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Triumph der Lobby
von Jochen Paulus

(Zeit 5.5.95)

Auf den ersten Blick ist Werner Preusker ein besonders eifriger Umweltschützer. Bei der Ökomesse Utech im Februar beschwor er die Grundsätze der Uno-Umweltkonferenz von Rio und verlangte: "Die Wirtschaft muß sich am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung ausrichten". Doch Preusker liegt mit anderen Umweltschützern im Dauerclinch. Denn als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU) versucht er, ausgerechnet den umstrittensten aller Kunststoffe mit Sprüchen wie "PVC auf Rio-Kurs" ökologisch hoffähig zu machen. Greenpeace bezeichnet dieses Material gern als Umweltgift - in Österreich inzwischen mit ausdrücklicher Erlaubnis des obersten Gerichtshofs, der eine Klage von drei Herstellern abwies.

Ironischerweise verdankt Jurist Preusker solchen Attacken seinen Job. Die 20 Milliarden Jahresumsatz schwere PVC-Branche mochte nicht tatenlos zusehen, wie ihr Produkt ökologisch immer mehr in Verruf geriet. 1990 beantragte sogar die CDU im Landtag von Baden-Württemberg den Verzicht darauf. Schon freute sich Greenpeace-Kampagnenleiter Manfred Krautter öffentlich, daß große Firmen wie Volkswagen ihre Produktion umstellen wollten.

Doch das PVC-Imperium schlug erfolgreich zurück. Der Kunststoff verkauft sich mit 1,3 Millionen Tonnen Jahresabsatz ausgezeichnet, von Rückgang keine Spur. Zwar wickeln Firmen wie die Supermarktkette Spar ihre Waren publikumswirksam nicht mehr in PVC-Verpackungen. Aber das kann die Branche verschmerzen. Denn der Baubereich boomt und in ihn liefert sie über die Hälfte ihrer Erzeugnisse. Rohre und Fensterrahmen erzielten in den letzten Jahren meist zweistellige Zuwachsraten. Im März meldete EVC, der größte europäische PVC-Produzent, Rekordabsätze und eine verdoppelte Gewinnspanne.

Kleine Absetzbewegungen stören da nicht weiter. So erprobt die bayerische AOK gerade eine PVC-freie Versichertenkarte. Und wenn Opel heute nur noch zwei Kilo pro Pkw verbaut statt zehn wie früher, können sich die PVC-Kocher mit Volkswagen trösten. Dort wird genauso viel verwendet wie eh und je. "Das 'PVC-freie Auto wird vom Kunden derzeit nicht verlangt", analysierten die Wolfsburger schon vor gut zwei Jahren in einem internen Papier, das prompt in den Ökologischen Briefen stand: "Die Diskussion klingt ab". Mazda annonciert sogar, daß ein PVC-Film den Unterboden der japanischen Wagen schütze. Werbung mit PVC hätte es vor drei, vier Jahren nicht gegeben", sagt Lobbyist Preusker zufrieden.

Auch vor den deutschen Gemeinderäten brauchen die Anbieter von Polyvinylchlorid einstweilen keine große Angst zu haben. Zwar zählt Greenpeace an die 200 Städte und Gemeinden, die Beschlüsse gegen den Kunststoff verabschiedet haben. Doch das ist nur etwa jede hundertste deutsche Kommune. Außerdem hat der Magistrat oft Hintertüren offengelassen. So "kann" in Bonn umweltgerecht gebaut werden, aber es darf höchstens fünf Prozent teurer kommen. Ob die Verwaltung umsetzt, was die Politiker beschlossen haben, ist ohnehin die Frage. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen wunderten sich nach einer Umfrage im Lande: "Die Entscheidung über den Einsatz von Ersatzstoffen scheint oft eher dem Zufall überlassen zu sein." In Frankfurt beschwerte sich vor kurzem Umweltdezernent Tom Koenigs bei seinem Magistratskollegen Hanskarl Protzmann, weil die Stadt weiter mit PVC bauen ließ.

