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Klarträume -
Lernen im Schlaf

von Jochen Paulus
(Wissen, SWR 2, 27.12. 2017)

SWR2 MANUSKRIPT

ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

 

 

SWR2 Wissen

Klarträume

Lernen im Schlaf Von Jochen Paulus

 

 

 

Durch die Luft fliegen wie Peter Pan, Bewegungsabläufe trainieren bis zur Perfektion, der Spinne ins Auge sehen. Wenn Menschen einen "Klartraum" haben, können sie dies bewusst steuern.

 

 

 

Sendung: Mittwoch, 27. Dezember 2017, 08.30 Uhr

Redaktion: Sonja Striegl

Regie: Felicitas Ott

Produktion: SWR 2017

 

 

 

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

 

 

 

MANUSKRIPT

 

Musik (bis Ende von Teil 2 des Zitators)

 

Zitator:

Im Alter von 10 Jahren war ich zum ersten Mal Abfahrtsskifahren. Nach dem ersten Tag Skischule bin ich abends ins Bett gegangen, und habe einen Klartraum gehabt. Das heißt, ich habe regelrecht im Schlaf trainiert, bin den Schneepflug immer und immer wieder gefahren, habe Kurven probiert und bin sie gefahren, hatte dabei total das Gefühl, wirklich auf Skiern zu stehen, wirklich meinen Körper zu fühlen, wirklich immer besser zu werden. Ich habe ganz bewusst bestimmte Bewegungsabläufe trainiert und auch ein Gefühl dafür gehabt, ob ein Bewegungsablauf gelungen ist, oder nicht. Der Erfolg war schließlich schon im Traum da.

 

Ansage:

„Klarträume – Lernen im Schlaf“. Eine Sendung von Jochen Paulus.

 

Zitator:

Am nächsten Morgen weiß ich noch, dass ich aufgewacht bin, und etwas erschrocken gedacht habe: „Jetzt bin ich quasi einen Tag und eine Nacht Ski gefahren, ich bin doch viel zu erschöpft, um gleich wieder auf die Bretter zu gehen." Aber es ging dann doch sehr gut. Vor allem konnte ich am nächsten Morgen sofort Kurven fahren und hatte einen extrem großen Fortschritt gemacht.

 

Sprecherin:

Es gibt viele fantastisch klingende Berichte vom Lernen im Traum, wie diesen – den der Traumforscher Daniel Erlacher für sein Buch „Motorisches Lernen im luziden Traum“ gesammelt hat. Die Geschichten handeln nicht von normalen Träumen, sondern von einer ganz besonderen Art: dem Klartraum.

 

O-Ton 1 - Ursula Voss:

Ein Klartraum ist ein Traum, in dem sich der Träumer bewusst ist, dass er träumt, während er weiterschläft.

 

Sprecherin:

Die Psychologin Ursula Voss von der Universität Frankfurt. Es ist ein merkwürdiges Zwischenreich, in dem sich die Träumerin oder der Träumer befindet.

 

O-Ton 2 - Ursula Voss:

Er schläft und er träumt und in vielen Fällen kann er auch den Traum beeinflussen, aber eben nicht in allen. Er sieht ganz häufig sich selbst von außen. Der Träumer ist gleichzeitig in einem Zustand des Wachbewusstseins und aber auch einem körperlichen Zustand des Schlafens.

 

Sprecherin:

Der Psychologiestudent Luca Kolibius, ein Mitarbeiter von Ursula Voss, merkt oft, wenn er nachts einen Klartraum hat.

 

O-Ton 3 - Luca Kolibius:

Das ist meistens so ein Gefühl, ein bestimmtes Gefühl, mitten im Traum, dass irgendwas nicht stimmt. Oder man denkt sich dann, irgendwie ist das doch gerade ein komisches Gefühl. Und dann fragt man sich, ich könnte doch gerade träumen? Und dann ist das meistens auch so. Ist aber nicht immer so. Häufig ist es ja so, dass man das dann versucht, im Traum dann wieder zu rationalisieren. Ja klar, Autos, die fliegen doch. Ist doch logisch. Haben sie doch schon immer.

 

Sprecherin:

Wie andere Klarträumer auch kann Luca Kolibius manchmal steuern, was er träumen will.

 

 

 

O-Ton 4 - Luca Kolibius:

Fliegen ist natürlich immer eine schöne Erfahrung auf jeden Fall, oder wenn man bestimmte Idole hat, mit denen man mal reden will, auch teilweise verstorbene. Natürlich muss man sich währenddessen bewusst sein, dass man nicht mit der Person an sich redet. Aber das sind Sachen, die man durchaus machen kann. Es gibt auch bestimmte Orte, wo man sagt, da findet man häufig interessante Sachen. Eine Kellertür zum Beispiel oder so ein Dachboden. Türen im Allgemeinen sind immer, bergen häufig was Interessantes.

