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Psychopathen
unter uns Warum
manche Menschen leicht kriminell werden |
Musik: Uhrwerk Orange (anspielen und noch unter die ersten Sätze
legen) Sprecher 1: Psychopathen kennen wir aus Filmen. Sie vergewaltigen und morden
- so wie der Gang-Chef Alex, den der Regisseur Stanley Kubrick in seinem
düsteren Meisterwerk „Uhrwerk Orange“ porträtiert hat. Alex tut ohne jegliche
Moral, was ihm gerade gefällt und verfügt doch über einen gewissen Charme,
dem man sich schwer entziehen kann. Doch Psychopathen gibt es nicht nur im
Film, sondern auch in der Realität - auch wenn deutsche Gerichtsgutachter
lieber von „dissozialen“ Tätern sprechen. So auch im Fall von Ronny Rieken,
der mehrere Mädchen vergewaltigt und getötet hat. Der Essener
Psychiatrieprofessor Norbert Leygraf hat ihn begutachtet. Obwohl Leygraf mit vielen schweren Straftätern zu tun hat,
war er doch wieder schockiert von dem erschreckendsten Merkmal der Psychopathie
– dem extremen Mangel an Mitgefühl. O-Ton: Leygraf (Take 1.) Diese Empathie-Losigkeit. Er ist nicht
nur von mir begutachtet worden, sondern auch von einer Psychologin hier, und
da habe ich ihn gefragt, ob er ein Problem damit hätte. Er sagte, Frauen
reagieren ja immer so emotional, wenn es um Kinder geht. Und da habe ich
gesagt, wissen Sie, Sie reden gerade mit einem Vater, der drei kleine Kinder
hat. Und das hat der gar nicht verstanden. Sondern sagte, na ja, als das
damals mit dem Diesterweg war – das war auch ein Täter in der Gegend, der ein
Kind umgebracht hatte – da ist meine Frau ja so abgedreht und mir ging das
fünf Meter am Arsch vorbei, wörtlich. [oc
Anfang] Zu dem Zeitpunkt hatte der
Herr Rieken schon sein erstes Tötungsdelikt hinter sich und das plappert er
so daher. [oc Ende] Sprecher: Es sind Persönlichkeitseigenschaften wie diese Kälte, die einem
Menschen zum Psychopathen machen, nicht die Vorstrafenliste. Robert Hare ist
der wohl meistzitierte Psychopathie-Forscher der Welt und bildet auch in
Bayern Justiz-Experten aus. Er beschreibt den typischen Psychopathen so: O-Ton: Hare (Take 1.) It's an individual who has a
combination of features - personality traits and behaviors including a lack
of empathy or concern for other people, sort of grandiosity thinking that I
am the most important person in the
world. Fairly impulsive individual, lacking in empathy and all emotional or
social connections to other people that is meaningful. It’s actually people
without conscience who will use other people and abuse them for their own
purposes. Sprecher 2: Voice over Hare Er vereinigt in
sich bestimmte Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensweisen - er hat ein
mangelndes Einfühlungsvermögen und er kümmert sich nicht um andere. Man
könnte fast sagen, ihn zeichnet der Größenwahn aus, der wichtigste Mensch auf
der Welt zu sein. Er ist ein ziemlich impulsives Individuum, dem jedes
Mitgefühl abgeht und dem emotionale oder soziale Verbindungen zu anderen
Menschen nichts bedeuten. Es sind tatsächlich Leute ohne Gewissen, die andere
für ihre Zwecke gebrauchen und missbrauchen. [oc Anfang] Sprecher 1: Dabei sind Psychopathen extrem schwer zu erkennen. Denn viele
verstehen es hervorragend, sich bei anderen einzuschmeicheln.
„Oberflächlichen Charme“ bescheinigte ihnen der amerikanische Psychiater
Hervey Cleckley, der 1941 mit seinem Buch „Die Maske der Gesundheit“ das
Fundament des modernen Psychopathiekonzepts gelegt hat. Psychopathen
verstehen es, Vertrauen zu erwecken. Sie sehen anderen besonders viel in die
Augen und beugen sich vertraulich zu ihnen vor. Aber an statt
vertrauenswürdig zu sein, missbrauchen sie das Vertrauen, das ihnen andere
Menschen entgegenbringen. O-Ton: Hare (Take 1.)
