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Freunde fürs Leben – Wie wir sie finden und warum wir sie
brauchen |
Audio herunterladen (26,1 MB | MP3) SWR2 Wissen Freunde fürs
Leben – Wie wir sie finden und warum wir
sie brauchen Von
Jochen Paulus Sendung: Mittwoch, 19. Mai 2021, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Tobias Krebs Produktion: SWR 2021 Mit fünf
Freunden kommen wir gut durchs Leben. Denn Anzahl und Qualität unserer
Freundschaften beeinflussen unser psychisches und körperliches Wohlbefinden
sowie unsere Gesundheit. SWR2 Wissen können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast
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Musik (unter nächsten Sprechertext)
Sprecherin:
Freundschaft. Dichter haben sie
verklärt, Forscher herausgefunden, dass wir ohne sie eine kürzere
Lebenserwartung haben. Aber warum ist sie so wichtig? Und wieso haben wir
gerade die Freundinnen und Freunde, die wir haben? Gibt es überhaupt wahre,
selbstlose Freundschaften oder versprechen wir uns doch immer einen Nutzen?
Für die Psychologie-Professorin Cornelia Wrzus von der Universität Heidelberg
ist das scheinbar einfache und alltägliche Phänomen Freundschaft erst einmal
ein Rätsel. O-Ton 1
- Cornelia Wrzus: Also eigentlich sind
Freundschaften psychologisch sehr spannend, weil vorab, bevor man sich kennt,
sind das ja Beziehungen zu Unbekannten. Man ist mit der Person nicht
irgendwie verwandt, man möchte mit der Person keinen Nachwuchs zeugen, was
aus evolutionärer Sicht irgendwie naheliegend ist, warum man mit anderen,
nicht verwandten Personen Kontakt hat, und das wird dann manchmal auch in der
Forschung als „Paradox der Freundschaft“ bezeichnet. Musik weg
Ansage:
„Freunde
fürs Leben – Wie wir sie finden und warum wir sie brauchen“. Von
Jochen Paulus. O-Ton 2
- Cornelia Wrzus: Und man geht aber einfach davon
aus, dass Freundschaften, weil man sie freiwillig eingeht, auch einen sehr
positiven Charakter haben und darüber und über die Hilfe, die sie leisten
können, also die man sich in Freundschaften manchmal auch gegenseitig gibt,
einen Mehrwert für uns Menschen darstellen, um im Alltag oder im Leben
einfach besser zurechtzukommen. Also sie sind positiv in den meisten Fällen
und sie basieren auf Reziprozität, dass man sich eben gegenseitig
unterstützt. Sprecherin:
Gegenseitige Unterstützung?
Natürlich, wer wollte widersprechen? Und doch steckt darin ein Problem. Sind
Freundschaften am Ende auch deshalb paradox, weil sie letztlich doch
Geschäfte auf Gegenseitigkeit darstellen? Enden sie, wenn das Verhältnis von
Geben und Nehmen nicht mehr stimmt? Doch davon später und zunächst zu den
schönen Seiten der Freundschaft. Der 60-jährige Münchner Karrierecoach
Bernhard pflegt seit über 30 Jahren eine enge Freundschaft zu der
Heidelberger Psychotherapeutin Christina. Weil sie so weit voneinander weg
wohnen, sehen sie sich nicht oft und doch: O-Ton 3
- Bernhard: Diese Freundschaft ist mir
sehr, sehr, sehr wichtig. Es ist, glaube ich die Person, die mir eine der
wichtigsten überhaupt ist. Und ja, diese Freundschaft gibt mir, wie soll ich
das sagen, das ist so einfach so eine Art seelischer Backup. Ich weiß, wenn
irgendetwas Schönes ist, oder etwas Schwieriges, etwas Bedrohliches, etwas
Trauriges ist - ich weiß immer, dass ich zu diesem Menschen gehen kann und
ich weiß immer, dass dieser Mensch ein Gehör hat für mich. Sprecherin:
Sich aufeinander verlassen
können, das ist für viele in einer Freundschaft ganz wichtig. O-Ton 4
- Bernhard: Jeder hat den anderen schon
einmal, mehrfach sogar gestützt, also ob das jetzt traurige Momente mit dem
Partner, mit der Partnerin sind oder berufliche Dinge, diese Stütze, die habe
ich in dieser Freundschaft immer und zu jeder Zeit erfahren, das ist etwas
ganz Großartiges und Wertvolles. Sprecherin:
Freundschaften haben gegenüber
den meisten anderen Arten von Beziehungen einen entscheidenden Vorteil, an
den viele gar nicht gleich denken. Doch für Experten wie den in Jena
lehrenden Psychologie-Professor Franz Neyer ist er zentral: Wir können sie
frei beginnen und gestalten. O-Ton 5
- Franz Neyer: Sie sind auf Freiwilligkeit
