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Wie entsteht Intelligenz und lässt sie sich fördern?


von Jochen Paulus
(Wissen, SWR2,27.1.2021)

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 SWR2 Wissen

Wie entsteht Intelligenz und lässt sie sich fördern?

Von Jochen Paulus

Sendung: Mittwoch, 27. Januar 2021, 08.30 Uhr

Redaktion: Sonja Striegl

Regie: Andrea Leclerque

Produktion: SWR 2021

 

 

Intelligente Menschen verfügen über eine höhere Bildung und ein höheres Einkommen, sind seltener arbeitslos, leben gesünder und sterben später. Deshalb wäre es gut, Intelligenz zu fördern.

 

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MANUSKRIPT

Musik

Sprecherin:

Intelligente Menschen haben mehr Glück in der Liebe, verfügen über eine höhere Bildung und ein höheres Einkommen, sind seltener arbeitslos, leben gesünder und sterben später. Aber warum sind manche intelligenter als andere? Dem Geheimnis der Intelligenz versuchen Psychologen und Hirnforscher schon lange auf die Spur zu kommen. Neue Forschungen zeigen, dass es tatsächlich Unterschiede in den Gehirnen und in den Genen von mäßig intelligenten und intelligenteren Menschen gibt. Ist Intelligenz Schicksal? Die Wissenschaft ist dabei herauszufinden, ob und wie sich Intelligenz erhöhen lässt.

Sprecher (Ansage):

„Wie entsteht Intelligenz und lässt sie sich fördern?“ Von Jochen Paulus.

Sprecherin:

Die Psychologin Dr. Alexandra Lenhard sitzt mit dem achtjährigen Nachbarsjungen Toni in ihrem Wohnzimmer mit Blick auf Garten und Terrasse vor einem Computer. Toni hat sich bereit erklärt, ein ganz besonderes Computerspiel mit ihr auszuprobieren. Es ist ihre zweite Sitzung.

O-Ton 1 - Toni und Alexandra Lenhard:

Lenhard: Ja, Toni, und wir haben ja letzte Woche schon mal Aufgaben zusammen gemacht, kannst Du Dich noch dran erinnern, was das war, wir haben ein Computerspiel zusammen gemacht und da gab's zwei Elfenkinder, kannst Du Dich daran noch erinnern? Toni: Die sind gelaufen und in den Bergen gibt es einen Kristall, aber die stoßen andauernd auf Aufgaben. Lenhard: Genau, die stoßen andauernd auf Aufgaben und die müssen wir zusammen mit denen lösen, nicht?

Sprecherin:

Das Programm wird meist eingesetzt, um geistig behinderten Kindern zu helfen, denen abstraktes logisches Denken nicht so leichtfällt. Toni gehört nicht in diese Kategorie. Für ihn sind manche Aufgaben einfach, andere nicht.

O-Ton 2 - Toni und Alexandra Lenhard:

Lenhard: Okay Toni, dann gucken wir uns mal die erste Aufgabe an, die wir heute machen. Achtung. Frauenstimme aus Computer: Welches Klötzchen stört die Reihe? Toni: Hm. Lenhard: Toni, erzähl' doch mal, was Du siehst hier. Toni: Immer ein Dreieck, ein roter Viereckwürfel, wieder Dreieck, roter Würfel, wieder ein Dreieck und dann kommen da zwei rote Würfel und dann erst ein Dreieck. Ich glaube, da muss ein roter Würfel weg, den klick' ich mal an. Klicklaut. (Computer spielt Melodie, die eindeutig nach richtig klingt). Toni: (sehr erfreut): Ja. Frauenstimme aus Computer: Du hast das richtige Klötzchen gefunden.

Sprecherin:

Was Toni da ausprobiert, ist nicht einfach ein für heutige Verhältnisse eher schlichtes Computerspiel mit Denksportaufgaben zum Zeitvertreib. „Denkspiele mit Elfe und Mathis“ ist ein Programm zur „Förderung des logischen Denkvermögens für das Vor- und Grundschulalter“, wie sein Untertitel verspricht. Entwickelt hat es Dr. Alexandra Lenhard, die zusammen mit Toni übt. Viele Intelligenztests verwenden ganz ähnliche Aufgaben.

