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Woran hat’s gelegen? Psychologie nach Zahlen: 6 Faktoren,
die über Erfolg oder Scheitern einer Psychotherapie mitbestimmen. |
40 bis 70 Prozent der Behandelten geht es nach einer Psychotherapie
nennenswert besser – je nach Studie und Definition. Doch bis zu zehn Prozent
leiden danach sogar mehr, und beim Rest hat sich nicht viel getan. Wovon
hängt das Resultat einer Behandlung ab und wie ließe sich die
Erfolgsstatistik verbessern? 1. Der „falsche Patient“
Zu einem guten Teil steht der Ausgang bereits fest, wenn die Patientinnen
und Patienten erstmals das Sprechzimmer betreten. Schlechte Chancen haben
Hilfesuchende mit geringer Schulbildung. Wer einen Hochschulabschluss hat,
bringt die Therapie nur in 13 Prozent der Fälle nicht zu einem befriedigenden
Abschluss, bei einem Hauptschulabschluss hingegen liegt die Quote bei 23
Prozent, wie eine Auswertung von fast 2000 Therapien an der Universität Mainz
zeigt. Die Gründe sind unklar. Vergleichsweise gute Behandlungserfolge ergeben sich bei Depressiven und
Ängstlichen, während Menschen mit Persönlichkeitsstörungen schlechte
Erfolgschancen haben, genau wie solche, die zwischen manischen und
depressiven Phasen wechseln oder an den Folgen eines Traumas leiden.
Ungünstig ist es auch, wenn jemand mehrere Störungen mitbringt. Natürlich stellt sich die Frage, ob Fehlschläge wirklich auf die Eigenheiten
der Behandelten zurückzuführen sind oder eher auf die Probleme der
Behandelnden, mit diesen Eigenheiten umzugehen. Manche Therapeutinnen und
Therapeuten tun sich zum Beispiel mit Menschen, die an Borderline leiden und
zu Gefühlsausbrüchen neigen, so schwer, dass sie erst gar keine behandeln. Doch die Behauptung, dass sie sich stattdessen nur auf pflegeleichte
Yavis-Patientinnen und -Patienten konzentrieren (young, attractive,
verbal, intelligent, successful), hat sich als unzutreffend
herausgestellt. 2. Die richtige Therapie
In der Therapieforschung glauben manche, dass alle Behandlungsformen von
der Psychoanalyse bis zur Hypnose gleich gut helfen. Andere akzeptieren das
höchstens für einzelne Probleme. Depressionen
etwa lassen sich mit verschiedenen Methoden einigermaßen erfolgreich
behandeln. Bei den Ängsten jedoch scheint die Verhaltenstherapie überlegen zu
sein – was die Psychoanalytiker selbstredend bestreiten. Klar ist aber, dass
es für die Wirksamkeit vor allem der Verhaltenstherapie sehr viel mehr Belege
für sehr viel mehr Probleme gibt als etwa für die systemische Therapie, was
aber auch an deutlich mehr Forschungsgeldern für die Verhaltenstherapie
liegt. 3. Wenn Wünsche wahr werden
Eine Binsenweisheit behauptet: Wenn ein Patient oder eine Patientin eine
Therapie erhält, die nicht selbst gewählt wurde, kann das ja wohl nichts
werden. Aber das ist falsch. Zwar brechen die Behandelten lediglich 19
Prozent der gewünschten Therapien ab, aber 34 Prozent der ungeliebten, doch
geht es denen, die ihren Wunsch erfüllt bekamen, nach Abschluss der Therapie
nicht besser als den anderen, so eine große Metaanalyse aus England. In der deutschen LAC-Studie
(Langzeittherapie bei chronischen Depressionen) durften die Teilnehmenden
wählen, ob sie mit etwa 250 Stunden Psychoanalyse oder mit etwa 50 Stunden
Verhaltenstherapie behandelt werden wollten. Wenn jemand keine Vorliebe
hatte, entschied der Zufall. Auch hier zeigte sich: Statt den Wunsch zu
erfüllen, kann man auch würfeln. Am Therapieerfolg ändert sich nichts. 4. Die Guten und die Schlechten
Nicht alle beherrschen die Therapiekunst gleich gut. In einer großen