Most people think that everybody
else shares our feelings and our beliefs and if they don't then we can spot
and they have a great big piece stamped on their heads “psychopath”. Well it
is not so. Everybody can be sucked in, misled. I've been affected that way a
number of different times. I should've known better. I know something about
psychopathy but I've dealt with people whom I didn't understand were
psychopathic Sprecher 2: Voice over Hare Die meisten Leute
glauben, dass alle anderen ihre Gefühle und Überzeugungen teilen. Und dass
man sie andernfalls sofort erkennt, so als ob sie „Psychopath“ auf ihrer
Stirn stehen hätten. Aber so ist es eben nicht. Jeder kann hereingelegt
werden. Mir selbst ist das ein paar Mal passiert. Ich hätte es besser wissen müssen.
Ich weiß einiges über Psychopathie, aber ich habe mich auf Leute
eingelassen,ohne zu merken, dass sie Psychopathen sind. . [oc Ende] Sprecher 1: Viele Psychopathen fallen schon in ihrer Kindheit auf – lange
bevor sie beispielsweise in einer forensischen Psychiatrie wie der im
hessischen Haina landen. Der Ärztliche Direktor Rüdiger Müller-Isberner kennt
die Vorgeschichte seiner schweren Fälle. Oft quälen sie schon im
Kindergarten-Alter Tiere, schlagen schwächere Kinder und trotzen den
Erzieherinnen. O-Ton: Müller-Isberner (Take 1.) Der klassische Fall ist dann der, dass
irgendwann die Kindergärtnerin die Eltern einbestellt und sagt, dieses Kind
können wir hier nicht mehr haben, wir werden mit ihm nicht fertig. Also
bereits in einem erstaunlich frühen Alter werden Erwachsene mit solchen
Menschen nicht mehr fertig, also mit solchen Kindern, und das zieht sich
durchs Grundschulalter durch. Sprecher 1: Psychopathie ist keineswegs ein absoluter Ausnahmefall. Glaubt
man einer amerikanischen, großen Untersuchung, an der auch Robert Hare
mitwirkte, sind beispielsweise ein bis zwei Prozent aller US-Amerikaner
Psychopathen. Unter Frauen haben etliche Untersuchungen weniger Psychopathen
gefunden als unter Männern. Doch das Bild ist nicht einheitlich und womöglich
ist Psychopathie bei Frauen nur schlechter zu erkennen, weil sie sich nicht
so oft in offener Gewalt äußert. Unter verurteilten Tätern finden sich auf
jeden Fall außerordentlich viele Psychopathen. In Bayern sitzen die besonders
schweren Kriminellen, die zu Sicherungsverwahrung Verurteilten, in Straubing.
Eine Untersuchung eines Teams um Elmar Habermeyer von der Uni Zürich ergab,
dass zwanzig Prozent von ihnen Psychopathen sind ‑ also über zehnmal
mehr als in der restlichen Bevölkerung. Dazu kommen sehr viele, die auf der
Psychopathie-Skala von Robert Hare zwar noch nicht im eindeutig
psychopathischen Bereich liegen, aber doch drastisch erhöhte Werte aufweisen.
Insgesamt haben zwei Drittel der dort Eingesperrten stark psychopathische
Züge. Musik: Uhrwerk Orange Sprecher 1: Nicht nur unter Gewalttätern finden sich viele Psychopathen.
Auch Wirtschaftskriminelle gehören oft zu dieser Gruppe, meint Robert Hare –
egal, ob sie im Gefängnis sitzen oder nicht. Hare ist überzeugt, dass häufig
Psychopathen hinter den zweifelhaften Finanzgeschäften standen, die am Ende
die jüngste Wirtschaftskrise ausgelöst haben. Natürlich gab es
volkswirtschaftliche Ursachen und zu viele Möglichkeiten, gefährliche
Geschäfte zu machen. Aber es brauchte eben auch Leute, die diese Situation
ausnutzten und derartige Geschäfte machten. Sie verkauften beispielsweise zu
irrwitzigen Konditionen die inzwischen berüchtigten „subprime“-Hypotheken: O-Ton: Hare (Take 1.)