O-Ton 3 - Alexandra Lenhard:

Das, was wir fördern, ist ja eine Intelligenzleistung. Mustererkennung ist eigentlich die Intelligenzleistung schlechthin sogar. Also das, was am Ehesten mit dem assoziiert ist, was man unter Intelligenz versteht. Logisches Denken ist der Kern, das Herzstück von Intelligenz sozusagen.

Sprecherin:

Die Psychologin leitet die kleine Firma „Psychometrica“ im bayerischen Dettelbach, die das Programm verkauft. Es basiert auf Denktraining-Programmen, die Karl Josef Klauer, Professor für Erziehungswissenschaft an der RWTH Aachen, bereits vor zwei Jahrzehnten konzipiert hat.

O-Ton 4 - Alexandra Lenhard:

Professor Klauer hat damals versucht, und erfolgreich versucht, logisches Denken in ein Training, und zwar ein systematisches Training überzuführen. Und er hat Trainings für kleinere Kinder gemacht, für ältere Kinder und auch für Erwachsene. Und als Studentin hat mich das begeistert, weil wir da gelernt haben, okay, logisches Denken ist trainierbar.

Sprecherin:

Bei den Aufgaben des Programms müssen die Kinder Muster erkennen, zum Beispiel wie die Dreiecke und Würfel angeordnet sind im Spiel von Toni. Es gilt immer, eine allgemeine Regel zu finden, die hinter dem steht, was zu sehen ist. Das kann simpel sein wie im Fall der Dreiecke und Würfel, aber auch richtig schwer.

Musik

Sprecherin:

Intelligenz ist eines der umstrittensten Konzepte - oder wie Wissenschaftler sagen: Konstrukte - der ganzen Psychologie. Was aber genau ist Intelligenz? Ist sie im Alltagsleben des Einzelnen wichtig? Wie kommt es, dass manche anscheinend intelligenter sind als andere? Was sind ihre biologischen Grundlagen? Lässt sie sich steigern? Über all diese Fragen stritten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jahrzehntelang erbittert - und ein Stück weit tun sie es immer noch. Doch es gibt Fortschritte, versichert der Psychologie-Professor Aljoscha Neubauer von der Universität Graz.

O-Ton 5 - Aljoscha Neubauer:

Das Bonmot, das man viele Jahre gehört hat oder jahrzehntelang gehört hat, dass Intelligenz kein wohldefiniertes Konstrukt ist, dass es sogar möglicherweise so viele

Intelligenz-Definitionen gäbe, wie es Intelligenzforscher gibt, das gilt spätestens seit den neunziger Jahren nicht mehr.

Sprecherin:

Damals organisierte die US-amerikanische Psychologenvereinigung eine ausgewogen besetzte Taskforce von Intelligenzforschern. Der Vorsitzende war kein Intelligenzforscher, weil er nicht in die vielen Kontroversen verwickelt sein sollte. Heraus kam eine allgemein akzeptierte Definition, was das Wort Intelligenz im Kern bedeuten solle.

O-Ton 6 - Aljoscha Neubauer:

Die Definition lautet im Wesentlichen: Intelligenz ist die Fähigkeit, Probleme zu lösen, komplexe Probleme zu lösen, zum Teil, sie zu lösen, ohne auf Erfahrungen zurückzugreifen. Es ist die Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken. Und auch vor allem die Lernfähigkeit. Intelligenz hat viel zu tun damit, wie schnell jemand lernen kann, wie schnell jemand neues Wissen erwerben kann.

Sprecherin:

Das klingt, als ob Intelligenz ein ganzes Bündel von Fähigkeiten wäre, die nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben. Manche Autoren postulieren denn auch ganz verschiedene Intelligenzen. Die Sammlung des Psychologen und Bestseller­Autors Howard Gardner etwa reicht von der logisch-mathematischen über die musikalisch-rhythmische bis zur naturalistischen Intelligenz. Für das Gros der Forschenden aber ist das Phänomen Intelligenz etwas ziemlich Einheitliches.