 

Sprecherin:

Manche Firmen verheißen allen großartige Erlebnisse, die mit ihrer Hilfe das

Klarträumen lernen, auch luzides Träumen genannt. Für „nur 67 Euro“ bei „30-TageGeld-zurück-Garantie“ verheißt die Webseite „getlucid“ beispielsweise jede Nacht

„heißen Sex“ mit dem Traumpartner“, wobei „das Gefühl dabei absolut real“ sei.

 

O-Ton 5 - getlucid Werbevideo (Musik am Anfang schon unter letzten Sprecherintext):

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass alle Menschen dazu in der Lage sind, ihre Träume steuern zu können. Die Möglichkeiten, die Dir im Traum offenstehen, sind allein durch Deine eigene Vorstellungskraft begrenzt. Du kannst Deine Träume nehmen zu Unterhaltungszwecken wie beispielsweise Fliegen, heiße Dates oder auf Abenteuerreise zu gehen, auch dazu nutzen, Fähigkeiten aus Deinem Wachleben auszubilden und Du somit beispielsweise wichtige Präsentationen vorbereiten, Fremdsprachen einüben oder auch das Spielen von Musikinstrumenten trainieren kannst.

 

Sprecherin:

Michael Schredl warnt vor solchen Versprechungen. Der Traumforscher ist wissenschaftlicher Leiter am Schlaflabor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim.

 

O-Ton 6 - Michael Schredl:

Die Angebote, dass man jetzt Klartraum schnell erlernt und dann auch alles machen kann, was man möchte im Klartraum, ob das jetzt Fliegen, Sex, oder ähnliche Sachen sind, da muss man aufpassen. A ist es so, dass wir bisher noch nicht ganz sicher sind, ob jeder auch wirklich Klarträumen lernen kann. Wir haben einige Studien jetzt mit Studenten, die mehr oder weniger motiviert sind, die innerhalb von vier Wochen es nicht so einfach lernen, also die überhaupt keinen Zuwachs haben. Das heißt, man braucht so ein bisschen Begabung, viel Motivation und selbst die begabtesten Klarträumer, die haben vielleicht zwei, drei Klarträume pro Woche.

 

Sprecherin:

Dabei ist das Klarträumen gar nicht so exotisch, wie es klingt.

 

O-Ton 7 - Michael Schredl:

Das Klarträumen ist ein Phänomen, was doch relativ viele Menschen zumindest einmal in ihrem Leben erlebt haben. Nach unserer repräsentativen Studie ungefähr 50 Prozent. Auch die anderen Studien sprechen dafür. Allerdings sind die Klarträume auch innerhalb der Träume relativ selten. Also Personen, die jetzt mehrmals pro Wochen Klartraum haben, die sind sicher unter ein Prozent. Die meisten haben, wenn sie Klarträumen habe, doch selten Klarträume.

 

Sprecherin:

So ist die Gabe, alle tagsüber erträumten Freuden nachts zu erleben und vielleicht auch noch die eigenen Fähigkeiten zu perfektionieren, bislang einigen wenigen vorbehalten.

 

Musik Schostakowitsch 5. Symphonie beispielsweise langsame Passage nach ersten Klängen (unterlegen bis Ende von Zitator)

 

Zitator:

Ich studiere Musik, Waldhorn, um Berufsmusiker zu werden, und wünschte mir, ich könnte mein Lampenfieber und meine Angst, vor Publikum aufzutreten, besiegen... In der dritten Nacht meines Experiments hatte ich einen luziden Traum, in dem ich in der Konzerthalle von Chicago ganz alleine auf der Bühne stand und ein Solokonzert gab... Ich stand frei von jeglichem Lampenfieber vor dem Publikum und mit jeder Note, die ich spielte, wuchs mein Selbstvertrauen. Ich trug mit absoluter Perfektion ein Stück vor, das ich erst einmal zuvor gehört... hatte, und der Beifall, den ich erhielt, gab meinem Selbstvertrauen weiteren Auftrieb... Als ich am folgenden Tag meine Übungen machte, spielte ich das Stück vom Blatt, und zwar fast fehlerfrei. Zwei Wochen (und einige luzide Traumaufführungen später) spielte ich die fünfte Symphonie des russischen Komponisten Schostakowitsch mit dem Orchester. Zum ersten Mal kam mir meine Nervosität beim Spielen nicht in die Quere, sodass meine Darbietung außerordentlich gut war.