Who are these people that are
willing to take the life savings of thousands of people ‑
many of whom will end up committing suicide, become destitute, have heart
attacks and the individual is not particularly concerned about? Who are these
people? Most of them are psychopaths. Sprecher 2: Voice over
Hare Wer sind die Leute,
die gewillt sind, Tausende um ihre Ersparnisse zu bringen, von denen sich
dann viele umbringen, Herzattacken bekommen oder völlig verzweifeln? Und zwar ohne, dass es diesen Leuten
besonders nahe geht. Wer sind sie? Die meisten sind Psychopathen. Sprecher 1: Auch in vielen anderen Bereichen bietet die Geschäftswelt
Psychopathen ideale Entwicklungsmöglichkeiten, sagt Hare, heute emeritierter
Psychologie-Professor der University of British Columbia im kanadischen
Vancouver. O-Ton: Hare (Take 1.)
45 Many organizations
are looking for people of this sort. If you think of a psychopath, a risk
taker and not too concerned about hurting other people's feelings, so they
can be very callous. They will say
that I'm simply being rational and goal directed, I can make decisions very
quickly. And in fact they sometimes look as if they are the charismatic
leader that corporations actually are looking for. They want people of this sort. Sprecher 2: Voice over Hare Viele
Organisationen suchen nach solchen Leuten. Ein Psychopath geht Risiken ein,
es macht ihm nichts aus, wenn er die Gefühle von anderen verletzt und er kann
sehr kaltschnäuzig sein. Psychopathen selbst halten sich einfach für rational
und zielorientiert. Sie sagen: Ich kann schnell Entscheidungen treffen. Und
tatsächlich wirken sie manchmal wie die charismatischen Vorgesetzten, nach
denen große Firmen suchen. Sie wollen solche Leute. Sprecher 1: Normalerweise ist es natürlich unmöglich, in eine Firma zu
gehen, um dort zweifelhafte Mitarbeiter für eine Studie zu erfassen und auf
psychopathische Auffälligkeiten hin zu untersuchen. Doch ein Ko-Autor von
Hare, der Organisationspsychologe Paul Babiak, hatte die seltene Gelegenheit,
weil er viele Firmen berät. Daher konnte er 203 leitende Angestellte
interviewen, ihre Personalakten einsehen und mit den Sicherheitsleuten der
Unternehmen reden. So wurden Diagnosen möglich, die nicht nur auf
Beobachtungen beim Gespräch beruhen, sondern auch auf Einblicken in die
Vorgeschichte. Ergebnis: Statt etwa einem Prozent wie in der
Normalbevölkerung fanden sich unter den Managern sechs Prozent Psychopathen.
Robert Hare wundert es nicht, dass sie es gerade in modern geführten
Unternehmen weit bringen. O-Ton: Hare (Take 1.)
In a structured organization
where things are lockstep, where you enter, where you have to do certain
things before your get advanced, where you're evaluated by your peers and
superiors all the time, it will be very difficult for psychopaths to survive.
But as soon as you have some sort of chaotic breakdown, restructuring or
where things are moving fast and furious than the psychopaths can actually
take advantage of the situation. [oc Anfang]
They can get in and make a lot of
money and actually gain a lot of wealth and power. [oc Ende] Sprecher 2: Voice over Hare In einem
durchorganisierten Betrieb, wo alles genauestens geregelt ist, wo man
bestimmte Anforderungen erfüllen muss, bevor man befördert wird, wo man von
Kollegen und Vorgesetzten die ganze Zeit beurteilt wird, kommen Psychopathen
nur schwer durch. Aber sobald es wild durcheinander geht, ständig
restrukturiert wird, sich alles laufend ändert, kann ein Psychopath die Lage
ausnutzen. [oc Anfang] er kommt
rein, verdient viel Geld und erringt große Macht. [oc Ende] Sprecher 1: Das Erfolgsrezept der Psychopathen dürfte auch in anderen
Bereichen funktionieren, in denen Skrupellosigkeit und manipulative
Fähigkeiten von Vorteil sind, etwa in der Politik. Organisationen, die solche
Leute beschäftigen, profitieren jedoch meist nur eine Zeitlang von ihnen. O-Ton: Hare (Take 1.)
