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Schlitzohren am Werk
 Kommunale Heizspiegel
von Jochen Paulus
(Zeit 3.5.2001)

Im Vergleich zu zehn Milliarden Mark ist der Jackpot beim Lotto gar nichts. Zehn Milliarden Mark zu viel geben aber die 18 Millionen Mieter in deutschen Mehrfamilienhäusern für Öl und Gas aus - und zwar Jahr für Jahr. Einsparen ließe sich das Geld, wenn wenigstens die besonders luftig gebauten Häuser besser gedämmt würden und Isolierfenster verpasst bekämen; nebenbei blieben der Umwelt 30 Millionen Tonnen des Treibhausgases CO2 erspart. Der Modernisierungsaufwand würde sich oft rasch bezahlt machen. Das Geld liegt auf der Straße.

Trotzdem sammelt es kaum jemand ein. Niedrigere Heizkosten kämen den Mietern zugute, die Hauseigentümer aber müssten die Handwerkerrechnungen begleichen, deshalb halten sie sich zurück. Die Mieter wiederum wissen dank geheimnisvoller Heizkostenabrechnungen oft nicht genau, was die Wärme sie eigentlich kostet. Und meist ahnen sie nicht einmal, dass es auch billiger ginge - ganz zu schweigen davon, dass ihnen Mittel und Recht fehlen, den unerfreulichen Zustand zu ändern. Beide, Mieter und Vermieter, sind im Investor-Nutzer-Dilemma gefangen - eine Herausforderung für Schlitzohren.

Auftritt Johannes Hengstenberg, beredter Inhaber der Münchner ArbeitsGruppe Energie (AGE). Das kleine Beratungsunternehmen ist ausgezogen, den Leuten die Wahrheit über ihre Heizkosten nahe zu bringen, Stadt für Stadt. Ihr Werkzeug sind so genannte kommunale Heizspiegel, wie sie bis jetzt für 15 Orte von Kiel bis München erstellt wurden. Errechnet etwa aus den Daten von Heizungsablesefirmen, verraten sie, wie viel Liter Öl oder wie viel Kubikmeter Gas am Ort normal sind. Wenn dann im zweiten Schritt Mieter ihre Heizkostenabrechnungen einschicken, kann ihnen die AGE leicht sagen, wie ihre Behausung im Vergleich abschneidet. Gehört sie womöglich zu den zehn Prozent Spitzenverbrauchern, bei denen dringend etwas getan werden müsste, schon weil die Bewohner nicht selten das Doppelte von Sparverbrauchern bezahlen? Würde allein diese Spitzengruppe saniert, ließen sich schon zehn Prozent des Brennstoffs für Zentralheizungen nebst den zugehörigen Emissionen einsparen.

Natürlich braucht eigentlich kein Fachmann einen örtlichen Vergleichsmaßstab, um zu erkennen, dass mit einem Gebäude dieses Schlags etwas faul ist. Das verrät ihm die hohe Rechnung ohnehin. Zwar berücksichtigen kommunale Heizspiegel in der Theorie das örtliche Klima, doch in der Praxis weisen sie für das sonnige München einen höheren Verbrauch aus als für das kühle Kiel. Schuld ist der schlechte Zustand der bajuwarischen Gebäude. Ob es deswegen bei der Bewertung mildernde Umstände für einen Verschwender geben sollte, der in München gerade noch durchkommt, aber in Kiel zu den zehn Prozent Schmutzfinken gezählt würde, ist schon die Frage.

Aber so denken die Schlitzohren von der AGE nicht. Die Pragmatiker wollen, dass sich überhaupt etwas tut. Darum agieren sie im lokalen Rahmen, und jeder wird an seinem kommunalen Heizspiegel gemessen. In München etwa unterstützen die Stadt und der Mieterverein die Aktion, die Abendzeitung trommelt regelmäßig zum Mitmachen.