 

Sprecherin:

Lassen sich Methoden entwickeln, mit denen auch weniger Begabte die Kunst des Klarträumens erwerben können? Und wenn sie es denn könnten, wie gut könnten sie dann wirklich im Schlaf lernen?

 

O-Ton 8 - Atmo Ballspiel (etwa ab hier bis „Kraftmaschinen“ unter

Sprecherintext)

 

Sprecherin:

Wer Antworten auf solche Fragen möchte, fährt am besten nach Bern zum Sportinstitut der Universität. Es ist fast neun Uhr abends und schon dunkel. Auf einem Sportplatz vor dem Institut trainieren Studenten im Flutlicht Fußball, andere verausgaben sich hinter großen Glasscheiben in einer erleuchteten Halle an Kraftmaschinen. Die Büroflure des Instituts sind dagegen verlassen. Doch im

Keller,...

 

O-Ton 9 - Silvan Schuler (kurz anspielen, dann als Atmo unterlegen):

Hier wirst Du schlafen (Unverständliches)

 

Sprecherin:

...im Elektrophysiologielabor, weist der Master-Student Silvan Schuler den

Sportstudenten David ein. David wird heute Nacht die Versuchsperson sein.

O-Ton 9 - Silvan Schuler und David (wieder hoch):

... kannst du dann anschließend das Bett beziehen, Zähne putzen, dann werden wir dich verkabeln David: Gut.

 

O-Ton 10 - Atmo David macht Bett (unter nächsten Sprecherintext)

 

Atmo: David macht Bett, Wasser

 

Sprecherin:

David hat gelegentlich Klarträume, ganz von allein. Auf solche Versuchspersonen sind Forscher angewiesen. Denn die Chance, dass ein beliebiger Mensch ausgerechnet in einer Nacht im Schlaflabor einen Klartraum hat, ist winzig. Trotzdem ist keineswegs sicher, ob es klappen wird. Nützlich fände David es schon, wenn er nach Belieben klarträumen könnte. Er ist angehender Fußball-Schiedsrichter, pfeift bereits wichtige Spiele und hält sich mit Leichtathletiktraining fit.

 

O-Ton 11 - Atmo Labor, kramen nach Elektroden, Gemurmel (Unter nächsten O-

Ton)

 

O-Ton 12 - David:

Aber ja, wenn ich es schaffen sollte, würde ich es ganz bestimmt ausprobieren. Weil ja, was gibt es Schöneres, wenn man Schlafen kann, im Traum trainieren und dann muss man es im Alltag nicht mehr machen. (lacht) Würde ich bestimmt ausprobieren. Würde mich reizen, ja.

 

O-Ton 13a - Silvan Schuler, David (anschließend als Atmo unter nächsten Sprecherintext):

Schuler: Du bekommst das Gerät, das X-Ltek-Gerät. Dann gebe ich Dir eine

Elektrode und sage Dir, wohin Du es hineinstecken sollst. Zuerst messe ich Dir den Kopf ab, um zu schauen. wie groß Dein Kopf ist, um dann die Elektroden am richtigen Ort zu platzieren.

 

Sprecherin:

Damit Silvan Schuler anhand von Kurven auf einem Bildschirm im Nebenraum verfolgen kann, in welchem Schlafstadium David sich befindet und ob die für den Traumschlaf typischen Augenbewegungen auftreten, bekommt David zahlreiche Elektroden auf den Kopf geklebt, die mit bunten Drähten verbunden sind.

 

O-Ton 13b - Silvan Schuler, David (wieder hoch):

Schuler: Das wäre C4, David: C4.

 

Sprecherin:

Silvan Schuler macht seine Masterarbeit bei dem Sportwissenschaftler Daniel

Erlacher. Der beschäftigt sich schon seit seiner Doktorarbeit an der Universität

Heidelberg mit der Frage, ob es für Sportler Sinn macht, in Klarträumen zu trainieren.

 

 

 

O-Ton 14 - Daniel Erlacher:

Während meiner Diss habe ich natürlich immer, wenn jemand im Gespräch dann, man redet ja dann doch öfters übers Klarträumen, und wenn man dann eben mit Leuten zusammengekommen ist, die aus dem Sportbereich kommen und Klarträumen kannten, habe ich immer Anekdoten gesammelt. Erstmal sehr unsystematisch. Und aus der Zeit habe ich einige Anekdoten aufgeschrieben. Unterschiedliche Sachen von einer Turmspringerin, die in Zeitlupe ihres Saltis da vom Sprungturm runter macht.

