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Wer sich seinen Ängsten in einer Therapie stellt, kann Panikanfälle überwinden – für immer. Das belegt eindrucksvoll eine deutsche Studie, die das Befinden von Patienten nach Jahrzehnten überprüfte. von
Jochen Paulus Die Ängste, die Sigmund Freud ausstand, waren schlimm genug. Aber sie trafen auch noch seinen professionellen Stolz. „Es ist ja peinlich für einen Medicus, der sich alle Stunden des Tages mit dem Verständnis der Neurosen quält“, schrieb der Begründer der Psychoanalyse 1894 an einen Kollegen, „nicht zu wissen, ob er an einer logischen oder an einer hypochondrischen Verstimmung leidet.“ Freud quälten Anfälle, bei denen sein Herz verrückt zu spielen schien. „Tollste Arrhythmie, beständige Herzspannung – Pressung – Brennung, heißes Laufen in den linken Arm“ – das waren nur einige der Symptome, die ihm Todesängste einjagten. Freud glaubte ohnehin, dass er mit 40 bis 50 Jahren sterben würde. Und genau zu Beginn dieses Lebensjahrzehnts waren die Anfälle am schlimmsten. Für Heimsuchungen wie diese wurden in den letzten 100 Jahren alle möglichen Diagnosen vergeben – je nach dem Schwerpunkt der Symptome des Patienten, seiner Vorgeschichte und vor allem der Fachrichtung des Arztes: „Herzphobie“, „Chronisches Hyperventilationssyndrom“, „Neurozirkulatorische Asthenie“ und „Soldatenherz“ sind nur einige von mehreren Dutzend Bezeichnungen. Der Doktor konnte aber auch „Hausfrauensyndrom“ notieren, weil besonders viele Frauen unter solchen Ängsten litten, oder „Friseurstuhlsyndrom“, wenn die Anfälle sich beim Haareschneiden häuften – womöglich, wenn der Barbier das scharfe Rasiermesser zückte. Heute heißt die Krankheit „Panikstörung“, denn im Mittelpunkt steht die Angst der Patienten. Sie empfinden zwar körperliche Symptome wie Herzrasen oder Schwindelgefühle, Atemnot oder Stiche in der Brust, doch diese haben keine körperlichen Gründe. Sie sind die Folge der Angst, nicht ihre Ursache. Aber das wird oft nicht erkannt. So irren die Betroffenen von Arzt zu Arzt und bekommen am Ende der Untersuchungen nur zu hören, dass organisch alles in Ordnung sei. Doch schon bei der nächsten Panikattacke haben viele wieder das Gefühl, dass sie jeden Moment sterben könnten. Spontanheilungen sind selten. Lange galt diese häufige Störung, unter der einer von 20 Menschen leidet, als kaum behandelbar. Das war tragisch, denn gerade Panikpatienten wollen behandelt werden – anders als viele von anderen psychischen Störungen Betroffene, die sich völlig gesund fühlen. Erst seit den 1980er-Jahren können Therapeuten spektakuläre Erfolge vorweisen. Denn seither setzen sie neue Methoden ein, bei denen sich die Kranken ihren Ängsten bewusst aussetzen und sie so überwinden lernen. Der britische Angstforscher Isaac Marks nannte die Entwicklung dieser Therapien eine der „größten Erfolgsgeschichten“ in der Behandlung psychischer Störungen. Ob die Erfolge von Dauer sind, wusste aber bislang niemand. Nachkontrollen ein paar Jahre nach Ende der Therapie zeigten anhaltende Erfolge, aber das weitere Schicksal der Patienten blieb offen. Erst jetzt hat ein Therapeut nachgeforscht, was aus den Patienten wurde, die er und seine Kollegen vor Jahrzehnten behandelt hatten. Echte DetektivArbeit Der Psychologie-Professor Jürgen Margraf von der Ruhr-Universität Bochum betraute eine Mitarbeiterin mit der Detektivarbeit, die Therapierten aufzuspüren. Mit den alten Adressen der seinerzeit an der Universität Marburg Behandelten fragte sie bei den zuständigen Einwohnermeldeämtern nach dem aktuellen Wohnort. War ein Ex- Patient verzogen, wandte sie sich an das anschließend zuständige Amt. So ging das bis zu zwölf Mal. Hatte die Psychologin einen früheren Teilnehmer gefunden, bat sie ihn, einige Fragen zu seinem heutigen Befinden zu beantworten. Von den ursprünglich 56 Patienten wollten nur 6 nicht mitmachen. 2 sind verstorben, 7 unauffindbar, 3 werden noch gesucht. Immerhin 38 gaben bislang Auskunft. Die Ergebnisse sind spektakulär: 92 Prozent haben keine Panikstörung mehr, 87 Prozent nicht einmal mehr gelegentliche Panikanfälle – und dies meist ohne jede weitere Behandlung. Zwei Jahre Lang zu Hause Im Schnitt hatten sie zehn Jahre lang an einer Panikstörung gelitten. Eine Frau hatte zwei Jahre das Haus nicht verlassen. Seit der Behandlung führt sie ein normales Leben. „Es ist wirklich berührend“, sagt Margraf, „dass diese Menschen es geschafft haben, aus einem solchen Problem herauszukommen.