Eventually there is going to be a
falling out. They will out-manipulate one another. But having them in the
right key positions at the right time and the right place could be
advantageous. Sprecher 2: Voice over Hare Am Ende bricht
alles zusammen. Sie tricksen sich gegenseitig aus. Es kann von Vorteil sein,
sie zur rechten Zeit am rechten Ort zu haben. Aber am Ende muss jemand
bezahlen und ziemlich oft ist es die Firma oder die Organisation oder die
politische Partei. Musik: Uhrwerk Orange Sprecher 1: Während Krankheiten zumeist vor allem Einschränkungen bedeuten,
verfügen Psychopathen also durchaus über viele Fähigkeiten. Manche Fachleute
halten Psychopathie deshalb auch gar nicht für eine Krankheit, sondern für
eine besondere Lebensstrategie, mit der die Evolution manche Menschen
ausgestattet hat. In den frühen Jahren der Menschheit könnten Psychopathen
ihre Verhaltensweisen geholfen haben, sich durchzusetzen und ihre Gene
weiterzugeben, vermutet der forensische Psychiater Müller-Isberner: O-Ton: Müller-Isberner (Take 1.) Es lassen sich sehr leicht
Lebensumstände oder heute würde man sagen ökologische Nischen, vorstellen, wo
es außerordentlich überlebensfördernd war, wenn man spontan aggressiv wurde.
Nicht erst gewartet hat, bis eventuell der andere einen angreift. Wenn man
ausbeuterisch war. wenn man dafür gesorgt hat, dass man den anderen möglichst
im Herbst die Essensvorräte für den Winter weggenommen hat, bevor man sich in
seine Höhle zurück zog und Ähnliches. Das heißt, die Psychopathie, die in
unseren hoch komplexen und durchregulierten Gesellschaften natürlich etwas
extrem Störendes ist, um es mal gelinde auszudrücken, kann in früheren Phasen
der Menschheit etwas außerordentlich Überlebensförderndes gewesen sein. Sprecher 1: Psychopathen kommen ihre Talente auch heute noch allzu oft zustatten.
Eine kanadische Untersuchung bewies im Jahr 2009: Inhaftierte Psychopathen
werden mehr als doppelt so oft auf Bewährung freigelassen als andere
Strafgefangene. Dabei werden sie tatsächlich weit häufiger rückfällig. Doch
mit Charme und geschickter Verstellung schaffen sie es offenbar, den
zuständigen Entscheidungsgremien etwas vorzuspielen. In Experimenten mogeln
Psychopathen geschickter als andere. Und sie verfügen über ein hervorragendes
Gedächtnis für potenzielle Opfer. An traurige, erfolglose Frauen erinnern sie
sich besonders gut. Einige Experten können den Eigenschaften, die der Psychopathie
zugrunde liegen, aber auch positive Seiten abgewinnen. Der Heidelberger Psychologie-Professor
Peter Fiedler erläuterte seine Sicht am Rande eines Kongresses: O-Ton: Fiedler (Take 1.) Der Persönlichkeitsstil im Kern ist
sehr wertvoll. Es hängt nur ein wenig davon ab, was die Personen aus ihrem
Persönlichkeitsstil machen. Es handelt sich um Menschen, die wenig Angst
haben, und wenig Angst zu haben ist von großem Vorteil. Es handelt sich um
Menschen, die kein Risiko scheuen, die wichtige Aufgaben übernehmen können,
die andere Menschen nicht übernehmen würden, also zum Beispiel im zehnten
Stock unangeschnallt zu arbeiten oder ja, wichtige Funktionen zu übernehmen,
einen Betrieb zu leiten oder so. Sprecher 1: Die Idee, dass sich Psychopathen dank ihrer extremen
Persönlichkeit in manchen Berufen bewähren können, ist allerdings umstritten.