"Unsere Arbeit wäre unnötig, wenn die Abrechnungen okay wären"

Die Methode zeitigt Erfolge, wie die vor kurzem fertig gewordene Analyse von fünfjährigen Bemühungen in der Bayern-Metropole zeigt. "Wir haben in München eine gewaltige Modernisierungswelle ausgelöst", berichtet AGE-Chef Hengstenberg begeistert. Ein Viertel der von ihren Mietern informierten Hausbesitzer machte sich ans Modernisieren, ein weiteres Fünftel hat dies vor. Nach den Kalkulationen der AGE dürfen sich die örtlichen Handwerker über Aufträge im Wert von 170 Millionen Mark freuen, die letztlich dem Klima zugute kommen. "Ich kann es immer noch nicht glauben", freut sich Hengstenberg.

Gelinde Zweifel können in der Tat nicht schaden, denn von den angeschriebenen Mietern reagierte nur ein Fünftel, und auf ihren Angaben fußt die ganze Rechnung. Womöglich haben sich vor allem Mieter gemeldet, die Erfolge mitzuteilen hatten - dann wäre die Erfolgsbilanz natürlich geschönt. Gelohnt hätte sich die Sache trotzdem, denn die Strategie ist billig. "Wenn eine Stadt uns eine Mark gibt, machen wir daraus 1000 Mark Umsatz", triumphiert Hengstenberg.

Auch für die Hausbesitzer rechnet sich die Dämmung ihrer Energieschleudern, vor allem wenn die Fassade ohnehin mal wieder verputzt werden muss. Denn sie können einen erklecklichen Betrag in Form einer Mieterhöhung weiterreichen. Den Mietern tut dies nicht weiter weh, weil sie in Zukunft weniger Heizkosten überweisen müssen - oft gewinnen sie unterm Strich sogar.

Obwohl also alle glücklich werden könnten, reichte in München nur jeder zweite Mieter die Ergebnisse des Heizenergie-Checks der AGE an den Wohnungseigentümer weiter - der Rest fürchtete, zumal in kleineren Gebäuden, um den Hausfrieden. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Analyse auf dringenden Sanierungsbedarf deutete oder nicht. Noch erstaunlicher und in den Augen von Hengstenberg ein "erschütterndes Ergebnis": Wenn ihr Haus schlechte Noten erhielt, sanierten die Besitzer kaum häufiger als bei einem passablen Zeugnis. Offenbar wirkt allein der Denkanstoß, die Feinheiten interessieren weniger. Ein erhebliches Maß an Wurstigkeit enthüllen die Heizenergie-Checks regelmäßig auch woanders. Häufig sind Öl- und Gasheizungen zu groß für das Haus und dadurch unwirtschaftlich. Nach dem Motto: "Wenn der sibirische Winter kommt, wollen Sie doch nicht frieren", raten die Heizungsplaner gern, die Anlage doch lieber eine Nummer größer zu nehmen. Dann klagt der Kunde garantiert nicht über zu kalte Stuben, und nebenbei lässt sich so mehr verdienen. Außerdem bestellen viele Hausbesitzer bei den Stadtwerken weit mehr Gas oder Fernwärme, als jemals gebraucht wird - allein diese Schludrigkeit kostet deutsche Mieter jedes Jahr eine Milliarde Mark in Form von zu hohen Grundgebühren. Dazu kommen 600 verschenkte Millionen für überflüssigen Strom, den die Heizungspumpen nur deshalb schlucken, weil sie schlecht geregelt sind.

All diese verräterischen Informationen lassen sich den Heizkostenabrechnungen entnehmen, wie sie jährlich Mietern und Besitzern von Eigentumswohnungen ins Haus flattern. Doch für deren Exegese braucht es Fachleute wie die Münchner Spezialisten für kommunale Heizspiegel. "Unsere ganze Arbeit wäre gar nicht nötig, wenn die Abrechnungen besser wären", kommentiert Hengstenberg. "Bitte macht uns überflüssig."

 

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