 

Sprecherin:

Eindrucksvoll war auch der Fall eines Windsurfers, der mit der Powerhalse kämpfte – einem anspruchsvollen Manöver, um eine starke Kurve zu fahren.

 

Musik (bis Ende von Zitator)

 

Zitator:

Als ich 13 war, habe ich versucht, beim Surfen die Powerhalse zu lernen. Ich war mit meinen Eltern vier Wochen in Sardinien. Wenn Wind war, übte ich oft die Halse. Ich fiel jedoch immer beim Segelwechsel. Ich hatte ein Lehrbuch, in dem der richtige Bewegungsablauf beschrieben war... Plötzlich begann ich eines Nachts diesen Bewegungsablauf im Traum durchzugehen. Ich merkte, dass ich träumte und startete ein regelrechtes Training der Halse. Ich startete immer in voller Fahrt ca. 10 Meter vor dem Punkt, an dem ich die Halse machte. Wenn ich stürzte, war ich mit einem Schlag sofort wieder an dem Ausgangspunkt und versuchte es erneut... Im Traum gelang mir die Halse immer öfters, jedoch hatte ich bestimmt über 100 dieser Halsen geübt. Der Klartraum dauerte ca. 15 Minuten. Am nächsten Tag stand ich meine erste Powerhalse, genau an der Stelle auf dem Wasser, an der ich sie in der Nacht zuvor geübt hatte.

 

Sprecherin:

Aber sind solche Geschichten verlässlich, von denen die Akteure manchmal Jahrzehnte später erzählen? Und vor allem: Schaffen das nur einige wenige Auserwählte oder können alle im Klartraum ungeahnte sportliche Leistungen einüben? Das lässt sich nur in Experimenten herausfinden, sagt der Berner Forscher Daniel Erlacher:

 

O-Ton 15 - Daniel Erlacher:

Wir haben Studien gemacht, mit relativ einfachen Aufgaben, wo wir geschaut haben, in einem Gruppendesign, also wir haben eine Gruppe, die im Traum trainiert hat und eine andere Gruppe, die nicht im Traum trainiert hat, und haben einfach geschaut, ob die von dem Abend zum Morgen besser geworden sind. Die Aufgabe, die wir uns da rausgesucht haben, war eine supereinfache Aufgabe, nämlich eine Fingersequenz Aufgabe, in der man nacheinander eine Tastenkombination drücken muss auf der Tastatur.

 

Sprecherin:

Rechtshändige Versuchspersonen mussten ihre linke Hand auf eine

Computertastatur legen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger auf je eine Taste und dann mit den Fingern in einer bestimmten Reihenfolge tippen, beispielsweise kleiner Finger, Zeigefinger, Ringfinger, Mittelfinger, kleiner Finger – so schnell und so genau wie möglich. Und das eine halbe Minute lang. Abends und morgens im Wachzustand gab es eine echte Tastatur, nachts mussten sich die Probanden eine erträumen.

 

O-Ton 16 - Daniel Erlacher:

Und die Studien, die wir da durchgeführt haben, zeigen, dass die KlartraumTrainierenden fast so gut sind wie die tatsächlich Übenden. Die sind ein bisschen schlechter, ist ja auch logisch, die bewegen ja ihre Hände nicht, sondern die machen es nur im Traum mit ihrem Traumkörper. Aber dass die dann fast wirklich genauso gut mit ihrem Leistungs- oder Trainingserfolg sind wie die tatsächlich Übenden, das ist dann schon erstaunlich gewesen.

 

Sprecherin:

Bei einem anderen Versuch trafen die Probanden mit Dart-Pfeilen am Morgen besser als am Abend zuvor, wenn sie in Klarträumen geübt hatten. Solche Übungen sind allerdings weit weg von den schier unglaublichen Kunststücken, die manche im Klartraum einstudieren, falls ihren Berichten zu trauen ist.

 

Musik (bis Ende von Zitator)

 

Zitator:

Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, bezahlte meine Mutter meiner Schwester und mir in einem Sommer Tennistrainerstunden. Gegen Ende des vierwöchigen Kurses erfuhr ich, dass zum Abschluss ein Turnier geplant war, dessen Sieger eine Trophäe erhalten würde. In jener Nacht wurde mir bewusst, dass ich träumte, und ich beschloss, das Tennisturnier zu gewinnen. Ich dachte an die Tenniswettkämpfe, die ich im Fernsehen gesehen hatte, und versuchte mich daran zu erinnern, wie die Tennisspieler aufschlugen und die Bälle zurückspielten. Am Ende des Traums war meine Schlagführung ziemlich gut und ich machte unglaublich gute Aufschläge... Am Tag des Turniers schlug ich alle Kontrahenten und gewann die Trophäe. Mein Tennislehrer konnte nicht glauben, wie gut ich gespielt hatte, und ich konnte es auch nicht.