Als die IRA in Nordirland noch regelmäßig Bomben legte, schickte Robert Hare
einen seiner Nachwuchsforscher dorthin. Er sollte die Männer untersuchen,
deren Beruf es war, solche Bomben zu entschärfen. O-Ton: Hare (Take 1.)
Perhaps the psychopaths were
actually very good at disposing the bombs. Cause he is a risk taker, not
afraid. And of course what happened was that they were not. They either were
self-selected that is they blow themselves up because they take all sorts of
risks. But they are weeded out at the very beginning because they were
considered to be cowboys or Rambos, unreliable and untrustworthy. So they are
not very good at jobs of that sort. Sprecher 2: Voice over Hare Vielleicht ist ein
Psychopath ja sehr gut darin, Bomben zu entschärfen? Weil er risikofreudig
ist, keine Angst kennt. Aber es stellte sich natürlich heraus, dass es nicht
so ist. Psychopathen haben sich entweder selbst ausgesondert, indem sie sich
in die Luft sprengten, weil sie eben alle erdenklichen Risiken eingehen. Oder
man hat sie von vornherein nicht genommen, weil man sie für Cowboys und
Rambos hielt, für unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig. Sie sind also
nicht besonders gut in solchen Berufen. Musik: Uhrwerk Orange Sprecher 1: Was macht manche Menschen zu Psychopathen? Es gibt eine Idee,
auf die Wissenschaftler immer wieder zurückkommen: Der Kern des Problems ist,
dass Psychopathen kaum Angst empfinden können. [oc Anfang] Peter Fiedler:
O-Ton: Fiedler (Take 1.) Um diesen Mangel an Angst gruppieren
sich jetzt aber einige Möglichkeiten, wie aber auch gleichzeitig einige
Probleme. Die Probleme ergeben sich dadurch, dass Menschen, die keine Angst
haben von Kindheit an, eigentlich nicht gut in der Lage sind, so etwas wie
ein Gewissen zu bekommen oder einen Bereich, indem sie beurteilen können, ob
sie etwas schuldhaft gemacht haben oder nicht. [oc Ende] Sprecher 1: Wer keine Angst hat, fürchtet auch keine Strafe. Doch es ist
eben auch die Angst etwa vor den strengen Worten der Eltern, die ein Kind
allmählich dazu bringen, sich an Regeln zu halten. Was erlaubt ist und was
nicht, lernen wir nicht nur mit dem Kopf. Wenn alles gut geht, verbinden wir
Einsichten mit Gefühlen, die tief in uns verankert sind. Der bekannte Gehirnforscher
António Damásio von der University of Southern California hat sich viel mit
den Gefühlen hinter unseren Gedanken und unserem Verhalten beschäftigt. O-Ton: Damásio (Take 1.)
A lot of our behavior
in evolution and in ourselves is guided by emotion. Because we learn so much
of our facts in relation to either punishment or reward, in relation to
either pleasure or pain, a lot of the way in which we construct our
personality and our knowledge is conditioned by emotion. Which means that a
lot of our behavior, a lot of our choices are guided by ways in which
emotions have been tight to facts. Sprecher 2: Voice over Damásio Ein Großteil
unseres Verhaltens wird wie während der ganzen Evolution von Emotionen
gelenkt. Wir lernen viel über die Welt durch Belohnung und Bestrafung, durch
Freude und Schmerz. Emotionen steuern, wie wir unsere Persönlichkeit bilden
und unser Wissen erwerben. Ein großer Teil unseres Verhaltens, ein großer
Teil unserer Entscheidungen hängt davon ab, wie Gefühle mit Faktenwissen
verbunden wurden. Sprecher 1: Eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Angst spielt der
Mandelkern tief im Gehirn, auch Amygdala genannt. Der Schriftsteller Michael
Ondaatje nannte ihn einmal Zitator (bitte
Over-Voice-Sprecher): „„den Nervenknoten, der die Furcht beherbergt – und so alles
beherrscht“. Sprecher 1 Bei Psychopathen ist die Amygdala verkleinert, wie Gehirnbildern
zeigen. Womöglich ist dieser Unterschied angeboren – jedenfalls ist der
Mangel an Empathie, der der Psychopathie zugrunde liegt, weitgehend erblich.
