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Von Super- und Pseudo-Therapeuten |
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Betroffenen, am Ende kurz hoch O-Ton 1 - Betroffene/r 1: Und da habe ich dann mal mit dem Dr. Weeß einen Termin ausgemacht,
war hier in seiner Sprechstunde. Er hat sich eine Stunde Zeit genommen für
mich. Er hat sich diese ganze Geschichte des Symptoms angehört und hat dann
ein paar Dinge gesagt, die mir so sehr nahe gingen zum einen und die mir auch
zu denken gaben. Und dann ist was ganz Eigenartiges passiert. Ich bin nach
Hause gefahren und habe dann in derselben Nacht auch nicht geschlafen, aber
dann in der darauf folgenden Nacht habe ich hervorragend geschlafen. Und dann
habe ich sieben Wochen lang hervorragend geschlafen. Sprecher: Psychotherapeuten können helfen. Ihre
Verbandsvertreter verbreiten diese Botschaft unermüdlich, und sie ist
richtig. Was sie nicht sagen: Die Unterschiede zwischen den einzelnen
Therapeuten sind riesig. Manche helfen fast immer, andere fast nie. Sprecherin: „Von Super-Therapeuten und Pseudo-Psychiatern - Wer kann bei
seelischen Problemen wirklich helfen?" Eine Sendung von Jochen
Paulus. O-Ton 2 - Betroffene/r 2: Durch meine Problematik hat mir niemand zugehört, das hat mich sehr
depressiv gestimmt. Ich bin dann zum Psychotherapeuten, da musste ich erst
mal einen OttoKatalog von Fragen ausfüllen und wurde auch ein Gerät
mitlaufen lassen. Dann habe ich erzählt und zum Schluss hat der Therapeut
dann gesagt, ja, was wollen sie überhaupt, ich verstehe sie auch nicht. Sprecher: Vor etwa fünfzig Jahren behandelten zwei Psychotherapeuten in einer
amerikanischen Einrichtung psychisch kranke Jugendliche. Einige galten als
schwere Fälle. Sie fühlten sich fast unerträglich verletzlich, ängstlich und
einsam. 1974 erschien eine Studie, die berichtete, was aus ihnen geworden
war. Die Hälfte erkrankte an Schizophrenie, einer der schwersten
Geisteskrankheiten. Doch von den Patienten des einen Therapeuten erkrankten
84 Prozent, von denen des anderen nur 27 Prozent. Diesen hatte ein Junge „Supershrink"
genannt - Superpsychiater. Als die Wissenschaftler seine Therapieerfolge
sahen, übernahmen sie diese Bezeichnung. Den anderen Therapeuten nannten
Forscher später „Pseudoshrink" - Pseudopsychiater. Von den schwer
belasteten Jungen, die er behandelt hatte, waren drei Mal mehr schizophren
geworden als bei seinem Kollegen „Mister Supershrink". So dramatisch sind die Folgen selten, aber gute
Therapeuten zu finden, ist auch sonst Glückssache. Professor Wolfgang Lutz,
Therapieforscher an der Universität Trier hat psychologische Behandlungen in
vielen Studien unter die Lupe genommen: O-Ton 3 - Wolfgang Lutz: Es gibt Therapeuten, die etwa viermal so gut abschneiden als andere,
und wir wissen aber leider nicht so richtig, warum diese Supershrinks, woran
das genau liegt. Aber es gibt die Unterschiede. Sprecher: Sie zeigten sich auch in einer US-Studie mit dem schönen Titel
„Waiting for supershrink"- Warten auf den Superpsychiater. Sie belegt,
dass manche Therapeuten keineswegs nur an extrem schweren Fällen scheitern
wie in der ersten Supershrink-Studie. Im Beratungszentrum einer Universität
wurden knapp 1800 Studentinnen und Studenten behandelt, die vor allem an
Depressionen und Ängsten litten. Manche hatten Glück und kamen zu exzellenten
Therapeuten. Die drei Spitzenkräfte brachten in nur zweieinhalb Sitzungen im
Schnitt gleich vier Symptome zum Verschwinden. Doch die drei schlechtesten