 

Sprecherin:

Beim Experiment im Keller des Berner Sportinstituts ist das Verkabeln abgeschlossen.

 

O-Ton 17a - Silvan Schuler (Anfangsatmo liegt bereits unter vorigem Sprecherintext, die Fortsetzung unter dem nächsten):

Das hat effektiv vierzig Minuten gedauert.

 

Sprecherin:

Gleich bekommt David eine Atemmaske auf, um verschiedene Gerüche zu riechen.

 

 

 

 

O-Ton 17Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.b - Silvan Schuler:

Wir haben einerseits Zitronenduft, dann gibt es einen Rosenduft und einen Lackduft. Wir wählen heute den Lackduft. Mal schauen, wie das geht mit dem Riechen. Ob er den gut riecht oder nicht. Gleich zu Beginn machen wir einen Test.

 

Sprecherin:

Zum Test begibt sich Schuler in den kleinen Kontrollraum nebenan. Von hier aus kann er steuern, wann Daniel etwas zu riechen bekommt und sich über eine Sprechanlage mit ihm unterhalten.

 

O-Ton 18 - Silvan Schuler und David (Anfangsatmo liegt bereits unter vorigem Sprecherintext, die Fortsetzung mit ihren kurzen Dialogen und langen Pausen unter dem nächsten):

Schuler: Riechst Du etwas? Pause. David: Nein. Schuler: Gut. Und jetzt? Pause. David: Ja. Und jetzt? Pause. David: Nein. Und jetzt? Pause. David: Nein.

 

Sprecherin:

Der Duft ist der Clou des Experiments. David wird gleich still einen Text über Klarträume lesen, während er immer wieder diesen an Putzmittel erinnernden Geruch zum Atmen bekommt. So soll der Duft mit Klarträumen assoziiert werden. Wenn er später in der Nacht träumt, wird Schuler ihn wieder den Duft einatmen lassen – in der Hoffnung, dass er bei David einen Klartraum auslöst. Denn der Geruch soll David zu sogenannten Realitätschecks anregen. Das ist eine klassische Methode, um Klarträume auszulösen. Normalerweise wird sie erst lange im Wachen geübt, erläutert der Mannheimer Traumforscher Michael Schredl:

 

O-Ton 19 - Michael Schredl:

Man frägt sich tagsüber fünf bis zehn Mal, träume ich oder bin ich wach? Guckt kurz mal rum, ob die Wachwelt, die man gerade sieht, den physikalischen Gesetzen der Wachwelt entspricht, und kommt dann zum Schluss, dass man wach ist. Also es soll nicht den Realitätsgehalt der Wachwelt infrage stellen, sondern diese Gewohnheit führt dazu, dass man anfängt, sich die Frage auch im Traum zu stellen. Und wenn man im Traum sich die Frage stellt, kann man auf die Idee kommen, dass es ein Traum ist.

 

Sprecherin:

Damit wäre der Träumer dann in einem Klartraum. Aber es kann Monate dauern, um so weit zu kommen. Auch andere Techniken funktionieren nicht besonders gut. Denholm Aspy von der australischen University of Adelaide kam in einer Studie zu dem Schluss, dass man am besten mehrere Methoden gleichzeitig verwendet, um überhaupt eine Chance zu haben: Erstens übt der Kandidat tagsüber

Realitätschecks. Zweitens wiederholt er vor dem Einschlafen den Satz „Wenn ich das nächste Mal träume, werde ich daran denken, dass ich träume“, während er sich einen Klartraum vorstellt. Drittens wird der Schläfer nach sechs Stunden geweckt, muss sich ausführlich mit dem bis dahin Geträumten beschäftigen und darf dann weiterschlafen.

 

Die Frankfurter Psychologin Ursula Voss hat einen ganz anderen Ansatz entwickelt.

Wie die Berner Forscher arbeitet sie mit dem Elektroenzephalogramm. Das EEG

zeigt die Gehirnströme, die sich am Kopf ableiten lassen. Sie formen unterschiedlich schnelle Wellen und bilden so sogenannte Frequenzbänder. Die Kurven verraten viel darüber, in welchem Zustand sich das Gehirn gerade befindet.