Die Amygdala ist eng verbunden mit dem präfrontalen Cortex, gewissermaßen
ihrem Gegenspieler. Dieser Gehirnteil direkt hinter der Stirn sorgt mit
dafür, dass wir nicht alle unsere Impulse ohne Rücksicht auf Verluste sofort
in die Tat umsetzen. António Damásio: O-Ton: Damásio (Take 1.)
The prefrontal cortex
has many different sectors. We do know however from studies of the human
brain that when regions of the prefrontal cortex that are related to
especially the social emotions are damaged then people no longer can regulate
their decision making in a socially appropriate way. That’s a well-established fact by now. Sprecher 2: Voice over
Damásio Das Frontalhirn hat
viele unterschiedliche Bereiche. Wir wissen aber: Wenn Regionen beschädigt
werden, die mit sozialen Emotionen zusammen hängen, dann können die Menschen
Entscheidungen nicht mehr in sozial angemessener Weise treffen. Das ist
inzwischen gut belegt. Sprecher 1: Damásio hat einige Menschen untersucht, deren Frontalhirn durch
Unfälle oder Krankheiten schwer geschädigt wurde, als sie noch Kinder waren.
Ihr Verstand funktioniert einwandfrei, doch in Tests des moralischen
Urteilsvermögens antworten sie als Erwachsene so egozentrisch wie
Zehnjährige. Auch im Leben zeigen sie wenig Verantwortungsgefühl. Ein
23-jähriger beispielsweise verlor regelmäßig seine Arbeit und betätigte sich
als kleiner, schlecht planender Dieb. Er log viel und kümmerte sich nicht um
sein Kind aus einer flüchtigen Beziehung. Aber nicht nur im Aufbau, sondern auch in der Chemie des Gehirns
von Psychopathen finden Forscher Auffälligkeiten. Eine wichtige Rolle spielt
offenbar das Enzym MAOA. Es baut Nervenbotenstoffe wie Dopamin und Serotonin
ab, die auf noch nicht recht verstandene Weise mit Impulsivität und
Aggressivität zusammenhängen, und entscheidet so mit darüber, wie stark sie
wirken können. Nun gibt es eine angeborene Gen-Variante, die dazu führt, dass
wenig MAOA zur Verfügung steht. Etliche, wenn auch nicht alle Studien deuten
darauf hin, dass dies aggressiv und kriminell machen kann. Der Kriminologe
Kevin Beaver von der Florida State University ist auf eine besonders
frappierende Folge gestoßen. O-Ton: Beaver (Take 1.)
What we found is that males with
a particular variant of this gene were more likely to be gang members – about
two times more likely to be gang members than individuals who were not having
this gene variant. And they were also likely to use weapons in a fight. Sprecher 2: Voice over Beaver Männer mit einer
bestimmten Variante dieses Gens waren etwa mit der doppelten
Wahrscheinlichkeit Mitglied in einer Gang als andere, die diese Gen-Variante
nicht besitzen. Als nächstes haben wir uns nur die Gang-Mitglieder angesehen.
Es hat sich herausgestellt, dass Männer mit dieser Gen-Variante bei Kämpfen
etwa viermal so oft wie andere Waffen benutzt haben. Sprecher 1: Das heißt allerdings nicht, dass dieses Gen zwangsläufig in die
Psychopathie oder gar auf eine Verbrecherlaufbahn führen. Viele Studien
deuten vielmehr darauf hin, dass die kritische Gen-Variante vor allem bei den Menschen zum Tragen kommt und sie rücksichtslos
und aggressiv macht, die als Kinder Opfer von Missbrauch und Gewalt wurden.
Psychopathie hat wie alle psychischen Störungen mehrere Wurzeln: Eine
problematische Umwelt und eine anfällige biologische Ausstattung wirken
zusammen. O-Ton: Beaver (Take 1.)