gegründet und dadurch können Sie eine ganz andere Qualität als solche
Rollenbeziehungen oder andere Beziehungen, die im Korsett der Familie und
Nachbarschaft gefangen sind, erfüllen. Sprecherin:
Kein Wunder also, dass wir uns
wohl fühlen, wenn wir mit Freundinnen oder Freunden zusammen sind. Sonst
würden wir uns gar nicht mit ihr oder ihm treffen. O-Ton 6
- Cornelia Wrzus: Dieses gut fühlen, das haben
wir in verschiedenen Studien immer wieder gesehen, dass wenn man Menschen
danach fragt, wie sie sich fühlen und gleichzeitig die Information hat, mit
wem sie gerade Zeit verbringen, ist es in unseren Studien, aber auch in
anderen, hat es sich gezeigt, dass Menschen sich etwas besser fühlen, etwas
höheres Wohlbefinden haben, wenn sie mit Freunden zusammen sind als in
Familienbeziehungen. Jetzt wissen wir natürlich nicht, wer das aus der
Familie war, ob das irgendwie die Großeltern waren oder Kinder, sodass da
noch eine gewisse Unschärfe ist, aber im Durchschnitt kann man das so sagen,
zeigt sich das in verschiedenen Studien, dass man wirklich dieses höhere
Wohlbefinden bei Freundschaften oder diesen positiven Charakter bei
Freundschaften auch findet. Sprecherin:
Trotzdem dürfen wir von
Freunden auch nicht alles erwarten. Franz Neyer, der oft mit Cornelia Wrzus
zusammenarbeitet, hat eine klare Meinung zu einer Frage, die Journalisten ihm
oft stellen. O-Ton 7
- Franz Neyer: Kann Freundschaft heute die
Familie ersetzen? Das ist absoluter Unsinn. Das glaube ich nicht. Man muss
sich immer vor Augen führen, dass Familie und Freundschaften was ganz
Unterschiedliches sind und unterschiedliche Funktionen erfüllen. Weder geht
die Familie unter, wie ja viele Leute heute behaupten, das ist ja auch so
eine Rhetorik, die man in der Öffentlichkeit immer wieder hört, noch werden
Familien heute durch Freundschaften ersetzt. Das kann man gar nicht
gegeneinander ausspielen, sondern das sind Beziehungskontexte, die sich
gegenseitig ergänzen. Sprecherin:
Verwandtschaft ist meist
verbindlicher als Freundschaft – mit allen Vor- und Nachteilen, denn auch die
soziale Kontrolle ist dann hoch. Doch während wir in die Verwandtschaft hineingeboren
werden, müssen wir uns unsere Freundinnen und Freunde selbst suchen. Wo
nehmen wir sie her? Wie wählen wir sie aus? Wählen wir sie überhaupt aus? Die
erste Antwort der Psychologie ist nicht sehr überraschend. O-Ton 8
- Franz Neyer: Gleich zu gleich gesellt sich
gern – das klingt so trivial, weil es ja auch eine Redewendung ist, aber die
beschreibt das sehr schön. Wir suchen uns Menschen, die zu uns passen und da
gilt das Ähnlichkeitsprinzip. Also wenn ich gerne Sport mache, wenn ich gerne
ins Kino gehe, wenn ich mich für kulturelle Dinge interessiere oder was
anderes eben gut finde, dann suche ich mir Menschen, die ähnliche Interessen
haben, ähnliche Einstellungen. Sprecherin:
Auch ähnliche religiöse
Überzeugungen spielen mit, ebenso die Bildung und das Einkommen. So weit, so
naheliegend. Doch als die Forschenden genauer hinsahen, erlebten sie eine
Überraschung. Der Psychologie-Professor Mitja Back von der Universität
Münster veröffentlichte 2008 eine mittlerweile klassische Studie, damals
forschte er noch in Leipzig. Er hatte untersucht, welche Freundschaften sich
unter Studentinnen und Studenten entwickeln, die neu an die Universität kommen.
Backs Studie begann bei der Einführungsveranstaltung. O-Ton 9
- Mitja Back: Und dann lief das
folgendermaßen ab, dass jeder dieser Studenten sich einzeln vorstellen
musste, ist nach vorn an das Podium gegangen, hat kurz gesagt, wie sie oder
er heißt, wie alt sie oder er ist und den Herkunftsort noch. Das war eine
ganz kurze Vorstellung von etwa zehn Sekunden und alle anderen anwesenden
Personen haben dann Urteile über diese Person abgegeben, also wie sehr sie
diese Person mögen und ob sie diese Person gerne näher kennenlernen würden. Sprecherin:
Ein Jahr später fragten die
Forscher nach, wer sich nun mit wem angefreundet hatte. Tatsächlich waren die
Studierenden nun eher mit solchen Kommilitoninnen und Kommilitonen zusammen,
die sie schon nach diesen ersten zehn Sekunden sympathischer gefunden hatten.