O-Ton 7 - Aljoscha Neubauer:

Natürlich umfasst es dann auch verschiedene Unterbereiche, sowas wie sprachliche Fähigkeiten, räumlich-visuelle Fähigkeiten, numerisch mathematische Fähigkeiten. Es gibt noch eine Reihe anderer Faktoren. Trotzdem sagt man, es ist im Grunde genommen ein Konstrukt. Warum? Weil diese verschiedenen Teilfähigkeiten immer miteinander positiv korrelieren, das heißt sie hängen zusammen.

Sprecherin:

Schlussfolgerung: Hinter diesen scheinbar verschiedenen geistigen Fähigkeiten steht eine einzige, die sie alle möglich macht - nicht allein, aber zu einem guten Teil. Es ist schon lange klar, dass die Gene eines Menschen mindestens zur Hälfte festlegen, wie hoch die Intelligenz eines Menschen ist. Das zeigt sich daran, wie ähnlich eineiige Zwillinge in ihrer Intelligenz sind, die ja genau die gleichen Genvarianten besitzen, im Vergleich zu zweieiigen Zwillingen, die nur einen Teil der Genvarianten gemeinsam haben. Als es möglich wurde, relativ preiswert das vollständige Erbgut von Menschen zu analysieren, hofften viele Forscher, nun endlich jene Genvarianten zu finden, die über den angeborenen Beitrag zur Intelligenz entscheiden. Doch das erwies sich als schwierig, berichtet Lars Penke, Professor für Biologische Persönlichkeitspsychologie an der Universität Göttingen.

O-Ton 8 - Lars Penke:

Da ist mittlerweile rausgekommen, dass man da zwar ein bisschen was erklären kann. Wir kennen mittlerweile ein paar hundert Genvarianten, die mit Intelligenz ziemlich robust zusammenhängen, aber die erklären insgesamt bei weitem nicht so viele Unterschiede der Intelligenz, wie wir wissen, dass sie mit erblicher Information zusammenhängen müssen. Und dass ist ein relativ verblüffendes Problem, weil man da gemerkt hat, okay, mit den Ansätzen, die man da bisher hat, kann man, egal wie man's dreht und wendet, scheinbar nicht drankommen, dass man diese ganzen erblichen Unterschiede in der Intelligenz erklären kann.

Sprecherin:

Diese Studien haben ein Problem: Sie berücksichtigten nur Gene, von denen viele Menschen jeweils die eine oder die andere Variante im Erbgut tragen.

O-Ton 9 - Lars Penke:

Es gibt darüber hinaus aber auch noch seltene Genvarianten. Das sind Genvarianten, die im Extremfall nur eine Person hat, weil sie nämlich durch Mutation entstanden sind, als die befruchtete Eizelle zustande gekommen ist, aus der man entstanden ist und es ist tatsächlich so, dass jeder von uns mit einer nicht unwesentlichen Anzahl von Genvarianten rumläuft, die relativ spezifisch sind. Man kann also sagen, dass jeder mit ungefähr zwei bis drei Genvarianten, die auch tatsächlich was beeinflussen, die also an Stellen sitzen im Genom, wo sie tatsächlich auch was machen, auf die Welt gekommen sind, die weder der Vater noch die Mutter hat und die man auch mit keinen Geschwistern teilt.

Sprecherin:

Allerdings kann eine zunächst einmalige Variante vererbt werden, so dass auch eine Reihe von Nachkommen sie trägt. Das machten sich Penke und sein Team zunutze. Sie verglichen Genanalysen von gut 6000 Familien und ihrer weitläufigen Verwandtschaft, insgesamt untersuchten sie das Erbgut von 20.000 Menschen.