Therapeuten veränderten bestenfalls gar nichts. Der führende Therapieforscher
Professor Michael Lambert von der Brigham Young University in Utah war an der
Studie beteiligt: O-Ton 4 - Michael
Lambert: It's surprising
you know ... They actually spent more time with them than the average
therapist. Sprecher 2 (Übersetzung Lambert): Wir waren überrascht, denn unter den Therapeuten, die wir untersucht
haben, haben wir einen gefunden, dessen Patienten es im Durchschnitt
schlechter und schlechter ging. Und er hat seine Patienten sogar länger in
Behandlung gehalten als normal. Es war also nicht so, dass er sie nur einmal
gesehen und dann weggeschickt hätte. Die schlechten Therapeuten wenden sogar
mehr Zeit auf als der durchschnittliche Therapeut. Sprecher: Auch Holger Reiners hat etliche zweifelhafte Therapeuten
kennengelernt. Heute arbeitet Reiners als Architekt und Unternehmensberater,
außerdem schreibt er Bücher über die Erfahrungen von
Psychotherapie-Patienten. Er war selbst einer, denn er litt jahrelang unter
schweren Depressionen. O-Ton 5 - Holger Reiners: Ich habe nur bemerkt, dass ich plötzlich anders war. Ich habe dann
mein Abitur gemacht, angefangen auch zu studieren, aber ich war sehr,
geradezu wie gelähmt und ich war früher eigentlich immer ein fröhlicher und
gut gelaunter Mensch und danach war diese Leichtigkeit, die war dann
plötzlich weg. Sprecher: Als er dann als Student ein Referat halten sollte, fühlte er sich
dazu nicht fähig. Bald darauf gab er das Studium auf. Plötzlich konnte er
auch nicht mehr sprechen. Wenn er einkaufen ging, zeigte er im Laden auf die
Waren, die er haben wollte. Reiners stammt aus einer Hamburger
Unternehmer-Familie. Er hatte die freie Auswahl unter den vermeintlich besten
Psychologen und Psychiatern der Hansestadt. Trotzdem machte er bedenkliche
Erfahrungen. O-Ton 6 - Holger Reiners: Ich habe dann, wie das den meisten Menschen auch heute noch geht,
eine tatsächliche Odyssee hinter mich bringen müssen, vom Chefarzt einer
Uniklinik hier, dann zu seinem Nachfolger, dann zu anderen Ärzten, mit den
abenteuerlichsten Erfahrungen. Zum Beispiel hat der eine Chefarzt zu mir
gesagt, ich kam in sein Zimmer rein, er guckte einmal kurz auf und sagte nur,
mich gar nicht beachtend, sechs Wochen bei mir stationär, sonst geht gar
nichts. Und da habe ich gesagt, zu dem gehst du schon mal nicht. Sprecher: Auch von anderen Therapeuten fühlte er sich nicht
gut behandelt. Doch es gibt eben Therapeuten, die über fast magische Kräfte
zu verfügen scheinen. Manche wurden zu Legenden, oft haben sie ihre eigenen
Psychotherapieschulen gegründet. Therapieforscher kommen zu dem Schluss, dass
der Therapeut überhaupt wichtiger für den Erfolg ist als die Therapiemethode.
Bruce Wampold von der University of Wisconsin ist überzeugt, dass dessen
Einfluss fünf Mal stärker ist. Der Psychiater ist sogar dann ausschlaggebend,
wenn er gar keine regelrechte Psychotherapie macht, sondern einfach
Antidepressiva verabreicht und sich dabei ein bisschen um den Patienten
kümmert. Als Wampold eine Studie analysierte, in der entweder Medikamente
oder Placebos gegeben wurden, zeigte sich: Gute Psychiater, die Placebos
verschreiben, helfen besser als schlechte Therapeuten, die echte
Antidepressiva verordnen. Musik (neutral) kurz anspielen und
unter O-Töne von Betroffenen dazwischen und am Ende kurz hoch O-Ton 7 - Betroffene/r 3: 83, 84 war ich in einer psychosomatischen Klinik in Hofheim am
Taunus, war da sieben Monate und da hatte ich viermal in der Woche Therapie.