 

O-Ton 20 - Ursula Voss:

Die größten Unterschiede zum normalen Traum, die finden wir im Gamma-

Frequenzband, das ist ein Frequenzband, das im Wachen korreliert ist mit Bewusstseinsprozessen, mit Steuerungsprozessen, Entscheidungsfindung und logischem Denken. Und dieses Frequenzband ist im luziden Traum in den vorderen Hirnarealen erhöht.

 

Sprecherin:

Die Psychologin beließ es nicht beim Erfassen der Gehirnaktivität. Sie beeinflusste sie. Dazu stimulierte sie Teile des Gehirns über Elektroden mit sehr geringen Strömen. Und die hatten genau die Frequenz, die im Klartraum besonders stark vertreten ist: Gammawellen mit 40 Schwingungen pro Sekunde. Ein amerikanischer Forscher hat den Versuch inzwischen wiederholt.

 

O-Ton 21 - Ursula Voss:

Bei uns waren das um die 80 Prozent der Träume, die dann klar wurden und bei ihm ging es in die 90 Prozent.

 

Sprecherin:

Das ist enorm hoch, zumal die Versuchspersonen von Ursula Voss keine Erfahrung mit Klarträumen mitbrachten. Andere Forscher bezweifeln allerdings, dass die Teilnehmer echte Klarträume hatten. In Fragebögen beantworteten sie zwar mehr Fragen in die entsprechende Richtung, hatten aber immer noch sehr niedrige Werte. Abgesehen davon sind die verwendeten Geräte für den Einsatz zuhause viel zu aufwendig.

 

O-Ton 22 - Ursula Voss:

Die nehmen irgendwelche abgespeckten Versionen und dann wahrscheinlich auch in Kombination, ich kenn' die Geräte selber nicht. Ich habe mich da immer herausgehalten.

 

Sprecherin:

Experten raten dringend davon ab, solche Geräte zuhause auszuprobieren. Das

Gehirn mit elektrischen Strömen zu beeinflussen, könnte bei manchen Menschen im Extremfall Krampfanfälle auslösen. Ursula Voss hatte solche Risikokandidaten aus ihrer Studie ausgeschlossen.

 

O-Ton 23 - Anfangsatmo bereits unter nächsten Sprecherintext

 

Sprecherin:

In Bern wird David nachts um drei geweckt. Er muss wieder den Text über

Klarträume lesen und bekommt dazu den nach Putzmittel stinkenden Lackgeruch. So soll der Geruch noch stärker mit dem Klarträumen verbunden werden. Dann darf David wieder schlafen – mit Atemmaske. Silvan Schuler, der zwischendurch auf einer Klappliege im Kontrollraum ebenfalls geschlafen hat, verfolgt nun die

Wellenbewegungen auf dem Bildschirm. Besonders achtet er auf die roten Kurven, die Davids Augenbewegungen anzeigen. Er flüstert nur noch, um David im Nebenraum nicht zu wecken.

 

O-Ton 24a - Silvan Schuler (Anfangsatmo liegt bereits unter vorigem Sprecherintext, die Fortsetzung unter dem nächsten):

Wenn sie auseinandergehen, asymmetrisch, dann befindet er sich im Rem-Schlaf. Es hat jetzt doch einige Zeit gedauert. Eineinhalb Stunden beziehungsweise fast zwei Stunden, inklusive Einschlafen. Jetzt muss ich den Schalter wieder alle 30 Sekunden betätigen.

 

Sprecherin:

Immer wenn Schuler den Schalter betätigt, bekommt David nebenan eine Ladung Putzmittelgeruch in die Nase. Würde man ihm den Duft durchgehend verabreichen, würde er sich daran gewöhnen und ihn bald nicht mehr wahrnehmen.

 

O-Ton 24b - Silvan Schuler, David (Anfangsatmo liegt bereits unter vorigem Sprecherintext):

Schuler: David, bist Du wach? David: Mmh. Schuler: Was ist Dir als Letztes durch den Kopf gegangen? Bitte erzähle ausführlich. David: Den Traum? Schuler: Ja. David: Ich war am Fußballspiel. Die Schweiz hat eins zu null gewonnen.

 

Sprecherin:

Dann stellt Schuler die entscheidende Frage.

 

O-Ton 25 - Silvan Schuler, David (Anfangsatmo liegt bereits unter vorigem Sprecherintext):

Schuler: Gut. Und warst Du Dir im Traum bewusst, dass Du träumst? David: Nein.

