ansah, stellte er fest, daß auch sie zwar statistisch bedeutsame, aber letztlich doch nur mäßige Ähnlichkeiten an den Tag gefördert hatten - auch dort einten Religiosität und konservatives Weltbild die Paare noch am meisten. Mit so geringen Übereinstimmungen läßt sich nicht erklären, daß Heiratswillige je zueinander finden. Auch eine andere Lieblingstheorie der Psychologen verträgt sich nur schlecht mit den Ergebnissen der neuen Studie. Ihre Verfechter sehen den Heiratsmarkt als genau das, was das Wort nahelegt: eine marktwirtschaftliche Veranstaltung. Dieses in die Zeit passende, aber schon Jahrzehnte alte Jeder-bekommt-was-er-verdient-Modell (Just Deserts-Modell) postuliert, daß Männer und Frauen zunächst ihren eigenen Wert auf diesem Markt einschätzen. Dann versuchen sie, sich nicht darunter zu verkaufen, aber auch keine zu hohen Ansprüche zu stellen. "Verkaufe, wenn du kannst, du eignest dich nicht für alle Märkte", formulierte diese Strategie kühl der Menschenkenner William Shakespeare. Das Spiel von Angebot und Nachfrage führt am Ende zu Verbindungen von Teilnehmern mit vergleichbarem Marktwert. Auch nach dieser Theorie hätte Lykken also einander ähnliche Partner finden müssen. Wahrscheinlich überraschst es nur Fachleute, wenn solch unromantische Erklärungen der großen Gefühle scheitern. Die meisten anderen sehen das Wunder der Liebe gerade darin, daß sie sich nicht so einfach erklären läßt, schon gar nicht mit den Gesetzen des Basars. Hat nicht jeder Mensch ganz persönliche Vorlieben und Abneigungen, die bestimmen, wen er oder sie liebt? Nach dieser Logik müßte für jeden Mann und jede Frau eine eigene Theorie der Partnerwahl aufgestellt werden. In jeder könnten beliebig viele, immer wieder andere Neigungen kombiniert werden. Es gäbe zwar Regeln, doch in jedem Fall ganz eigene, so daß scheinbar der blinde Zufall herrschen würde. Wie könnte die Wissenschaft diese These je überprüfen? Lykken hatte wegen dieser Schwierigkeit für seine Untersuchung eine Gruppe von Menschen gewählt, die schon öfter Forscher in scheinbar aussichtsloser Lage rettete: Zwillinge. Sie sind zur gleichen Zeit und meist in derselben Umgebung aufgewachsen, eineiige haben zudem das gleiche Erbgut. Immer wieder hat sich gezeigt, wie sehr sie einander gleichen. Wenn es Regeln gibt, und seien sie noch so individuell und kompliziert, dann müßten sich Zwillingsbrüder für Frauen entscheiden, die wenigstens ein paar Gemeinsamkeiten haben. Doch trotz ihrer umfangreichen Testbatterie und der Fragebogen-Sammlung fanden die Wissenschaftler solche Gemeinsamkeiten nicht. Die Partner und Partnerinnen eines Zwillingspaars sind einander kaum ähnlicher, als es der Computer für rein zufällig kombinierte Paarungen errechnete. Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch ohne Computerstatistik. Die Wissenschaftler fragten jeden Zwilling, wie er die Auserwählte seines Doppelgängers fand, als er sie zum ersten Mal sah. Hätte er sich vielleicht selbst in sie verlieben können? Keineswegs. Fast jeder zweite fand sie nicht einmal sympathisch. Wenn es dagegen um - herzloser Vergleich - Kleidung, Möbel oder Ferienziele ging, hatten sie fast den gleichen Geschmack. Weiblichen Zwillingen erging es mit den Männern ihrer Schwestern nicht anders. Umgekehrt bestritten auch die Ehepartner des einen Zwillings, mit dem jeweils anderen Zwilling viel anfangen zu können. Gerade 13 Prozent der Männer meinten, sie hätten sich auch für die Zwillingsschwester ihrer Frau entscheiden können. Unterdrücken sie vielleicht Gefühle für die Frau ihres Zwillings? Nicht