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Forscher
erklären, wie Verhöre zum Ziel führen |
Respekt statt Gewalt – eine Studie über Verhöre zeigt: Sanfte Methoden kommen eher zum Ziel als rüdes Auftreten . Jochen Paulus über Verhörtechniken im Spiegel der Wissenschaft. von
Jochen Paulus Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein schlichter
deutscher Obergefreiter in den USA berühmt als Meister-Verhörer. Hanns
Scharff hatte im nationalsozialistischen Deutschland abgeschossene Piloten
der Alliierten verhört, wobei er aber Foltermethoden grundsätzlich abgelehnt
hatte. Er bevorzugte die sanfte Tour. Weil er sich jedes Mal exzellent vorbereitete,
machte er auf die Gefangenen den Eindruck, er wisse ohnehin schon alles. Und
er behandelte die Männer freundlich. Er respektierte ihren Rang, ging mit
ihnen im Wald spazieren und arrangierte kameradschaftliche Gespräche mit
deutschen Piloten. Scharff hatte sich diese Technik des Verhörens selbst
beigebracht, mit der er am Ende fast alle zum Reden brachte. "Er war
gut", urteilte die britische BBC Jahrzehnte später in einer
Dokumentation über den ehemaligen Feind, "er war sehr, sehr gut." Lassen sich Gefangene ihre Geheimnisse wirklich am
besten entlocken, wenn die Verhörer sie freundlich und mit Respekt behandeln?
Genau das behauptet nun Laurence Alison, Professor für forensische und
investigative Psychologe an der Universität Liverpool. Zusammen mit seinen
Kollegen vom "Institut für Risiko und Unsicherheit" hat er 288
Stunden Ton- und Videoaufzeichnungen von Verhören analysiert, die britische
Spezialisten mit 29 später verurteilten Terrorverdächtigen geführt hatten.
"Warum die harte Taktik versagt und ein gutes Verhältnis Ergebnisse
bringt", überschrieb Alison seine jetzt veröffentlichte Studie. Das ist bislang nicht die herrschende Meinung unter
den Verhörexperten. In weiten Teilen der Welt werden brutale Verhörmethoden
bis hin zur Folter praktiziert. Daraus könne man nur schließen, dass die
Regierungen glaubten, dass so "die Effektivität der Verhöre gesteigert
wird," wie 2006 das Intelligence Science Board, ein Beratergremium der
US-Geheimdienste, konstatierte. Aber auch die USA quälten Terrorverdächtige
mit simuliertem Ertränken und ähnlich grausamen Methoden, die
nur spitzfindige Regierungsjuristen nicht als Folter bewerteten. Psychologen und Psychiater halfen dabei, solche
Methoden auszuklügeln, und sie nahmen auch an Verhören teil. Trotzdem waren
die Praktiken nicht nur inhuman, sondern auch unwissenschaftlich.
"Obwohl allgemein angenommen wird, dass Schmerzen die
Kooperationsbereitschaft fördern", kritisierte das Intelligence Science
Board, "gibt es keine wissenschaftliche oder systematische Forschung,
die nahelegt, dass Zwang aus unwilligen Zeugen Informationen herausbekommen
kann, wird oder je hat." Natürlich haben Gefolterte in Einzelfällen
Geheimnisse verraten. Aber andere haben widerstanden, wie beispielsweise der
philippinische Widerstandskämpfer und spätere Abgeordnete Satur Ocampo.
"Er bezwang den berüchtigten Colonel Rodolfo Aguinaldo in einem Duell
der Willenskraft zwischen dem Top-Folterer des Landes und seinem führenden
Revolutionär", schrieb der amerikanische Geschichtsprofessor Alfred
McCoy von der University of Wisconsin. So wurde im Streit um Verhörmethoden bisher meist
mit Einzelfällen argumentiert. Die Studie von Alison aber präsentiert eine
systematische Analyse. Eine wissenschaftliche Überprüfung der Folter kann der
Psychologieprofessor nicht liefern, denn die britische Polizei hat ihre
Verhörmethoden nach etlichen Skandalen wegen brutaler Behandlung von
Terrorverdächtigen umgestellt. Rückfälle in frühere Praktiken sind vielleicht
nicht auszuschließen, waren aber natürlich nicht in den Aufzeichnungen
enthalten, die britische Sicherheitsbehörden den Forschern zur Verfügung
stellten. Doch es zeigte sich, dass schon milder Druck mehr schadet als
nützt. Die untersuchten Aufnahmen stammten von Verhören mit
rechtsextremen Terroristen, paramilitärischen Terroristen und internationalen
Terroristen. Die Verhörer waren 58 speziell ausgebildete Angehörige von
britischen Anti-Terror-Einheiten. Als besonders erfolgreich erwies sich eine
Vorgehensweise, wie sie normalerweise in der Suchttherapie praktiziert wird:
die motivierende Gesprächsführung. Sie setzt darauf, ein gutes Verhältnis zum
Gesprächspartner aufzubauen, um so eine kooperative Atmosphäre zu schaffen.
Die Haltung des Therapeuten oder nun eben des Verhörenden soll dabei von Respekt
und Mitgefühl getragen sein. Wie sich zeigte, kommen Vernehmer deutlich weiter,
wenn sie diesen Gesprächsstil pflegen, als wenn sie es mit rüden Methoden
versuchen: Die Terroristen verrieten mehr über ihre Pläne, Möglichkeiten und
Details geplanter Taten. Es nützt sogar, Verdächtige immer wieder an ihr
Schweigerecht zu erinnern. Sie machen dann nicht etwa mehr Gebrauch davon,
sondern weniger – wohl weil sie ihren eigenen Willen im Verhör respektiert
sehen. Fatal wirkten dagegen sarkastische und überhebliche
Haltungen, wie sie oft auch bei Fernsehkommissaren zu besichtigen sind.
Sprüche wie "Das war nicht besonders schlau, was?" oder "Rück’
schon raus Kumpel, es ist zu Deinem Besten": Solche Haltungen im Verhör
erwiesen sich in der Untersuchung als kontraproduktiv. Wenn Beamte sich dagegen insgesamt respektvoll
verhalten, schadet es hingegen nicht, wenn sie dem Vernommenen auch einmal
widersprechen oder ihn mit Beweismaterial konfrontieren. Dies muss aber
sachlich geschehen, nicht aggressiv. Dann hilft es sogar. Aber natürlich
lässt sich auch so nicht jeder Terrorist zum Reden bringen. Ideologisch
Gefestigte sagen oft einfach gar nichts. Ein aggressiver Umgang ruiniert
jedoch auch die letzte Chance, dass sich der Vernommene vielleicht noch
umstimmen lässt. "Man kann es durchaus schlimmer machen", meint
Studienautor Alison. Aber ist es moralisch, einen Gefangenen freundlich
zu behandeln, um ihm Informationen zu entlocken? Diese Frage stellte sich
schon bei Hanns Scharff, dessen Methoden durch die neue Studie wissenschaftlich
geadelt werden. "Er ist ein gerissener Teufel, der eine Nonne dazu
bringen könnte, einen Seitensprung zu gestehen", urteilte ein von ihm
vernommener Pilot im Nachhinein. Alison verteidigt die beinahe therapeutische
Vorgehensweise Scharffs: "Motivierende Gesprächsführung ist keine
Gedankenkontrolle", argumentiert er. Die offene Atmosphäre im Gespräch
mache es für einen Verdächtigen aber möglicherweise "schwerer, falsche
Angaben zu machen oder belastende Informationen zu verschweigen". Doch
"ihm bleibt die Wahl, Antworten zu geben oder sie zu verweigern".
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