Gesprächstherapie. Aber jetzt im Nachhinein scheint mir das nicht besonders
glücklich, denn das war eine Ärztin, die da gerade angefangen hatte und da,
das hat noch nicht gegriffen. O-Ton 8 - Betroffene/r 3: Und dann habe ich 92 bis 95 einen sehr, sehr guten Therapeuten
gehabt. Der war in Bonn, der war Diplom-Theologe und Diplom-Psychologe. Und
das war wirklich, das war eine Verhaltenstherapie und das war ganz, ganz
hervorragend, also diesem Mann hab ich ganz enorm viel zu verdanken. Sprecher: Was macht manche Psychologen und Psychiater zu guten Therapeuten,
andere zu schlechten? Die Wissenschaft hat sich für diese Frage lange kaum
interessiert. Die Fachleute untersuchten lieber, ob nun die Psychoanalyse
oder die Verhaltenstherapie besser hilft. Oder sie erforschten, welche
Eigenschaften des Patienten gute Erfolge versprechen. Die Forscher
versuchten, in Studien möglichst standardisierte Therapeuten zu schaffen,
indem sie genaue Vorgaben für die Behandlung machten. Trotzdem zeigen sich
enorme Unterschiede. Erst seit relativ kurzer Zeit versuchen Wissenschaftler
herauszufinden, woher sie kommen. Doch ihre ersten Vermutungen gingen ins
Leere. Das Ausmaß der Lebenserfahrung scheint egal zu sein, jedenfalls macht
das Alter des Therapeuten keinen Unterschied. Und obwohl Frauen als
einfühlsamer gelten, schneiden sie in Untersuchungen nicht besser ab, sagt
die Psychologin Julia Eversmann, die sich an der Universität Osnabrück mit
Psychotherapieforschung beschäftigt hat: O-Ton 9 - Julia Eversmann: Natürlich gibt es persönliche Präferenzen, das muss jeder selbst für
sich schauen, wo er das Gefühl hat, dass er am besten aufgehoben ist in einer
Therapie, ob das ein Mann ist oder eine Frau ist. Aber laut der
Forschungsergebnisse, die wir bisher haben dazu, ist es unerheblich. Sprecher: Nicht einmal Übung macht den Meister. In einer neuen Studie der
Universität Dresden wurden die Behandlungsergebnisse von Therapeuten der
Hochschulambulanz verglichen. Die meisten befanden sich noch in der
Ausbildung und hatten weniger als 300 Stunden Therapieerfahrung. Andere waren
dagegen Profis mit Approbation. Den Patienten konnte das egal sein, die
Behandlungserfolge unterschieden sich nicht. Der amerikanische
Therapieforscher Michael Lambert kommt zu ähnlichen Resultaten: O-Ton 10 - Michael Lambert: We don't find the
experienced therapist to be ... it's rougher, slower, more uncomfortable at
times. Sprecher 2 (Übersetzung Lambert): Erfahrene Therapeuten sind nicht besser, aber sie sind schneller. Man
kommt schneller ans Ziel, und wenn man leidet, ist das sehr wichtig. Der Ritt
ist sanfter. Wenn man einen unerfahrenen Therapeuten hat, geht es rauer zu,
langsamer und manchmal ungemütlich. Sprecher: Richtig bei ihrer Ehre gepackt fühlen sich die Psychotherapeuten aber
durch Studien zum Nutzen ihrer Ausbildung. Bisher lässt sich nämlich nicht
belegen, dass das oft jahrelange Training etwas bringt. Schon 1979 ärgerte
der damals führende Therapieforscher Hans Strupp die Branche mit einem
Vergleich der Fähigkeiten von Psychotherapeuten und denen von
College-Professoren anderer Fächer. Letztere hatten keine Therapieausbildung,
sondern galten einfach als besonders einfühlsam. Beide behandelten Studenten
mit psychischen Problemen. Strupp fand keine Unterschiede bei den Erfolgen.