O-Ton 10 - Lars Penke:

Das haben wir uns angeschaut für Intelligenz. Und interessanterweise ist rausgekommen, dass wir einerseits die halbe Erblichkeit auch wieder durch häufige Genvarianten erklären konnten, wie es viele andere Studien vorher schon gezeigt haben. Aber dass wir die andere Hälfte der Erblichkeit, durch familienspezifische Genvarianten zeigen konnten. Und das war schon ein sehr, sehr interessanter Befund, weil es halt diese Lücke zwischen den Zwillings- und Familienstudien in der Erblichkeit und den molekulargenetischen Studien ziemlich gut zu füllen scheint.

Musik

Sprecherin:

Wovon Intelligenz abhängt, ist wichtig, weil sie über vieles im Leben mitentscheidet - etwa darüber, wie weit es eine Person im Beruf bringt und was sie verdient. Das haben Wissenschaftler des Kieler Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik um Michael Becker gemeinsam mit Kollegen vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in einer 2019 veröffentlichten Studie bewiesen (https://psycnet.apa.org/record/2019-42682-001). Für sie hatten gut 5000 repräsentativ ausgewählte deutsche Siebtklässler Intelligenztests ausgefüllt und dazu die Berufe der Eltern angegeben. 18 Jahre später überprüften die Forscher, was aus den Kindern geworden war. Es zeigte sich: Die schon in jungen Jahren feststellbare Intelligenz sagt den beruflichen Status und das Einkommen besser vorher als es der berufliche Status der Eltern tut. Aber auch bei Dingen im Leben, die auf den ersten Blick nicht viel mit geistigen Fähigkeiten zu tun haben, spielt die Intelligenz eine Rolle. So sind intelligentere Kinder als Erwachsene mit Mitte 40 deutlich häufiger verheiratet und seltener geschieden als weniger intelligente. Das ist nur einer von vielen verblüffenden Vorteilen höherer Intelligenz, auf die Ian Deary gestoßen ist, inzwischen emeritierter Psychologieprofessor der University of Edinburgh. Grundlage seiner Forschungen sind oft alte, fast vergessene Datenschätze.

O-Ton 11 - Ian Deary:

In 1932 and then again in 1947 Scotland ... in fact we found they were.

Sprecher (voice over Deary):

Schottland hatte 1932 und dann noch einmal 1947 sämtlichen elfjährigen Schulkindern den gleichen Intelligenztest gegeben. Wir haben danach gesucht, ob es die Daten noch gibt, und tatsächlich waren sie all die Jahre aufbewahrt worden.

Sprecherin:

Deary und sein Team fanden die alten Unterlagen in einem Bunker der zuständigen Behörde und bliesen den Staub von dem braunen Packpapier, in dem sie verschnürt waren. Was mochte aus den Schulkindern von damals geworden sein? Hatte es einen Einfluss auf ihr Leben, ob sie über eine hohe oder eine niedrige Intelligenz verfügten? Die Forscherinnen und Forscher spürten über 2000 der inzwischen 76­jährigen wieder auf. Es stellte sich heraus: Frauen mit deutlich unterdurchschnittlicher Intelligenz hatten bis dahin nur 71 Prozent der Überlebenschancen der durchschnittlich Intelligenten. Umgekehrt sah es am anderen Ende bei den Hochbegabten aus.

O-Ton 12 - Ian Deary:

Once you get up to 130 - . that our IQ at age 11.

Sprecher (voice over Deary):

Frauen im Alter von 76 Jahren sind mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit noch am Leben, wenn sie einen IQ von über 130 haben. Einen so hohen IQ haben nur zwei Prozent der Bevölkerung.

Sprecherin:

Ähnliches zeigte sich bei gut 4000 früheren Angehörigen der US-Armee. Die Männer im untersten IQ-Bereich ereilte der Herztod viermal häufiger als die im obersten. Ein niedriger Intelligenzquotient war damit genau so riskant wie das Rauchen.

Musik

Sprecherin:

Woher mag der Einfluss der Intelligenz kommen? Eine mögliche Erklärung liegt auf der Hand und fiel auch Ian Deary sofort ein.

O-Ton 13 - Ian Deary:

We have done and others have ... education and occupational social class.