In Berlin kontrollierte Greenpeace vor anderthalb Jahren öffentliche Baustellen und entdeckte auf allen offiziell geächtete Materialien wie PVC und Tropenholz. Kein Wunder, daß die PVC-Lobby versucht, den Ausstiegsbeschluß der Hauptstadt gleich ganz zu kippen. "Wir werden schon massiv unter Druck gesetzt", berichtet der für das ökologische Bauen zuständige Referatsleiter Peter Foerster-Baldenius. Doch die Stadtoberen trotzen der aufwendigen Kampagne. Greenpeace verehrte dem bei Umweltorganisationen sonst nicht gerade beliebten Bausenator Wolfgang Nagel zwei Tage vor Weihnachten deswegen sogar eine Auszeichnung.

Weniger Glück hatten die PVC-Gegner zuletzt in der langjährigen Musterstadt Bielefeld. Dort setzte die rot-grüne Koalition vor einem Jahrzehnt den ersten Ausstiegsbeschluß einer Stadt durch. Einen völligen Verzicht allerdings gab es auch in Bielefeld nie. Ihn könnte eine Stadt "mit Sicherheit nicht durchhalten", so Hochbauamtsleiter Rolf Oberschelp. Seiner Schätzung nach schaffte es Bielefeld aber immerhin, 70 Prozent weniger PVC zu verbauen. Im Krankenhaus etwa bestand er in letzter Sekunde gegen viele Einwände auf Linoleumböden. Sie bewährten sich: "Die sehen aus wie am ersten Tag." Doch im gerade neugebauten Gesundheitsamt liegen PVC-Kabel - die Alternativen waren dem Rat der Stadt zu teuer. Nun dürfen sogar die lange auf dem Index stehenden PVC-

Fenster wieder mit Geld aus dem Stadtsäckel gekauft werden. Bielefelds Parlament hat sie vergangenes Jahr wieder zugelassen. Allerdings müssen sie ohne das giftige Cadmium hergestellt und anschließend recycelt werden.

Den spektakulärsten Rückzug leistete sich die rotgrüne Regierung in Hessen. Dort hatte der Landtag 1990 einstimmig gegen PVC gestimmt, worauf die Landesregierung zwei Jahre später ein weitgehendes Verbot erließ und in der Reihe "Hessen baut auf" veröffentlichte. Bevor aber alle Teile in Kraft getreten waren, baute Hessen schon wieder ab. PVC darf erneut eingesetzt werden, muß allerdings zum großen Teil aus recyceltem Kunststoff produziert werden. Die SPD hat vor dem Druck demonstrierender Chemiearbeiter und ihrer Chefs kapituliert. Um eine elegante Begründung war die Landesregierung nicht verlegen: Inzwischen lasse sich PVC ja viel besser recyceln, als man zu Zeiten des Ausstiegsbeschlusses dachte.

Da zahlte sich die Millionen aus, mit denen die Industrie liebevoll am Bild eines angeblich ökologischen PVC-Kreislaufs pinselt. "Für mehr als die Hälfte aller PVC-Produkte bestehen Wiederverwendungsangebote", verbreitet die AgPU. Das stimmt. Nur heißt es keineswegs, daß tatsächlich bedeutende Mengen recycelt würden. Die Verbraucher Initiative hat sich ein Beispiel herausgegriffen und spricht von der "PVC-Fenster-Recycling-Lüge". Von den zwei existierenden Werken habe eines "die Größe einer überdachten Garage" und auch das andere könne längst nicht so viele Fenster verarbeiten wie gleichzeitig produziert werden.

Das ist allerdings auch gar nicht nötig. Der Witz bei den von der AgPU großzügig präsentierten Recycling-Garantien liegt gerade darin, daß sie erst in Jahrzehnten eingelöst werden müssen. Denn der Siegeszug des PVC begann erst in den fünfziger Jahren. Nur ein Bruchteil der seither hergestellten Fenster, Rohre und Böden ist schon reif für den Müll. Die entscheidende Frage ist, ob die heute gegebenen Recycling-Versprechen der PR-Strategen in vielen Jahren wirklich bei einzelnen Herstellern eingeklagt werden können. Das Wuppertal Institut bezweifelt dies in einer Analyse: "Niemand wird heute sagen können, ob der Fensterlieferant und der Betreiber der Recycling-Anlage zum Zeitpunkt des Ausbaus des neuen PVC-Fensters noch existieren." In Zukunft fallen bis zu einer Million Tonnen PVC-Abfälle jährlich an, prophezeien Schätzungen des Umweltbundesamts. Diesen Berg zu recyceln, käme teuer. Das Bonner Umweltministerium veranschlagte den Preis von PVC aus Altmaterial auf das Dreifache von Neuem. Die PVC-Lobby rechnet anders, doch Kritiker halten ihre Kalkulation für illusorisch. Rainer Grießhammer vom Öko-Institut vermutet deshalb, daß die Industrie in Wirklichkeit gar nicht recyceln will.