Das ist schon erstaunlich genug. Doch wie Mitja Backs Studie zeigt, spielte auch
etwas anderes eine große Rolle. O-Ton 10
- Mitja Back: Personen, die für dieses eine
kurze Experiment nebeneinandergesessen hatten, die waren nach einem Jahr
stärker miteinander befreundet. Sprecherin:
Dabei hatten sich die
Studierenden den Nebensitzer nicht ausgesucht, sondern hatten ihre Plätze
zugewiesen bekommen. Doch nicht nur die Studierenden, die unmittelbar
nebeneinandersaßen, mochten sich später lieber. Es reichte schon, wenn zwei
zwar in der gleichen Reihe saßen, aber soweit auseinander, dass sie gar nicht
miteinander reden konnten. Wie ist das möglich? Dazu muss man sich ansehen,
wie die Vorstellungsrunde ablief: Wer in einer Reihe ganz rechts saß, stand
auf, ging aufs Podium, stellte sich vor und begab sich zurück – aber auf den
ganz linken Platz seiner Reihe. Alle anderen in der Reihe rückten dafür einen
Platz weiter und der ganz rechts stellte sich als nächster vor. O-Ton 11
- Mitja Back: Diese Personen haben alle eine
gemeinsame Bewegung gemacht, wenn eine Person derselben Gruppe dran war. Man
hat auch gesehen, dass andere Reihen diese Bewegung gemeinsam gemacht haben.
Sehr subtil wird da eine Eigengruppe und Fremdgruppe hergestellt. Sprecherin:
So ist es letztlich oft auch
der Zufall, der Freundschaften entstehen lässt. Einer hat das schon lange
geahnt. O-Ton 12
- Mitja Back: Vom dem bekannten Schauspieler
Sir Peter Ustinov gibt es ein schönes Zitat, dass er sagt, im Gegensatz zu
der landläufigen Meinung geht er nicht davon aus, dass Freude unbedingt die
sind, die man am meisten mag, sondern einfach die, die zuerst da sind. Musik
Sprecherin:
Wilfried und Walter hat der
Zufall in einem Chor zusammengeführt. Beide leben im Rhein-Main-Gebiet, der
66-jährige Wilfried als Berater für Unternehmensentwicklung, der 51-jährige
Walter hat in der Reifenindustrie mit der Kundenabrechnung zu tun. Die beiden
kennen sich seit 13 Jahren, waren aber – jedenfalls in den Augen von Wilfried
– bis vor sechs Jahren noch nicht befreundet. Doch dann fragte ihn jemand, ob
er eigentlich keine Freunde habe? Im Gespräch mit Walter erinnert Wilfried
sich. O-Ton 13
- Wilfried und Walter: Wilfried: Und ich habe gesagt, doch. Der eine lebt in
Australien und der andere in London, aha, offenbar Hauptsache, die sind weit
weg. Und das hat mich ziemlich beschäftigt, dann dachte ich, es ist
eigentlich verrückt. In meiner Nähe gibt es Menschen, ein paar wenige, von
denen ich annehme, die hätten nix dagegen, meine Freunde zu sein. Das war für
mich ein sehr bewusster Entschluss, also ich hab mir den Ruck gegeben und mir
gesagt, eh, der Walter, der ist Dein Freund. (Walter lacht leise) Sprecherin:
Davon war Walter ohnehin schon
lange überzeugt. Vielleicht hat er einfach die bessere Wahrnehmung. Die
beiden schätzen sich, obwohl sie sich als sehr verschieden betrachten. O-Ton 14
- Wilfried und Walter: Walter: Obwohl wir so unterschiedlich sind, sagst du mir
immer, was ich alles Tolles kann, was ich manchmal selbst von mir gar nicht
sehe. Oder was mir nicht so bewusst ist, ja, wenn Du es gesagt hast, okay. Sprecherin:
Völlig unterschiedlich sind sie
natürlich nicht, beide haben im Chor gesungen, sind gebildet, ähnlich alt und
schätzen offene Gespräche. Allerdings: Das Tempo, mit dem sie reagieren,
unterscheidet sich stark, etwa wenn es gilt, auf eine Mail zu antworten. Das
führt immer wieder zu Auseinandersetzungen. O-Ton 15
- Wilfried und Walter: Wilfried: Ich hatte einen Bühnenauftritt vor mir und war
aufgeregt und stolz und alles auf einmal und hatte mir sehr gewünscht, dass
du da hinkommst und das siehst. Walter:
Und das hatte ich alles schon für mich geplant, dass ich da auch hinkommen kann.