Sprecher (voice over Deary):

Wir und andere haben uns intensiv mit der Frage beschäftigt, ob die Bildung und die Schichtzugehörigkeit die Auswirkungen des IQ auf die Sterblichkeit erklären können. Tatsächlich nimmt die Bedeutung der Intelligenz ab, wenn man Bildung und soziale Schicht berücksichtigt.

Sprecherin:

Das ist plausibel - ein bescheidener Schulabschluss verbannt viele an einen gesundheitlich riskanten Arbeitsplatz in der Fabrik, während Gebildetere im gesünderen Büro sitzen. Sie verdienen mehr und können sich so ein gesünderes Leben leisten. Aber selbst wenn dies berücksichtigt wird, verschwindet der Einfluss der Intelligenz nur zum Teil. Es muss weitere Erklärungen geben. Eine davon lautet aller Wahrscheinlichkeit nach: Intelligente Menschen achten mehr auf ihre Gesundheit.

O-Ton 14 - Ian Deary:

With regard to health behaviors, ... that kind of things.

Sprecher (voice over Deary):

In einigen britischen Studien haben wir gefunden, dass der IQ in der Kindheit tatsächlich damit zusammenhängt, wie gesund jemand später lebt. Wer früh einen hohen IQ hatte, ernährt sich später gesünder, isst mehr Obst und Gemüse, weniger Chips, mehr Vollkornbrot und weniger Weißbrot.

Sprecherin:

Da ein höherer IQ viele Vorteile bietet, versuchen mehr oder weniger ernstzunehmende Experten immer wieder, die Intelligenz zu trainieren und zu steigern. Bei den Methoden ist von Kaugummikauen über „Clever-Schokomilch“ bis zu diversen Gehirnjogging-Trainings alles dabei. Für gewöhnlich rümpft die Fachwelt die Nase. Aber ein Versuch machte vor einem guten Jahrzehnt selbst dort Furore. Das Team des inzwischen emeritierten Berner Psychologieprofessors Walter Perrig ließ Versuchspersonen am Computer eine Aufgabe trainieren, die unglaublich anspruchsvoll wird, aber ganz einfach anfängt. Die Probanden müssen eine Taste drücken, sobald der fleißig Buchstaben herunter betende Computer zweimal hintereinander den selben Buchstaben zeigt.

O-Ton 15 - Walter Perrig:

Ich gehe jetzt mal los. (Computer: p, q, q) Jetzt. (Computer: p, w, w) Jetzt. (Computer: w, w) Jetzt. (Computer: p, h, q, q) Jetzt drück‘ ich. (Computer: h, h). Nochmals. (Computer: h, h) Nochmals. .

Sprecherin:

So weit, so simpel. Aber dann kommt es darauf an, ob der neue Buchstabe mit dem vorletzten identisch ist. Dann mit dem vorvorletzten. Und so weiter.

O-Ton 16 - Walter Perrig:

Der neunte Buchstabe vorher, wenn das ein g war, und jetzt kommt der, muss ich die Taste drücken. Das geht erst nach langem Training. Das ist zehn oder so Wochen Training. Bestimmte Leute schaffen das noch. Und man hat überhaupt keine Erklärung.

Sprecherin:

Keine Erklärung dafür, warum Menschen das trainieren können... Andere Wissenschaftler haben in Hunderten von Studien versucht, diesen Effekt zu wiederholen, aber gute Belege stehen immer noch aus. Wahrscheinlich waren die mühsamen Gedächtnisübungen der Versuchspersonen umsonst.

O-Ton 17 - (Atmo) Toni / Lenhard: Computerspiel

Sprecherin:

Das Intelligenz-Training, das der achtjährige Toni bei der Psychologin Alexandra Lenhard macht, ist zumindest unterhaltsamer. Damit die Kinder nicht die Lust verlieren, sind die Aufgaben in die Geschichte der zwei Elfenkinder Elfe und Mathis eingebettet.