 

Sprecherin:

Kein Klartraum also. Es gibt noch eine zweite Chance. David wird weiterschlafen und vorausichtlich noch einmal träumen. Doch was wäre außer vergnüglichen Nächten gewonnen, wenn Wissenschaftler eine Methode fänden, mit der jede und jeder einigermaßen verlässlich klarträumen könnte? Sportler beispielsweise üben schließlich schon lange, ohne auch nur einen Muskel zu bewegen. Niemand weiß das besser als der Leiter der Studie, Sportprofessor Daniel Erlacher.

 

O-Ton 26 - Daniel Erlacher:

Das mentale Training, das kennt man im Sport, also dass man sozusagen im

Wachzustand in den Gedanken, Bewegungen durchgeht. Da sieht man sofort die Sportler, die da am Skihang stehen und noch mal vor dem Rennen in Gedanken die Skistrecke abfahren, das ist mentales Training.

 

Sprecherin:

Aber eines kann das mentale Training nicht: Menschen völlig realistisch in die Situation des Wettkampfs versetzen.

 

O-Ton 27 - Daniel Erlacher:

Im Wachen ist es eben alles immer so ein bisschen dunkel, also wenn man es mal zu Hause selbst probiert, wie man sich vorstellt, einen Basketballkorb zu werfen, dann schafft man das, aber sobald dann irgendwie ein Hintergrundgeräusch kommt, dann ist die Vorstellung doch sehr labil. Und im Klartraum ist man sozusagen – man ist in dieser Traumwelt, man ist sich selbst, ja, und man spürt in jeder Faser des geträumten Körpers, wie man da einen Basketballwurf macht.

 

Sprecherin:

Nach den bisherigen Erkenntnissen übt es sich im Klartraum trotzdem nicht ganz so gut wie im echten Leben. Dafür drohen aber auch nicht die Gefahren von tatsächlichem Sport, worüber sich schon der 1998 verstorbene Frankfurter Psychologie-Professor und Klartraumforscher Paul Tholey freute. Der Mannheimer Traumforscher Michael Schredl kennt einen weiteren Vorteil.

 

O-Ton 28 - Michael Schredl:

Was einige berichten, ist, dass sie die Zeit langsamer ablaufen lassen können. Das heißt sie können praktisch in der Vorstellung oder im Klartraum den

Bewegungsablauf Schritt für Schritt durchgehen, während wenn sie das in Realität machen, ist es sozusagen in einer Millisekunde passiert oder paar Sekunden.

 

Sprecherin:

Bewegungen in Zeitlupe wahrzunehmen, hilft ungemein, wie jeder Fußballfan vom Fernsehgucken weiß. Aber trotzdem kann das Üben im Klartraum nur in manchen Disziplinen helfen.

 

O-Ton 29 - Daniel Erlacher:

Eher technikorientierte Sportarten, wo es um Fertigkeiten geht, also um einen neuen

Bewegungsablauf, also Turnen. Der Turmspringer, technikorientierte Sachen, die im

Vordergrund stehen und nicht die konditionellen Faktoren, also nicht der Marathonläufer und nicht der Gewichtheber. Weil das sind Faktoren, die auf Kraft und Ausdauer berufen und die erfordern immer eine physiologische Adaptation.

 

Sprecherin:

Natürlich kann man im Klartraum nicht nur versuchen, seine Turmsprünge oder Skateboard-Kunststücke zu perfektionieren. Manche üben sich auch darin, kreative Probleme zu lösen.

 

O-Ton 30 - Michael Schredl:

Eine Idee, was auch in den normalen Träumen vorkommt, ist Kreativität. Das heißt, es gibt Träume, die kreative Anregungen geben für Kunstwerke, Erfindungen, aber auch ganz simple Vorträge oder Diplomarbeiten oder Masterarbeiten. Bei luziden Träumen ist es natürlich so, dass man es bewusst nutzen kann. Das heißt, ich habe mal einen Künstler kennengelernt, der hat sich tatsächlich im luziden Traum gedacht, wie könnte ich jetzt ein Kunstwerk gestalten, hat da verschiedene Sachen

durchgespielt und seine Kreativität im Traum genutzt und versucht, es dann auch im Wachzustand umzusetzen. Also man kann luzides Träumen aktiv für kreative Aufgaben nutzen.

 

Sprecherin:

Der Filmregisseur Richard Linklater, der nicht nur die mit „Before Sunrise“ beginnende Trilogie gedreht hat, sondern auch den Klartraum-Film „Waking Life“, nutzt seine Klarträume für seine Arbeit. Nach eigenem Bekunden redet er in ihnen mit Schauspielern, testet schwierige Einstellungen oder geht durch Wände – wie die Hauptfigur von „Waking Life“. Als er den Film vorbereitete, arbeitete er Tag und Nacht an dem Projekt. Um Klartraum und Wachzustand unterscheiden zu können, nutzte er einen Realitätscheck. Er betätigte einen Lichtschalter. Blieb die Lampe dunkel, träumte er. Während die Filme von Linklater für das kreative Potenzial von Klarträumen sprechen, stößt das klassische Lernen, etwa von Vokabeln, auf ein prinzipielles Problem. Da kann man noch so sehr die Nase ins geträumte Wörterbuch stecken.