So ging es weiter. In der Bibel der Therapieforscher, „Bergin and Garfield's
handbook of psychotherapy and behavior Change", kommt der
Psychologie-Professor Larry Beutler von der Palo Alto University zu einem
provozierenden Schluss. Die bisherigen Befunde weckten „Zweifel an der
Behauptung, dass eine gezielte Ausbildung in Psychotherapie ... etwas mit
therapeutischen Erfolgen oder Fähigkeiten zu tun hat". Das will Julia
Eversmann dann doch nicht auf ihrem Berufsstand sitzen lassen: O-Ton 11 - Julia Eversmann: Herr Beutler ist ja durch seine provokante Art, die auch erforderlich
ist in der Forschung, bekannt. Allerdings ist seine Äußerung dahin gehend zu
verstehen, dass die bisherigen Befunde, die es zu dieser Aussage gibt, was
bringt die Ausbildung, methodisch sehr schwach sind und sehr, sehr rar sind. Sprecher: Andererseits: Wenn eine langjährige Therapieausbildung wirklich viel
nützen würde, sollte es ein Leichtes sein, das auch zu beweisen. Vielleicht
kommt es auf sie tatsächlich nicht an. In Deutschland läuft ein
unkonventioneller Großversuch zu dieser Frage, den nur leider niemand
wissenschaftlich begleitet und auswertet. Eine ganze Branche praktiziert
völlig legal Psychotherapie, obwohl ihre Mitglieder keine Therapieausbildung
nachweisen müssen. Es sind die Heilpraktiker für Psychotherapie. Sie müssen
zwar eine Prüfung beim Gesundheitsamt ablegen, doch dafür reichen ein paar
theoretische Grundkenntnisse. Die angehenden Heilpraktiker müssen vor allem
nachweisen, dass sie erkennen können, wann sie eine Störung nicht behandeln
dürfen, beispielsweise weil Medikamente nötig sind. Ansonsten lernen sie, was
ihnen selbst sinnvoll erscheint. Dass viele auf die Kenntnisse der
Heilpraktiker herabschauen, ärgert Michael Hoffmann. Der Heilpraktiker hat in
Frankfurt eine kleine Praxis und wirkt etwas verschnupft bei dem Thema: O-Ton 12 - Michael Hoffmann: Die berühmte Qualifikation von uns. Genau die werden immer so nach
dem Motto gesehen, alles, was keine staatliche Qualifikation ist, ist keine.
Infolge dem, wenn also ein Heilpraktiker für Psychotherapie sagt, ich hab'
dort die Ausbildung gemacht für den Arbeitsbereich, ich habe dort an dem
Institut NLP gelernt, ich habe an dem Institut zum Beispiel jetzt für mich
katathyme, imaginative Psychotherapie gelernt, dann ist das ja nicht
staatlich und als solches kann man natürlich sagen, solche Lehrer können nix
taugen und außerdem, die Prüfungen werden nicht kontrolliert, also ist das
auch nix wert. Sprecher: Imaginative Psychotherapie wird auch von regulären Therapeuten
eingesetzt. Dagegen gilt NLP, neurolinguistisches Programmieren, in der
Wissenschaft als höchst zweifelhaftes Verfahren. Aber vielleicht kommt es
darauf ja gar nicht an. Wenn tatsächlich der Therapeut das Entscheidende ist,
helfen Heilpraktiker womöglich genauso gut wie gründlich ausgebildete
Psychotherapeuten. O-Ton 13 - Michael Hoffmann: Wenn wir uns ganz erfolgreiche Therapeuten jetzt mal anschauen, ob
man jetzt diese Therapierichtung mag oder nicht, spielt keine Rolle. Nehmen
wir Watzlawick, Frankl, Jung, also alle, wenn ich diese Leute sehe, wenn ich
sie in alten Filmaufnahmen sehe, auffallend ist, die Persönlichkeit, die die
ausstrahlen. Und man kann von Frankls Therapiemethode halten, was man will.