O-Ton 18 - Alexandra Lenhard:

Und die beiden Kinder, die haben die Aufgabe, den blauen Diamanten der Weisheit in den Bergen zu suchen und machen sich da auf die Suche und gehen einen Weg entlang. Sie kommen durch einen Wald, sie kommen durch eine Schlucht und so weiter und so fort und kommen am Schluss in die Berge und das ist eben das Endziel. Und sie kommen eben nur voran, wenn man sukzessive immer mehr, immer schwierigere Aufgaben löst.

Sprecherin:

Es geht beispielsweise darum, wie sich Dinge logisch entwickeln.

O-Ton 19 - Toni und Alexandra Lenhard:

Elfe: Welches Bild steht nicht an der richtigen Stelle? Lenhard: Oh, was siehst Du denn da, Toni? Kannst Du mal beschreiben, was Du da siehst? Toni: Da sehe ich, die macht einen Kaugummi oder einen Ballon und die bläst auf und da ist die kleinste Variante vor dem letzten. Lenhard: Genau das sind fünf verschiedene Bilder und Elfe bläst einen Ballon auf. Okay: Und wenn man so einen Ballon aufbläst, na, dann ist er erst... Toni: klein, ganz klein, dann ein bisschen größer, dann ein bisschen größer wieder, dann noch ein bisschen größer... Lenhard: Und am Schluss... Toni: Und dann am Ende platzt er. Lenhard: Am Ende platzt er, na? Also dann klick' mal die richtige Reihenfolge an. (hörbares Klicken: Computer spielt Tonfolge für richtig). Elfe: Gut erkannt. Hier wird ein Luftballon aufgeblasen. Am kleinsten ist der Luftballon doch eigentlich ganz zu Beginn.

Sprecherin:

Kann dieses Training wirklich die Intelligenz des achtjährigen Toni fördern? Als Professor Klauer vor 20 Jahren die Förderprogramme vorstellte, auf denen auch „Elfe und Mathis“ basiert, waren zahlreiche Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftler skeptisch. Denn viele Versuche, die Intelligenz von Kindern zu erhöhen, hatten nur wenig gebracht. So schlug Klauer jede Menge Kritik aus der Wissenschaft entgegen.

O-Ton 20 - Alexandra Lenhard:

Viele Leute haben ihm gesagt, das geht nicht, dass Du eben logisches Denken fördern kannst. Ja, und da gab's sozusagen eine wissenschaftliche Schlacht, die ist über viele Jahre hinweg ist die hin- und hergegangen und es kamen immer wieder neue Kritikpunkte von wegen ja, du hast jetzt zwar gezeigt, dass das wirkt, aber du hast zum Beispiel nicht gezeigt, dass es Langzeiteffekte gibt, du hast nicht gezeigt, dass es Transfereffekte gibt, also dass sich das zum Beispiel auch auf Schulleistungen auswirkt.

Sprecherin:

Also machte sich Professor Klauer immer und immer wieder an die Arbeit. Er konnte beweisen, dass seine Trainings tatsächlich die Intelligenz erhöhen, um fünf bis zehn IQ-Punkte. Von einem durchschnittlichen IQ bis zur Grenze der Hochbegabung sind es 30 Punkte. Der Zuwachs, den Klauers Programme bewirken können, ist also nicht riesig, aber auch nicht zu verachten. Ähnlich stark verbessern sich die Schulnoten. Ob die Verbesserungen auch über Jahre anhalten, wurde bisher nicht untersucht. Aber selbst wenn nicht: Die Trainings sind nur kurz, Elfe beispielsweise dauert insgesamt zehn Stunden. Es empfiehlt sich daher sicher, das Gehirn mit ähnlichen Aufgaben weiter auf Trab zu halten. Das ist natürlich mühsam.

Musik

Sprecherin:

Geht das nicht auch einfacher? Lässt sich das Gehirn vielleicht irgendwie direkt verändern? Ein Experte für solche Fragen ist der Psychologie-Professor Richard Haier, lange an der University of California in Irvine tätig. Er hat erforscht, wie die Gehirne von intelligenten und weniger intelligenten Menschen aussehen. Eine seiner Studien belegt, was viele für eine längst überholte, absurde Vorstellung halten.