We often times think gang
membership is a purely sociological phenomenon. And what our research shows that it is probably more of a biosocial phenomenon. What other researchers have found time and again is that this MAOA gene
is associated with a range of antisocial outcomes. Typically what prior
researchers found is that this gene interacts with a maladaptive environment
such as being abused and neglected early in life to predict violence,
aggression and other types of antisocial behaviors. Sprecher 2: Voice over Beaver Wir halten
Gang-Mitgliedschaft oft für ein rein soziologisches Phänomen. Unsere
Forschung zeigt aber, dass es wohl eher ein biosoziales Phänomen ist. Andere
Forscher haben immer wieder festgestellt: Diese MAOA-Gen-Variante hängt mit
vielen antisozialen Entwicklungen zusammen. Normalerweise, so haben Forscher
herausgefunden, gibt es eine Wechselwirkung zwischen diesem Gen und einer
ungünstigen Umwelt: wenn man zum Beispiel schon früh misshandelt und
vernachlässigt wurde, dann wird man später eher gewalttätig, aggressiv oder
auf andere Weise dissozial. Musik: Uhrwerk Orange Sprecher 1: Psychopathen zu behandeln, ist extrem schwierig. In den 60-er und
70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es in der kanadischen
Gerichtspsychiatrie Oak Ridge ein viel gelobtes Therapieprogramm, das auf der
humanistischen Philosophie Martin Bubers basierte. In bis zu 80
Behandlungsstunden pro Woche sollten die Gefangenen lernen,
verantwortungsvoll und empathisch für andere da zu sein. Tatsächlich wurden
nicht psychopathische Straftäter hinterher seltener rückfällig. Doch die
Psychopathen begingen sogar mehr neue Straftaten. Ein Grund für diesen
Fehlschlag könnte gerade darin liegen, dass Therapeuten einen eigentlich
vorbildlichen Umgang mit Menschen vorleben, meint der Psychiater Leygraf. O-Ton: Leygraf (Take 1.)
Das
gehört ja zu den Techniken dazu, dass man sehr einfühlsam versucht, sich in
den andern Menschen hinein zu versetzen und das lernen dann die Psychopathen
auch. Die entwickeln dann so einen therapeutischen Stil mit andern Menschen
umzugehen und setzen das dann bei ihren späteren Straftaten noch ein. Das
heißt, sie werden noch effektiver bei ihrer Delinquenz auf diese Art und
Weise, weil Sie noch zusätzlich die Fähigkeit entwickeln Leute für sich
einzunehmen. Sprecher 1: Dahinter liegt ein tieferes Problem. Psychopathen wollen sich
gar nicht ändern. Sie bereuen ihre Taten nicht, oder höchstens, weil sie
wegen dieser Taten im Gefängnis sitzen. Aber sie haben weder Gewissensqualen
noch den aufrichtigen Wunsch sich zu ändern, meint Robert Hare. Es fehlt der Leidensdruck: O-Ton: Hare (Take 1.)
What does the psychopath suffer
from? What is that? They don’t suffer from a lack of self-esteem. Most of
them see nothing wrong with their behavior. So why would I go for
treatments? So psychopaths will not go
for treatment unless he or she finds himself in prison and of course he has
to go through treatment to get parole.
[oc Anfang] And usually what they're
asking for is some sort of relief from prosecution by society, by the law. Sprecher 2: Voice over Hare Worunter leiden
Psychopathen denn? Sie haben keinen Mangel an Selbstvertrauen. Die meisten
sehen nichts, was an ihrem Verhalten falsch könnte. Warum sollten sie sich
also in Behandlung begeben? Also begeben sie sich nicht in Behandlung, es sei
denn, sie finden sich im Gefängnis wieder und müssen eine Therapie
absolvieren, um Bewährung zu bekommen. Gewöhnlich wollen sie nur von der
Strafe der Gesellschaft verschont werden, vom Gesetz. Sprecher 1: Bei Jugendlichen scheinen Therapieprogramme eher zu wirken. Das
Programm des Mendota Juvenile Treatment
Center im US-Bundesstaat Wisconsin senkt mit vielen therapeutischen
Angeboten und einem klaren Belohnungssystem die Rückfallquote von schwer
kriminellen, psychopathischen Jugendlichen auf zwanzig Prozent – von fünfzig
Prozent im normalen Jugendstrafvollzug, der dort vor allem auf Strafen setzt.