Aber dieser Mann hat eine derartige Ausstrahlung, von dem geht eine
Suggestivkraft aus, die heilt schon. Der braucht überhaupt keine Methode. Und
das gilt für viele andere von diesen Leuten. Sprecher: Die Heilungsquote von Frankl wurde nie wissenschaftlich überprüft,
doch sein Charisma ist unbestritten. Wie viel sich Therapeuten ohne die
eindrucksvolle Biografie des KZ-Überlebenden Frankl davon abschauen können,
ist allerdings eine andere Frage. Und wie gut Heilpraktiker wirklich helfen,
weiß ohnehin niemand, bedauert die Therapieforscherin Julia Eversmann. O-Ton 14 - Julia Eversmann: Ich sehe das aus meiner Perspektive eher kritisch, wenn es darum
geht, schwere Störungsbilder zu behandeln, ist da sicherlich der Erfolg
meines Wissens nicht so gegeben, aber das ist jetzt eine reine Spekulation
und ich glaube, das ist etwas was es sich lohnt, ganz genau innerhalb der
Forschung sich anzuschauen. Sprecher: Immerhin zeichnen sich in der Forschung ein paar Eigenschaften ab,
die gute Therapeuten unabhängig von ihrer Ausbildung brauchen, sagt
Therapieforscher Lambert. O-Ton 15 -
Michael Lambert: Generally
therapists are not judgmental. And they're not hostile and they're not
critical and so they provide a completely different atmosphere. And they do
that regardless of the theoretical orientation. Sprecher 2
(Übersetzung Lambert): Therapeuten halten sich mit Urteilen zurück. Sie sind nicht
feindselig, sie sind nicht kritisch, sie schaffen eine völlig andere Atmosphäre.
Und das tun sie unabhängig von ihrer Therapierichtung. Sprecher: Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Längst nicht jeder kann auch
einen schwierigen Patienten warmherzig akzeptieren. Erschwerend kommt hinzu: Wenn der Patient dem Therapeuten sympathisch ist, ist es auch nicht
leicht. Denn die Beziehung darf umgekehrt auch nicht zu kuschelig werden.
Therapeuten sind keine Freunde zum Mieten, warnt die Therapieforscherin Julia
Eversmann. O-Ton 16 - Julia Eversmann: Also es kann Gefahren bergen, weil dem Therapeuten eventuell dann die
Distanz fehlt, objektiv zu beurteilen, was jetzt effektiv ist und was nicht.
Es wird häufig auch gesagt „rent a friend", also darum geht es nicht.
Sondern es geht darum, eine Arbeitsbeziehung aufzubauen, die zeitlich begrenzt
ist und, die das Ziel hat, bestimmte Probleme und Verhaltensweisen der
Patienten zu verändern und zu verbessern. Sprecher: Der Autor und Ex-Patient Holger Reiners ist sich nach jahrelangen
Therapieerfahrungen sicher, dass sich Patient und Therapeut nicht einmal
besonders sympathisch sein müssen. O-Ton 17 - Holger Reiners: Es kann auch ein sehr respektvolles Verhältnis sein, sachlich, höflich,
freundlich, dass die Grenzen gewahrt bleiben, aber dass man als Patient doch
das Gefühl hat, da ist einer an meiner Seite und nicht einer hinter mir oder
über mir, sondern der ist wirklich an meiner Seite und hat auch an einem
schnellen Behandlungserfolg Interesse und nicht an einer ewig sich
hinziehenden, zähen Dauersitzung von mehreren Jahren. Sprecher: Es gibt allerdings auch Therapeuten, die von Respekt nicht viel
halten, sondern auf Konfrontation setzen. Ein klassisches Beispiel lieferten
manche Leiter von Gruppentherapien in den 1960-er Jahren. Der inzwischen
emeritierte Therapieforscher Irvin Yalom und seine Kollegen nannten sie
„aggressive Stimulatoren". So wollte einer dieser Therapeuten eine
sanfte Gruppenteilnehmerin mit ihrer angeblichen Wut „in Kontakt
bringen", indem er sie aggressiv anging. Obendrein befand er ominös, sie
stehe „am Rand der Schizophrenie". Die Frau empfand diese Therapie als
destruktiv. Gruppenführer dieses Typs produzierten weit mehr Therapieschäden
als ihre zurückhaltenderen Kollegen, etwa Symptome von Ängsten, Depressionen
und sogar Psychosen. Heute greifen am ehesten Suchttherapeuten zur
Konfrontation, etwa wenn ein Patient seine Abhängigkeit nicht wahrhaben will.