auszuschließen, aber im Licht der anderen Ergebnisse unwahrscheinlich, meint Lykken. Diese Befunde sind ein harter Schlag für viele Theoretiker der Liebe. Er trifft auch Psychoanalytiker, die überzeugt sind, die Persönlichkeit der Eltern bestimme die Partnerwahl der Kinder. Zwillinge haben ja dieselben Eltern. Lykken kommt zu einem provozierenden Schluß: Menschen verlieben sich "beinahe zufällig" ineinander und das ist auch gut so. Denn nur so konnte die Menschheit überleben. Unsere Vorfahren im Pleistozän lebten in kleinen Gruppen, die Auswahl war minimal. Doch es war extrem wichtig, daß die Eltern eines Kindes zusammen blieben. Denn menschliche Säuglinge sind außerordentlich hilflose Wesen, die Mutter allein konnte sie kaum großziehen. So wurden die Menschen die einzigen Primaten außer den Gibbons, die Paare bilden. Blinde Liebe ist das Band, das sie zusammenhält. Sie kümmert sich um kein Gesetz, ganz wie es Carmen Don José bei ihrer ersten Begegnung ankündigt und bald beweist. Auch beim nächsten Schritt folgt die biologische Theorie der Handlung der Oper. Die romantische Liebe währt nicht ewig. Nach drei oder vier Jahren, so wollen Experten herausgefunden haben, ändert sich sogar die Biochemie des Gehirns und die an sie geknüpften stürmischen Gefühle vergehen. Wenigstens das erste Kind ist nun aus dem Gröbsten raus. Am Ende dieser Zeit häufen sich in den meisten Kulturen die Trennungen. Doch viele Paare bleiben zusammen. Die Verliebtheit hat sie so lange aneinander gebunden, "bis der Kleb hält", wie Lykken sich ausdrückt. In der Zeit der Leidenschaft ist die kameradschaftliche Liebe gewachsen und sie dauert an. Die Partner haben sich aneinander angepaßt und aneinander gewöhnt, sie teilen nun viele gemeinsame Erfahrungen. Diese Bande sind stark, doch sie brauchen Zeit, um sich zu festigen. Die Theorie der Liebe, die da den Segen der Wissenschaft erhält, ist natürlich nicht ganz neu. Viele Kulturen setzen darauf, daß sich eine harmonische Beziehung schon einstellen wird, wenn nur dafür gesorgt ist, daß ein junger Mann und eine junge Frau erst einmal ein paar Jahre zusammen bleiben. Dazu wurde die Institution der Ehe erfunden. Eine Langzeitstudie verglich das Eheglück von japanischen Verheirateten in von den Eltern arrangierten Verbindungen mit dem von amerikanischen Paaren, die zumindest nach eigenen Angaben aus Liebe heirateten. Am Anfang war die Liebe der befragten amerikanischen Gatten wesentlich größer als die der japanischen. Doch zehn Jahre später gab es diesen Unterschied nicht mehr, denn die Liebe der amerikanischen Paare war stärker geschwunden als die der japanischen. Dennoch waren hier wie dort viele mit ihren Ehen durchaus zufrieden. Da im Westen arrangierte Ehen aus der Mode gekommen sind, bleibt zum Schluß ein Problem. Auch wenn die Persönlichkeit bei der Wahl des Partners offenbar keine große Rolle spielt, müssen sich Liebende doch irgendwie für einander entscheiden. Der wichtigste bekannte Faktor ist, wie lange und wie gut sie sich kennen. Das trostreiche Psychologielehrbuch von Rita Atkinson und Ko-Autoren formuliert die Lehre aus vielen Studien so: "Wenn Du nicht schön bist oder deine Bewunderung nicht erwidert wird, sei hartnäckig und bleib dran. Nähe und Vertrautheit sind deine mächtigsten Waffen." Vielleicht wird die Psychologie irgendwann noch weitere Regeln finden, nach denen Menschen sich verlieben. Bis dahin bleibt Blaise Pascal unwiderlegt. Der berühmteste Satz des Philosophen ist das Motto der Studie von Lykken: "Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt." Jochen Paulus |