Doch das wird sich erst in der Zukunft herausstellen. Im Moment kommt es nur auf ein ökologisches Image an. Da hat die Industrie keineswegs nur mit dem Abfallproblem zu kämpfen. Das Umweltbundesamt bescheinigt ihrem Material "eine große Zahl ökologisch kritischer Eigenschaften". So entstehen bei der Herstellung Dioxine. Vor einem Jahr fanden sich bei EVC in Wilhelmshaven beachtliche Mengen der hochgiftigen Verbindungen im Klärschlamm. Auch wenn PVC in Flammen aufgeht, wird das Supergift frei, weshalb der Verband der Schadensversicherer solche Brände allen Dementis der Chemiefirmen zum Trotz seit einem Jahr in eine höhere Gefahrenstufe einordnet. In Düsseldorf mußte nach einem Kabelbrand eine verseuchte U-Bahn-Station zeitweise stillgelegt werden. Dort werden nun keine PVC-Strippen mehr verlegt.

Selbst beim Recyceln der Kabel gibt es Probleme. Nachdem in aus ihnen produzierten Vogelnistkästen hohe Mengen Schadstoffe gefunden wurden, bekommen Recycling-Artikel aus PVC seit vergangenem Jahr keinen Blauen Engel mehr.

Befürworter und Gegner hauen sich gegenseitig ihnen genehme Öko-Bilanzen um die Ohren. Einen besonders schweren Schlag landete vor kurzem die hessische Landesregierung. Das renommierte Forschungsinstitut Prognos bescheinigt in einer dicken Studie PVC von allen untersuchten Kunststoffen "das größte Risikopotential." Die Schweizer Gutachter kommen zu dem Schluß, daß 70 Prozent der verbrauchten Menge aus ökologischen Gründen ersetzt werden sollten. Allerdings würde dies mit 6,6 Milliarden Mark pro Jahr zu Buche schlagen. Knapp die Hälfte des PVC ließe sich jedoch ohne Mehrkosten ersetzen.

Ein zwölfköpfiges Team der AgPU schlug sofort zurück und kritisierte an dem Werk alles vom angeblichen Rechenfehler bis zur Risikoanalyse, die "willkürlich und unwissenschaftlich" sei. Die meist an der Seite ihrer Arbeitgeber anzutreffende Chemie-Gewerkschaft schrie ebenfalls auf. Nicht einmal die von Prognos für den Ausstiegsfall versprochenen zusätzlichen Stellen beeindruckten den nordrhein-westfälischen IG Chemie-Bezirksleiter Werner Bischoff: Die gebe es vielleicht in der Forstwirtschaft in Bayern, "aber nicht in NRW".

Auch die Mehrheit der Enquete-Kommission des Bundestags ließ die Chemie-Industrie vergangenes Jahr nicht im Stich. Die PVC-Kritiker in den Reihen der Opposition mußten sich auf ein Minderheitenvotum beschränken. Die Regierungsmehrheit ging die Wahrheitsfindung zum Thema PVC mit der einzigen Kampfabstimmung der Kommission an. Sie beschloß, daß eine "ökologisch verträgliche Verwertung und Entsorgung von PVC-Produkten" möglich sei. Es folgte der dezente Hinweis, daß es allerdings noch "ein großes ökologisches Verbesserungspotential" gebe.

AgPU-Chef Preusker ist da auf dem richtigen Weg. Als seinen Beitrag zur Entsorgung verteilt er Visitenkarten aus reyceltem PVC. Nur notorische Mäkler wie Prognos verspotten einen solchen PVC-Einsatz in Bereichen, die bisher sehr gut ohne ausgekommen sind, als "Aufbau von Nutzdeponien".


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