Vor allem bei empfindlichen Patienten ist dieser Stil riskant. Kann er auch
helfen? Die Therapieforscherin Julia Eversmann: O-Ton 18 - Julia Eversmann: Ja, also es gibt tatsächlich bei der Behandlung von Alkoholikern, die
Erkenntnis, dass die Konfrontation der Patienten mit bestimmten Problemen
oder auch klaren Verhaltensverstößen beispielsweise, einen Effekt hat. Die
Frage ist natürlich, der Ton macht die Musik, wie konfrontiert man? Also man
kann auch freundlich konfrontieren und es ist wichtig, dass man als Therapeut
sich nicht in die Feindseligkeit mit reinziehen lässt, wenn beispielsweise
ein Patient eher schwierig ist in der Interaktion. Sprecher: Letztlich muss der Patient das Gefühl haben, dass er
angenommen wird, darauf besteht auch Michael Lambert. O-Ton 19 - Michael Lambert: So if a patient would dare say you don't ... But not explain and not
defend. Sprecher
2 (Übersetzung Lambert): Wenn ein Patient sich traut zu sagen: Sie sind offenbar nicht
erfreut, mich zu sehen, und das schon zum dritten Mal, ich fühle mich hier
nicht willkommen, dann ist es wichtig, dass Therapeuten das sehr ernst nehmen
und sich vielleicht sogar entschuldigen. Sie sollten nicht nach Erklärungen
suchen und sich nicht verteidigen. Musik (neutral) kurz anspielen und
unter O-Töne von Betroffenen dazwischen und am Ende kurz hoch O-Ton 20 - Betroffene/r 4: Zehn Therapeuten habe ich mindestens in der Zeit gehabt, die eben
dieses Thema nicht angefasst haben oder mich als blöd erklärt haben. Es gab
sogar einen, der gesagt hat: „Okay, ich mach' mit ihnen eine Therapie. Wenn
Sie noch einmal einen Rückfall haben, schneiden Sie sich eine Glatze." O-Ton 21 - Betroffene/r 5: War ich wieder sechs Wochen in Klinik, hat mich der Chef selbst
behandelt, also der Mann, der hat sich, ich habe fast geglaubt, ich wäre der
einzige Patient, der hat nur mich und sonst überhaupt niemand. Dabei hat der
die Klinik am Hals hängen. Sprecher: Was muss geschehen, damit mehr Therapeuten ihren Patienten besser
helfen? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Klar ist aber, dass schlechte
Therapeuten erst einmal merken müssen, dass sie schlecht sind. Aber tun sie
das? Der Psychologie-Professor Michael Märtens von der Fachhochschule
Frankfurt am Main ist ein Spezialist für die negativen Folgen von
Psychotherapie. O-Ton 22 - Michael Märtens: Also fast alle Therapeuten meinen, sie gehörten zu den 50 Prozent
guten. Dass keiner denkt, er ist eher in der unteren Hälfte der Kompetenzen,
was da die Aktion- und Interventionskompetenz anbelangt. Sprecher: Es gibt eine traditionelle Methode, die Therapeuten helfen soll, zu
bemerken, wenn etwas schief läuft: die Supervision. In ihr besprechen
Therapeuten einzelne Fälle mit Kollegen, oft besonders erfahrenen oder
speziell qualifizierten Kollegen. O-Ton 23 - Michael Märtens: Natürlich gehen Therapeuten in Supervision, aber die Frage ist,
funktioniert das? Bringt man wirklich die Fälle in die Supervision, wo man
Unterstützung braucht oder bringt man eher so die mittelprächtigen in
Supervision? Und viele kommen ja gar nicht in die Supervision. Der Fall kommt
nicht in die Supervision, viele Therapeuten haben auch längere Zeit keine
Supervision. Sprecher: Der Trierer Therapieforscher Lutz versuchte auf einem anderen Weg,
Therapeuten Rückmeldung über die Fortschritte in ihren Therapien zu geben.
Zusammen mit einer Krankenkasse startete er ein großes Projekt. Die Patienten
füllten regelmäßig Fragebögen zu ihren Beschwerden und zu ihrer Therapie aus.