Studie von Michael Lambert gesundeten bei den erfolgreichsten Therapeutinnen
und Therapeuten 22 Prozent der Behandelten vollständig, bei denen mit der schlechtesten
Bilanz waren es nur 15 Prozent. Bei den Quoten der zumindest deutlich
Gebesserten verhielt es sich ähnlich. Und nach einer Therapie bei den
erfolgreichsten Behandlern ging es nur fünf Prozent schlechter, hingegen elf
Prozent, wenn eines der Schlusslichter am Werk war. Therapieforscher Bruce
Wampold fand sogar Praktizierende, die während seiner dreijährigen
Studie keinem einzigen Patienten helfen konnten. Er schlägt den Krankenkassen
vor, die Erfolgsbilanz zu kontrollieren und die Schlechtesten nicht mehr zu
bezahlen, wenn sie ihre Leistung nicht verbessern. 5. Nicht nur Beziehung
Viele halten die Qualität der Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin
für das Wichtigste überhaupt in einer Behandlung – weshalb der Mannheimer
Psychiatrieprofessor Martin
Bohus einmal von einer „heiligen Kuh“ sprach. Die therapeutische
Beziehung allein garantiert keinen Therapieerfolg. Wichtig ist auch, dass der
Patient den Therapeuten für kompetent hält – unabhängig vom persönlichen
Draht. In einer deutschen Studie mit Angstpatienten beurteilten nur fünf
Prozent die therapeutische Beziehung im Rückblick als hilfreich, aber 60
Prozent die konkreten Übungen. Paradoxerweise führen gute therapeutische Beziehungen laut einer großen
Studie von Uwe
Altmann sogar zu mehr Therapieabbrüchen. Mögliche Erklärung:
Wenn die Therapeutin zu sehr mit der Patientin mitschwingt, stellt sie deren
Sicht der Dinge nicht mehr ausreichend infrage und kann ihr deshalb keine
neuen Wege zeigen. 6. Das Ruder herumreißen
Wenn eine Patientin in der Therapie nur geringe Fortschritte macht oder
ihr Befinden sich sogar verschlechtert, müsste der Therapeut die Behandlung
anpassen. Doch das gelingt oft nicht, schon weil die Alarmzeichen häufig gar
nicht bemerkt werden. Deshalb hat die Therapieforschung Frühwarnsysteme
entwickelt. Fragebögen erfassen, was los ist, und ein Computer meldet auf
dieser Basis, ob es Probleme gibt und wo – etwa in der therapeutischen
Beziehung oder der Motivation. Gefahr im Verzug ist etwa bei folgender Aussage im „Trierer
Therapie-Navigator“ von Wolfgang Lutz: „Ich frage mich, was ich in
der Therapie mache, ich finde sie eigentlich langweilig.“ ■ Literatur
Nicole E. Nelson, Wolfgang Hiller: Therapeutischer Misserfolg in der
ambulanten Psychotherapie. Zeitschrift
für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 42/4, 2013, 217–29, https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000223 Emma Windle u.a.:
Association of Patient Treatment Preference With Dropout and Clinical
Outcomes in Adult Psychosocial Mental Health Interventions: A Systematic
Review and Meta-analysis. JAMA Psychiatry, 77/3, 2020, 294–302, https://doi.org/10.1001/jamapsychiatry.2019.3750 Marianne
Leuzinger-Bohleber u.a.: Outcome of Psychoanalytic and Cognitive-Behavioural
Long-Term Therapy with Chronically Depressed Patients: A Controlled Trial
with Preferential and Randomized Allocation. The Canadian Journal of
Psychiatry, 64/1, 2018, 47–58, https://doi.org/10.1177/0706743718780340 Michael J. Lambert:
Prevention of treatment failure: The use of measuring, monitoring, and
feedback in clinical practice. American Psychological Association,
Washington 2010, https://doi.org/10.1037/12141-000 Uwe Altmann u.a.: Abbrüche
antragspflichtiger ambulanter Psychotherapien: Häufigkeit,
Risikofaktoren, Outcome. Psychiatrische Praxis, 41/6, 2014, 305–312 |