 

O-Ton 31 - Michael Schredl:

Vokabeln lernen, komplexere Zusammenhänge und so weiter – auch im luziden

Traum ist das Problem, dass man ja nicht Dinge lesen kann, die man nicht kennt. Das heißt also, da ist kein Lernen im Schlaf oder auch im luziden Traum möglich.

 

Sprecherin:

Geeignet sind Klarträume dagegen, um Albträume zu bekämpfen. Kinder sind die natürlichen Kandidaten, denn sie haben viel öfter Klarträume als Erwachsene.

 

O-Ton 32 - Ursula Voss:

Sehr viele Kinder, die wir befragt haben, die nutzen diese Klarträume ganz effektiv gegen Albträume, gegen ihre Ängste, die in dem Alter sehr häufig auftreten und setzen die systematisch ein. Irgendwann kommt es eben zufällig zustande, so ein Klartraum. Und die Kinder merken sehr schnell, die sind ja sehr lernfähig, dass ihnen das guttut und dass sie dadurch eben auch Gespenster und böse Geister und, und, und Räuber sonst was vertreiben können und setzen das systematisch ein und es ist so eine Art von Selbsttherapie.

 

Sprecherin:

Luca Kolibius, der Klartraum-begabte Mitarbeiter von Ursula Voss, hat damit seine eigenen Erfahrungen.

 

O-Ton 33 - Luca Kolibius:

Der Vorteil vom luziden Träumen ist, gerade als kleines Kind, man hat nie wirklich Albträume. Beziehungsweise wenn man welche hat, dann sind die nicht wirklich erschreckend. Weil man merkt in dem Moment, wenn es Richtung Albtraum geht, dass es halt ein Traum ist und dann braucht man auch keine Angst mehr zu haben. Und man hat ja dann auch zusätzlich noch den Aspekt der Kontrolle über den Traum. Bei mir war das früher immer so, dass ich mich dann einfach aufgeweckt habe, wenn es mir zu blöd wurde.

 

Sprecherin:

Im Laborkeller von Bern steht der letzte Versuch für diese Nacht an. Die Erfolgsbilanz mit den bisherigen Probanden in früheren Nächten ist sehr durchwachsen. Es ist schon nach sieben Uhr morgens, als Silvan Schuler David wieder weckt.

O-Ton 34 - Silvan Schuler, David (Anfangsatmo liegt bereits unter vorigem Sprecherintext, die Fortsetzung unter dem nächsten):

Schuler: David, bist Du wach? David: Ja. Schuler: Was ist Dir als letztes durch den Kopf gegangen? Bitte erzähle ausführlich. David: Ich musste ein Fest organisieren und war an meiner Arbeitsstätte. Habe da eigentlich ganz normal gearbeitet bis Feierabend war... (Ausblenden)

 

Sprecherin:

Und wieder die entscheidende Frage.

 

O-Ton 35 - Silvan Schuler, David (Endatmo liegt noch unter dem nächsten Sprecherintext):

Schuler: Und warst Du Dir im Traum bewusst, dass Du träumst? David: Nein, wieder nicht.

 

Sprecherin:

Klartraumforschung ist ein mühsames Geschäft. Kein Wunder, dass die Wissenschaft bisher keine Beweise für die fantastischen Möglichkeiten liefern konnte, von denen etliche Klarträumer berichten. Fürs erste bleibt die Zukunft ein Traum, die der durchaus seriöse amerikanische Klartraumforscher Stephen LaBerge in seinem Buch „Träume, was du träumen willst“ ausmalt.

 

Musik (bis über Ende des Zitators)

 

Zitator:

Die glücklichen Zukunftsszenarien, die Sie in Ihren luziden Träumen erschaffen, können über Ihren eigenen Erfolg und Ihr Wohlergehen hinausreichen. Es könnte sogar sein, dass die wachsende Zahl von Menschen auf der Erde, die kraftvolle Bilder von Frieden und Freude für alle Erdbewohner erschaffen, es wahrscheinlicher macht, dass wir alle die derzeitige Krise dieses Planeten überleben und uns weiterentwickeln, um das größte Potenzial der Menschheit zur Entfaltung zu bringen.

 

 

 

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