Lutz und seine Kollegen fütterten die Antworten in ihren Computer. Der
meldete dem Therapeuten, ob es angesichts der Schwere des Falles angemessen
voranging. Notfalls riet er, das Vorgehen zu überdenken. Und noch etwas tat
der Computer: O-Ton 24 - Wolfgang Lutz: Da gibt's zum Beispiel auch die Risikoitems, die zurückgemeldet
werden. Und da kann durchaus auch zum Beispiel Suizidalität, und das ist
unmittelbar so, dass wenn so ein Risikoitem zurückgemeldet, wenn das vorher
nicht Thema war, das dann noch mal explizit angesprochen wurde und darüber
einfach dann entsprechende Interventionen eingeleitet wurden. Sprecher: Den Berufsverbänden der Psychotherapeuten missfiel dieser Versuch,
die Arbeit ihrer Mitglieder unter die Lupe zu nehmen. Sie machten Stimmung
gegen das Projekt. Wohl auch deshalb stieg jeder vierte der anfangs
zweihundert Therapeuten wieder aus. Die Behandelten aber haben eine ganz
andere Einstellung. O-Ton 25 - Wolfgang Lutz: Patienten finden das übrigens gut. Also wenn die gefragt werden, für
wie wichtig halten sie es, dass die Behandlungsergebnisse evaluiert werden,
sagen 80 bis 90 % in der Regel, dass sie das für sehr wichtig halten. Sprecher: Wie viel sich mit solchen Rückmeldungen am Ende erreichen lässt, ist
noch nicht klar. Die Arbeitsgruppe von Michael Lambert konnte bei ihrem
Versuch mit dieser Methode den Anteil gescheiterter Therapien halbieren. In
der deutschen Studie aber machte es für die Erfolge keinen Unterschied, ob
die Therapeuten Rückmeldungen bekommen hatten oder nicht: So oder so
erzielten 28 Prozent der Patienten keine Fortschritte und sieben Prozent ging
es hinterher sogar schlechter. Therapeuten auf den richtigen Weg zu bringen,
ist offenbar nicht einfach. Vielleicht wäre es besser, dafür zu sorgen, dass
von vornherein nur Menschen den Beruf ergreifen, die voraussichtlich gute
Therapeuten werden. Aber lässt sich das vorher feststellen? Julia Eversmann
hat es in Osnabrück versucht. O-Ton 26 - Julia Eversmann: Was wir gemacht haben ist, dass wir Ausbildungskandidaten, die sich
bei uns im Institut für die Psychotherapieausbildung beworben haben im Rahmen
einer Gruppensituation beobachtet haben, wie sie miteinander umgehen. Das ist
eine Stresssituation, es gab drei Beobachter, die sich außen vor gehalten
haben, aber die Teilnehmer beobachtet haben hinsichtlich ihrer Fähigkeit, der
Kommunikation. Wie kommunizieren sie miteinander, wie reagieren sie auf
Kritik von anderen, ist das eher eine feindselige Art und Weise, wie sie dann
zurückschießen? Sind sie gekränkt, sind sie sachbezogen, nehmen sie die
Kritik ernst? Sprecher: Die beobachtenden Experten kreuzten auf einer Liste an, wie stark sie
diese Verhaltensweisen bei den Bewerbern wahrnahmen. Außerdem ging es darum,
ob die Kandidaten eher kühl waren oder eher freundlich, ob sie auf die
Meinungen von anderen eingingen oder nicht. Wie sich die Bewerber anstellten,
spielte aber erst einmal keine Rolle. Da genügend Plätze da waren, wurden
alle ausgebildet. Doch am Ende der Ausbildung überprüfte Julia Eversmann, wer
nun ein guter Therapeut geworden war. Sie wertete die ersten Therapien der
Nachwuchskräfte aus und erkundigte sich nach dem Urteil der Ausbilder. O-Ton 27 - Julia Eversmann: Es zeigte sich tatsächlich, dass die Therapeuten, die kompetenter
waren anhand unserer Kriterien, erfolgreicher waren innerhalb der Therapien,
dass sie weniger Therapieabbrüche haben, dass sie insgesamt umgänglicher
waren, also weniger problematisch waren, dass sie von ihren Supervisoren
kompetenter eingeschätzt wurden und dass sie auch die Leistung innerhalb der