O-Ton 21 - Richard Haier:

We now have very sophisticated neuroimaging... something as simple as brain size.

Sprecher (voice over Haier):

Wir haben mittlerweile sehr ausgefeilte bildgebende Verfahren, die die Gehirnstrukturen und die Gehirngröße millimetergenau erfassen. Und wir können nun die Gehirngröße zu den Ergebnissen ausgefeilter Intelligenztests in Beziehung setzen. Es gibt Zusammenhänge. Die Zusammenhänge sind nicht perfekt, aber die Intelligenz lässt sich teilweise auf so etwas Simples wie die Gehirngröße zurückführen.

Sprecherin:

Ausschließlich auf die Hirngröße zu sehen, wäre allerdings zu simpel. Forscher wie Haier können inzwischen eingrenzen, welche Teile des Gehirns mit intelligentem

Denken beschäftigt sind. Sie sitzen vor allem ganz vorne im Gehirn, ganz hinten und an den Seiten. Sie sind miteinander verbunden, sodass Netzwerke entstehen.

O-Ton 22 - Richard Haier:

These different brain areas are related ... and score higher on IQ tests.

Sprecher (voice over Haier):

Diese Hirnbereiche hängen mit der Intelligenz zusammen und miteinander. Sie sprechen miteinander. Sie kommunizieren über diese Netzwerke im Gehirn. Und es zeigt sich, dass die Art, wie Information in diesen Netzwerken von einem Teil des Gehirns zu einem anderen weitergegeben wird, relevant für die Frage ist, warum manche Menschen Probleme besser und schneller lösen als andere. Mit anderen Worten, warum manche schlauer sind und bei IQ-Tests höhere Werte erzielen.

Sprecherin:

Man könnte nun vermuten, dass bei besonders intelligenten Menschen die fürs Denken zuständigen Strukturen heiß laufen, wenn sie besonders stark gefordert sind. Doch keineswegs.

O-Ton 23 - Richard Haier:

One of the surprising findings . rather how efficiently the brain was working.

Sprecher (voice over Haier):

Eines der überraschenden Ergebnisse - und das ist ein sehr frühes Ergebnis, das wir 1988, vor langer Zeit, veröffentlicht haben - waren Belege dafür, dass es für die Intelligenz nicht darauf ankommt, wie hart das Gehirn arbeitet, sondern wie effizient es arbeitet.

Sprecherin:

Mit anderen Worten: Das Gehirn von besonders intelligenten Menschen strengt sich weniger an als das von anderen. Es hat gelernt, Denkaufgaben mit weniger Aufwand zu erledigen. Das geht offenbar dann, wenn die Nervenzellen effizienter miteinander verdrahtet sind.

O-Ton 24 - Richard Haier:

So this is fascinating that every few years . to make people smarter.

Sprecher (voice over Haier):

Es ist faszinierend, wie die Forschung alle paar Jahre tiefer und tiefer ins Gehirn vordringt. Es fing mit der Größe an, ging mit den Netzwerken weiter und nun sind wir bei den Gehirnzellen und ihrer Struktur. Und für alles, was wir finden, tauchen zwei neue Geheimnisse auf. Es ist ein ewiges Forschungsprogramm, um zu dem Punkt zu gelangen, an dem wir genügend wissen, um das System zu ändern, um Menschen schlauer zu machen.

Musik

Sprecherin:

Schlauer werden, indem man eine Pille nimmt, statt das Gehirn langwierig zu trainieren? Versuche, die Intelligenz wenigstens vorübergehend zu heben, gibt es genug. Nicht wenige Studierende schlucken vor Prüfungen beispielsweise Ritalin, das eigentlich für Kinder mit ADHS vorgesehen ist. Ob es viel hilft, ist zweifelhaft. Auch sonst fehlt es nicht an Ideen. Der Grazer Psychologie-Professor Aljoscha Neubauer hat eine untersucht: die transkranielle Stimulation, bei der am Schädel angebrachte Elektroden schwache Ströme im Gehirn erzeugen.