“ Schon früher hatten Margraf und andere Forscher vorgerechnet, dass sich eine Psychotherapie bereits dann bezahlt macht, wenn ein Patient einige Jahre wieder arbeiten kann und nicht mehr so viele Behandlungskosten anfallen. Hält der Erfolg sogar Jahrzehnte, wie es nun scheint, wird die Kosten-Nutzen-Rechnung „noch viel positiver“, wie es Margraf formuliert. Solche kühlen Kalkulationen sind nötig. Denn noch immer lassen Sparkommissare im Gesundheitswesen nicht genug Psychotherapeuten zu, um alle Kranken zu behandeln. Langzeitstudien sind auch wichtig, um die Therapien weiter zu verbessern. Margrafs Team behandelte die Patienten damals mit zwei verschiedenen Methoden. Unmittelbar nach der Behandlung und auch bei der Nachuntersuchung nach drei Jahren schien das keine große Rolle zu spielen. Doch auf die Dauer unterscheidet sich der Erfolg deutlich. Bei der einen Behandlungsstrategie arbeitet der Therapeut mit dem Patienten die wirkliche Ursache der Panikanfälle heraus. Der Patient ist meist überzeugt, dass seine Symptome Anzeichen für eine schwere Krankheit sind: Die Benommenheit könnte einen Hirntumor verraten, glaubt er, das Kribbeln eine beginnende Lähmung und die rasenden Gedanken eine nahende Geisteskrankheit. Der Therapeut sammelt mit ihm Argumente für diese katastrophale Deutung, aber auch Argumente für die Erklärung, dass die Symptome harmlos sind. Am Anfang hatten sie den Alltag des Patienten kaum beeinträchtigt, doch irgendwann begann dieser, sie als bedrohlich zu empfinden – vielleicht, weil sie in einer Stresssituation ungewöhnlich stark wurden. Durch diese Angst wurden die Symptome noch stärker, wodurch wiederum die Angst stieg und so weiter, bis zum Extremzustand. Die therapeutische Kunst besteht darin, dem Patienten diese wissenschaftlich korrekte Erklärung nicht besserwisserisch zu verkünden, sondern so behutsam zu vermitteln, dass er sie akzeptieren kann. Bei diesem Behandlungsansatz haben heute, nach 23 Jahren, immerhin 73 Prozent der Patienten keine Panikanfälle mehr. Das Hilft: sich der Angst stellen Noch hilfreicher ist es, die Patienten in Verhaltensexperimenten direkt mit ihren Ängsten zu konfrontieren. Wer zum Beispiel befürchtet, im Kaufhaus ohnmächtig zu werden, der probiert es bei der Therapie aus. Er stellt fest, dass er das Bewusstsein nicht verliert und die Angst nach einiger Zeit von alleine nachlässt. Solche drastischen Erfahrungen sorgten laut der Studie von Jürgen Margraf dafür, dass heute keiner der so behandelten Patienten mehr Panikanfälle hat. Die Studie ist wegen ihrer Teilnehmerzahl allerdings zu klein, um wirklich zu belegen, dass die Konfrontationstherapie auf Dauer besser hilft als die kognitive Therapie. Aber das Ergebnis zeigt, dass Erfolgskontrollen nach vielen Jahren dringend nötig sind. Leider sind sie den Forschern oft zu aufwendig. Manche sprechen schon von einer „Langzeit-Nachkontrolle“, wenn sie ein Jahr nach Ende der Therapie nachfragen. Verlaufsuntersuchungen über mehrere Jahre sind wesentlich seltener, obwohl auch sie neue Erkenntnisse bringen. Anfang 2012 legte beispielsweise Anja Hilbert, Verhaltensmedizinerin an der Universität Leipzig, Vier-Jahres-Daten für zwei Therapieformen der von Essanfällen gekennzeichneten Binge-Eating-Störung vor. Auch hier waren die Erfolge beider Therapieformen zunächst beachtlich. Doch im Lauf der Jahre zeigten sich große Unterschiede. Allerdings ist auch das bislang nur ein Trend, den weitere Studien absichern müssten. Besonders lehrreich – wenn auch häufig deprimierend – sind Kontrolluntersuchungen einige Jahre nach einer Depressionsbehandlung. Hier halten die anfänglichen Erfolge oft nicht an. In einer Studie der Universität Bologna erlitten innerhalb von sechs Jahren 40 Prozent der zunächst erfolgreich Behandelten erneut eine Depression. Dabei hatten sie an einer Kurztherapie teilgenommen, die dies verhindern sollte. Ohne Kurztherapie wurden sogar 90 Prozent erneut depressiv. Hartnäckige Essstörungen Auch bei schweren Essstörungen sind die Aussichten schlecht. Das zeigte sich, als der Schweizer Psychologie- Professor Hans-Christoph Steinhausen 119 Studien mit über 5000 Patienten auswertete. Einige Jahre später waren bereits 5 Prozent der oft jungen Menschen tot. Von den Überlebenden erwies sich ein Fünftel als chronisch krank, einem Drittel ging es immerhin besser, und bloß knapp die Hälfte war geheilt. Nur wenige Untersuchungen umfassen einen so ausgedehnten Zeitraum wie die von Jürgen Margraf. Seine Langzeitstudie zeigt auch Überraschendes: Selbst nach über einem Jahrzehnt gesundeten viele Panikkranke noch – was nach dieser langen Zeit kaum an der Therapie gelegen haben kann. So ähnlich war es auch Sigmund Freud ergangen. Er versuchte, seine Panikstörung mit einer Selbstanalyse zu behandeln – ohne großen Erfolg. Später verschwand sein Leiden. Warum, weiß niemand. ■
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