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Sojaschrot statt Fischmehl
von Jochen Paulus
(Die Zeit, 26. 12.97)

So schlimm war die Dürre in Papua-Neuguinea noch nie, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Die Bewohner des Hochlands, die sich normalerweise von den Früchten ihrer eigenen Felder ernähren, haben keine Nahrung mehr. Auf der Suche nach etwas Eßbarem verlassen sie ihre Dörfer. Manche kommen nach tagelangen Märschen erschöpft bei einer Hilfsstation an. Mehrere hundert sind bereits verhungert. Wieviele Menschen nicht genug zu essen haben, läßt sich nicht genau sagen. Schätzungen reichen bis zu einer halben Million. Auch die nächste Ernte wird schlecht ausfallen, weil die Darbenden das meiste Saatgut gegessen haben.

Schuld an der Not ist wahrscheinlich El Niño. Dieses Klimaphänomen bringt alle paar Jahre das Wetter großer Teile der Erde durcheinander. Doch so stark wie in diesem Jahr war es selten. Seit März stieg im östlichen Pazifik rund um den Äquator die Temperatur des Wassers an der Oberfläche, die Passatwinde begannen, in eine andere Richtung zu blasen. Die Folgen sind Dürren in vielen Ländern, Überschwemmungen in anderen, Stürme in dritten.

Wissenschaftler addierten die Schäden, die das letzte besonders starke El Niño vor 15 Jahren anrichtete, auf 13 Milliarden Dollar. Die Launen des Klimas kosteten allein das nun abermals von Buschbränden heimgesuchte Australien 2,5 Milliarden Dollar – 2300 Häuser wurden zerstört, 350 000 Tiere kamen um, Feuer fraßen die Vegetation auf 350 000 Hektar ausgetrocknetem Land.

Vor sechs Jahren ließ El Niño im südlichen Afrika 18 Millionen Hungernde zurück, die Getreideproduktion war auf die Hälfte gesunken. Vier Millionen Tonnen Nahrungsmittel mußten importiert werden.

Auch jetzt geraten wieder Ernten Gefahr. Vor allem die Bewohner armer Gegenden müssen den Daten der Welternährungsorganisation FAO zufolge um ihre Versorgung bangen. In Mittelamerika und der Karibik werden ihrer Schätzung nach 20 Prozent weniger Getreide und Bohnen als im letzten Jahr geerntet werden.

Weil die Sardellen im warmen Pazifik nicht gedeihen, können die Fischer Perus diese Saison nur etwa halb so viele wie sonst fangen. Sie hatten El Niño einst seinen Namen gegeben - nach dem spanischen Wort für Christkind, weil das Phänomen ihnen immer wieder vor Weihnachten eine schlechte Ausbeute bescherte. Diesmal wird es Jahre dauern, bis sich die Sardellen-Bestände dort erholen, prognostiziert die FAO.

Asiatische Länder leiden, weil der Regen ausgeblieben ist. Auf den Philippinen ließ Präsident Fidel Ramos Anfang Dezember das Wasser in der Hauptstadt Manila rationieren. In Indonesien gefährdet die schlimmste Dürre seit fünfzig Jahren die Erträge von mehreren hunderttausend Hektar Reisfeldern.

Nun werden vielerorts wie einst im biblischen Ägypten magere Zeiten erwartet, wobei freilich Klimaforscher die Rolle des Propheten übernommen haben. Sie erkannten die Ankunft von El Niño diesmal so frühzeitig, daß die Verantwortlichen Gegenmaßnahmen ergreifen werden können. Im Süden Afrikas legen die Regierungen Nahrungsmittelvorräte an. "Seien wir nicht wie die Heuschrecken, seien wir wie die Termiten", mahnte ein Experte in Sambia die Bauern, "lagern wir ein, was noch übrig ist".

Im von Trockenheit geplagten Malawi fordert die Regierung zum Wassersparen auf und propagiert den Anbau von Pflanzen, die der Dürre widerstehen können, etwa Süßkartoffeln und Maniok. Die Farmer von Botsuana wiederum sind gehalten, die jüngsten Regenfälle zu nutzen. Sie sollen schnellwachsende Hirse säen, bevor El Niño auch dort zuschlägt.

Die Kubaner sind schon weiter. Ungewöhnlich früh begannen sie schon Ende November, die Zuckerrohr-Ernte einzubringen, um sie vor befürchteten Stürmen und Überschwemmungen zu retten. Auch die anderen Länder Lateinamerikas konnten laut FAO ihre Ernten rechtzeitig vor El Niño einbringen. Doch für die gerade ausgesäten neuen Pflanzen könnte es kritisch werden. Denn El Niño wird noch einige Monate anhalten.

Bei solchen Nachrichten werden Spekulanten hellhörig. Anfang Dezember stiegen die Preise für Kaffee-Kontrakte kräftig an, da die Händler schlechte Ernten in Kolumbien und Mittelamerika erwarteten. Doch auf den meisten Märkten hat sich die Aufregung schon wieder gelegt. Klaus-Dieter Schumacher vom großen Nahrungsmittel-Handelshaus Toepfer International in Hamburg kann derzeit nur in den Zeitungen eine "El Niño-Hysterie" ausmachen. An den Börsen dagegen gebe es "nur zu beobachten, daß es nichts zu beobachten gibt".

Zwar hat das hat das Ozeanphänomen El Niño die Fischmärkte durcheinander gebracht. Weil die Preise gestiegen sind, bekommen die Schweine nun statt Fischmehl Sojaschrot ins Futter – da ist die industrielle Landwirtschaft flexibel. Soja gibt es reichlich, obwohl noch vor kurzem heiße Tips kursierten, im Zeichen von El Niño auf Knappheitspreise zu setzen. Stattdessen gingen die Kurse an der großen Nahrungsmittel-Börse von Chicago in den Keller.

Die heiße Phase der Klima-Spekulation "haben wir fast schon wieder hinter uns", resümiert Schumacher. Der Agrarökonom schließt allerdings nicht aus, daß El Niño in einigen Monaten durch Dürren die Preise von Mais und Reis hochtreiben könnte. Doch bisher bekommen nur die Bewohner von weltmarktfernen Landstrichen die Folgen des bösen Christkinds zu spüren.

Das hindert Börsenjobber allerdings nicht an Überlegungen, wie sich an erhofften Katastrophen doch noch etwas verdienen ließe. Ein Analyst der US-Brokerfirma Smith Barney empfahl beispielsweise Aktien eines peruanischen Zementherstellers zum Kauf. In dessen Kassen werde ein großer Teil der 60 Millionen Dollar landen, die der Andenstaat bereitgestellt hat, um Schäden von Überschwemmungen durch El Niño wieder zu reparieren.

Anderen ist der Klimaspuk einfach zu unzuverlässig. Wer weiß schon, welche Auswirkungen er beispielsweise auf die Erdgaspreise haben wird? Von den letzten zehn El Niño-Ereignissen sorgten in den USA fünf für kältere Winter und fünf für wärmere. "Bei den Chancen geht man besser im Kasino von Atlantic City spielen", höhnte ein Experte, "da bekommt man wenigstens einen Drink umsonst."


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