Ausbildung, was das theoretische Wissen angeht, besser absolviert haben. Sprecher: So lassen sich von vornherein geeignetere Therapeuten auswählen und
die Universität Osnabrück setzt das Verfahren heute routinemäßig ein. Das
Verfahren liefert keine so perfekten Prognosen, dass man angehende
Psychotherapeuten allein damit auswählen könnte. Auch wäre es juristisch
heikel, jemanden nur wegen seiner Persönlichkeit abzulehnen. Daher werden
auch Zeugnisse, Praktika und Fortbildungen berücksichtigt. Aber natürlich
lassen sich auch so nicht alle Ungeeigneten aussieben und bei bereits
zugelassenen Therapeuten mit zweifelhaften Fähigkeiten hilft all das ohnehin
nicht mehr. Doch die könnten sich wenigstens auf Probleme beschränken, mit
denen sie besser klarkommen. Denn eine neue Studie der Pennsylvania State
University zeigt: Ein schlechter Therapeut ist oft vor allem bei einzelnen
Problemen schlecht. Er versagt beispielsweise bei Sexualstörungen, kann aber
Depressiven gut helfen. Zumindest spezialisierte Einrichtungen sollten also
kritischer als bislang überprüfen, ob ihre Therapeuten für ihre Klientel
wirklich geeignet sind. Michael Märtens denkt da beispielsweise an
Suchtberatungsstellen. O-Ton 28 - Michael Märtens: Da kommen ganz viele Patienten hin, die Suchtprobleme haben, aber ein
Teil der Therapeuten, die da arbeiten, sind genau für die Behandlung von
Suchtproblemen ungeeignet. Sprecher: Bis jetzt unternimmt die Zunft allerdings nichts, um Therapeuten von
Patienten fernzuhalten, denen sie nicht gut helfen können. Auch die einzelnen
Therapeuten reagieren oft falsch, beklagt der ehemalige Patient und
Therapeuten-Kritiker Holger Reiners. O-Ton 29 - Holger Reiners: Da erwarte ich dann doch ein bisschen mehr Ehrlichkeit bei meinem
Therapeuten, wenn er sagt, sagen würde, passen sie auf, wir kommen irgendwie
nicht zusammen, ich komm' mit ihnen auch nicht zurecht, wir brechen die
Behandlung ab und sie suchen sich bitte jemand Anderen. Sprecher: Weil Therapeuten so etwas selten sagen, bleibt den Patienten nur,
selbst aktiv zu werden, wenn sie mit ihrem Therapeuten nicht zurechtkommen oder
keine Fortschritte bemerken. Die ersten fünf Therapiestunden gelten in
Deutschland ausdrücklich als probatorische Sitzungen. Sie sind also dafür
gedacht festzustellen, ob eine Behandlung bei einem Therapeuten sinnvoll ist.
Wenn ein Patient sogar Zweifel hat, ob sein Therapeut sich noch im Rahmen des
Erlaubten bewegt, kann er sich an die Psychotherapeutenkammer seines
Bundeslandes wenden. Dort muss man nicht gleich eine formelle Beschwerde
einreichen, sondern kann sich einfach erst einmal beraten lassen. Bislang
nutzen diese Möglichkeit allerdings nur sehr wenige Patienten. Wer angesichts
langer Wartelisten einen Therapieplatz ergattert hat, tut sich schwer, ihn
wieder aufzugeben und weiterzusuchen. Aber bei einem ungeeigneten Therapeuten
zu bleiben, hilft eben auch nicht. Musik (neutral) kurz anspielen und
unter O-Töne von Betroffenen dazwischen und am Ende kurz hoch O-Ton 30 - Betroffene 6: Ich wurde immer depressiver und phasenweise ging es mir ganz
schlecht. Was man ja sagt, soll gut sein. Aber ich habe dadurch, dass ich,
ich brauchte immer eher ein Gegenüber, da war keines da. Und das hat mir
nicht gut getan. Da habe ich zweieinhalb Jahre dieser Analyse gemacht und
dann aber abgebrochen. O-Ton 31 - Betroffener 7: Das ist die Art von Frau Dr. Schramm. Sie hat mich am Anfang immer
gefragt, wie es war. Und aufgrund meiner Depression und der dazugehörigen
Angst habe ich mich nicht getraut, zuerst zu sagen. Aber sie hat mir einfach
das Gefühl gegeben, geborgen zu sein. ******************** |