O-Ton 25 - Aljoscha Neubauer:

Im Wesentlichen weiß man, dass bestimmte zum Beispiel Gedächtnisprozesse besser funktionieren, wenn das Gehirn in einem bestimmten Schwingungszustand ist. Zum Beispiel Thetawellen von vier bis sieben Hertz. Also versucht man zum Beispiel, mit Thetawellen von außen zu stimulieren in der Annahme, dass das Gehirn dann auch in dem Areal mitschwingt. Das tut es auch tatsächlich, nur, die Befunde, ob das dann wirklich die Intelligenz steigert, die sind derzeit noch sehr kontrovers.

Sprecherin:

Auch Richard Haier sieht derzeit noch keine Möglichkeit, die Gehirnleistung künstlich zu erhöhen. Aber er würde das sehr begrüßen.

O-Ton 26 - Richard Haier:

People who are now unemployable... intelligence would be a pretty big thing.

Sprecher (voice over Haier):

Leute finden keine Arbeit, weil sie die Fähigkeiten nicht erlernen können, die sie dafür bräuchten. Leute, die in schlechten Jobs festhängen, könnten bessere Jobs bekommen, mehr verdienen und vielleicht ein interessanteres Leben führen. Werden sie so glücklicher? Wer weiß? Werden sie netter? Wer weiß. Werden Sie ehrlicher? All das hat mit Intelligenz nichts zu tun, aber die Intelligenz zu erhöhen, wäre trotzdem eine ziemlich große Sache.

Sprecherin:

Allerdings würden neue Methoden zur Steigerung der Intelligenz nicht unbedingt vorrangig den Benachteiligten zugutekommen. Richard Haier stellt da noch ganz andere Überlegungen an.

O-Ton 27 - Richard Haier:

More people are starting to recognize ... and figure out what they do.

Sprecher (voice over Haier):

Immer mehr Leute erkennen, wie wichtig Intelligenz ist, nicht nur für Einzelne, sondern für ganze Länder. Hinter einem guten Teil der Wirtschaftskraft und dem Reichtum eines Landes stehen Wissenschaft und Technik und die werden von schlauen Leuten vorangebracht. Ein heimliches Rennen ist schon in vollem Gange. Die Chinesen machen kein Geheimnis aus ihrem Drang, Intelligenz-Gene zu finden und herauszufinden, was sie machen.

Sprecherin:

Doch noch ist Intelligenz zum Schlucken oder aus der Steckdose Science-Fiction. Tonis Stunde mit der Psychologin Alexandra Lenhard und seinem Lernprogramm geht langsam zu Ende. Eine letzte Aufgabe bleibt noch. Der Computer zeigt Bilder von Gegenständen, die zugeordnet werden müssen.

O-Ton 28 - Toni und Alexandra Lenhard:

Elfe: Was benutzt man zusammen? Verbinde jeweils die zwei, die zusammenpassen. Toni: Und jetzt das Glas und den Teller. Ne, den Glas und das Apfelsaft und die Messer und die Gabel und zum Teller. Lenhard: Dann, schau‘ mal, ob es richtig war. Klicken. Melodie für richtig. Toni: Jaaaaa. Elfe: Das Besteck gehört zum Teller, der Saft zum Glas und die Kanne zur Tasse. Lenhard: So, dann gucken wir mal, ob wir schon am Ende des Waldes angelangt sind. Gucken wir mal. Elfe: Schau mal, da vorne ist das Waldende, dann haben wir unser Ziel für heute erreicht.

Musik

Sprecherin:

Einstweilen bleiben traditionelle Möglichkeiten wie Hilfen für benachteiligte Familien bei der Kinderbetreuung, gute Schulen oder auch gezielte Trainings wie das mit Elfe und Mathis, auch wenn sie fast schon altmodisch anmuten. Aber dafür funktionieren sie nachweislich, immerhin bis zu einem gewissen Grad.

Musik

*****