Doch bislang gibt es kein Programm, das erwachsene Psychopathen
nachweislich bessern könnte. In Tübingen erforscht ein Professor trotzdem,
wie sich Psychopathen vielleicht doch ändern lassen. Kaum ein deutscher
Psychologe hat so viele wissenschaftliche Auszeichnungen verliehen bekommen
wie Niels Birbaumer. Sein Arbeitszimmer hängt voller Urkunden. Er bringt
Psychopathen bei, was sie von Natur aus nur schlecht können: Angst empfinden.
Natürlich sind die Probanden dazu schon gar nicht motiviert, aber das stört
Birbaumer wenig. O-Ton: Birbaumer (Take 1.) Also alle diese Trainingsmaßnahmen, da
hilft Motivation, aber sie braucht es nicht. Das funktioniert ja bei Ratten
genauso. Die Ratte ist ja auch nicht motiviert, den Blödsinn zu lernen, den
ich ihr da beibringe. Und trotzdem lernt sie es. Und genauso kann man es beim
Menschen auch machen. Die Leute, die wir da trainiert haben im Kernspin,
diese Schwerverbrecher, die waren überhaupt nicht motiviert. Die haben das
mitgemacht, weil wir ihnen einen Haufen Geld dafür gegeben haben. Sprecher 1: Birbaumer zeigte den Teilnehmern zunächst Schock-Bilder, etwa
von abgetrennten Körperteilen, während sie in einem Magnetresonanztomografen
lagen. Gesunde Menschen reagieren auf solche Bilder mit Angst. Bei
Psychopathen dagegen zeigte das Gerät keine Regungen in den Angstzentren des
Gehirns. Aber nun wurden die Psychopathen belohnt, wenn sie es schafften,
diese Angstzentren doch zu aktivieren. O-Ton: Birbaumer (Take 1.) Und trotz alldem können sie nach
wenigen Sitzungen Blutfluss in die Areale reinbringen, die sie früher nicht
aktiviert hatten. Und das zeigt mir, dass die ihr System durch Lernen wieder
neu aktivieren können. Und damit ist die Voraussetzung für eine
Rehabilitation bei allen gegeben. Und da zeigt sich, dass die nach dem
Training Angst vor diesen Bildern kriegen. Vorher war ihnen das völlig
wurscht. Sprecher 1: Theoretisch können so trainierte Psychopathen also wie andere
Menschen Angst entwickeln, wenn sie eine Straftat erwägen, und es dann lieber
lassen. Birbaumer weiß aber wohl, dass das noch lange keine Therapie ist. Und
Robert Hare ist skeptisch, ob daraus so bald eine Therapie wird. Dabei kennt
und schätzt er Birbaumer. O-Ton: Hare (Take 1.) I will say good luck Niels, I
will check back in three or four years. I don’t think he can be very
successful. Because they are what they are. We have a fairly stable
personality, a cluster of personality traits and it is gonna be very very
difficult to change any of these things in a fundamental way. Sprecher 2: Voice over Hare Da kann ich nur sagen:
Viel Glück, Niels. In drei oder vier Jahren sprechen wir uns wieder. Ich
glaube nicht, dass er große Erfolgsaussichten hat. Denn sie sind, was sie
sind. Wir haben es mit sehr stabilen Persönlichkeitseigenschaften zu tun und
es wird sehr, sehr schwer sein, daran irgendetwas grundsätzlich zu ändern. Sprecher 1: Und was wird aus Ronny
Rieken – jenem Mädchen-Mörder der Norbert Leygraf mit seiner beiläufigen
Reaktion auf ermordete Kinder schockiert hat? Leygraf ist nicht sicher, dass
Rieken das Licht der Freiheit wiedersehen wird: O-Ton: Leygraf (Take 1.) Darauf hat er ja ein
verfassungsmäßiges Recht, dass diese Chance besteht. Wie das praktisch bei
ihm aussehen soll, kann ich jetzt überhaupt nicht vorhersagen. Mir würde
jedenfalls bei ihm keine Therapiemöglichkeit einfallen, an deren Ende dann
stehen könnte, der kann jetzt wieder raus.
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