Es war schon alles frei genommen. Wilfried:
Es kam aber irgendwie keine Antwort auf meine Einladungsmail. Walter: Genau. Wilfried: Ich dachte, ausgerechnet, ich hab‘ irgendwie an
27 Leute geschrieben. Dich habe ich besonders gemeint. Und 25 haben
geantwortet oder 26. Walter:
Und ich hab‘ halt nur geplant und reagiert und es eingerichtet. Wilfried: Ja. Walter: Und ich hatte aber nicht, das war mir nicht so
klar, dass das eigentlich gerade das Wichtigere gewesen wäre. Sprecherin:
Die beiden Freunde hatten
etliche Auseinandersetzungen wegen solcher Fragen. Und immer wieder war
Walter irritiert darüber, wie schnell Wilfried neue Projekte anging, ohne
groß darüber nachzudenken. Aber sie haben sich aneinander gewöhnt und
Wilfried hat es sogar schätzen gelernt, dass Walter oft erst lange und
gründlich nachdenkt, bevor er aktiv wird. O-Ton 16
- Wilfried und Walter: Wilfried: Mittlerweile kenne
ich dich ein bisschen und weiß, das ist einfach, da muss man sich den
Ladebalken dazu denken. Es wird jetzt allmählich verarbeitet und du
beschäftigst dich damit, das kann ich mir jetzt alles fantasieren, aber in
den ersten Jahren war so etwas für mich schlicht nicht einfühlbar. Musik
Sprecherin:
Früher zelebrierten Männer ihre
Freundschaften geradezu. Wurden Im Mittelalter Freunde noch kaum von
Verwandten unterschieden, verklärte der französische Philosoph Michel de
Montaigne im 16. Jahrhundert die Freundschaft als „höchste Form der
menschlichen Beziehung“, eben weil Freundschaften freiwillig sind und sehr
innig sein können. Im 18. Jahrhundert erreichte die Begeisterung ihren
Höhepunkt. Der Dichter und Sammler Johann
Wilhelm Ludwig Gleim richtete einen sogenannten Freundschaftstempel ein. Er
behängte die Wände seines Wohnhauses am Dom von Halberstadt mit Bildern seiner
zahlreichen Freunde, darunter berühmte Literaten von Lessing bis Jean Paul.
Erst im 20. Jahrhundert wurden Freundschaft und schwärmerische Zuneigung in
der Gesellschaft strikt getrennt. Aber Freundschaften machen uns immer noch
glücklich, jedenfalls ein Stück weit. Wer immer Freundschaften pflegt, ist im
Schnitt deutlich zufriedener. Sie oder er liegt zehn Punkte höher auf einer
Glücksskala, die von null bis hundert reicht. Das zeigt das Sozio-ökonomische
Panel, für das seit Jahrzehnten regelmäßig Tausende repräsentativ ausgewählte
Deutsche nach ihren Lebensumständen befragt werden. Die Daten zeigen auch:
Fünf Vertraute reichen, wer mehr hat, erhöht die Zufriedenheit mit dem Leben
nicht weiter. Freundschatten machen aber nicht nur glücklicher, sagt Robin Dunbar,
Psychologie-Professor der Universität Oxford. O-Ton 17 - Robin Dunbar: So I think the most important thing about
friendship … but close friends. Sprecher
2 (voice over Dunbar): Das Wichtigste bei der
Freundschaft, das, worum wir uns alle sorgen sollten, ist dies: Die Zahl und
die Qualität unserer Freundschaften hat einen großen Einfluss auf unser
psychisches und körperliches Wohlbefinden und unsere Gesundheit im
Allgemeinen. Sie sagt sogar vorher, wie bald wir sterben werden. Also, eine
ausreichende Zahl von Freunden ist wirklich wichtig – nicht unverbindliche
Freundschaften, sondern enge Freundschaften. Sprecherin:
Und wie viele enge Freunde
brauchen wir seiner Meinung nach? O-Ton 18 - Robin Dunbar: A good number seems to be about five ... you
have a close relationship with. Sprecher
2 (voice over Dunbar): Fünf scheint eine gute Zahl zu
sein, sie taucht immer wieder auf. Zu den Fünfen können auch nahe Angehörige
zählen, nicht nur Leute, die wir normalerweise als Freunde sehen. Es geht um
Menschen, zu denen wir enge Beziehungen haben. Sprecherin:
Wie sehr gute Freunde das Leben
verlängern, illustriert Dunbar gerne mit den Ergebnissen einer Studie, die
nachforschte, welche Faktoren darüber entschieden, wer ein Jahr nach einer
Herzattacke noch am Leben war. O-Ton 19 - Robin Dunbar: The effect of the number and quality of
friendships … was giving up smoking. Sprecher
2 (voice over Dunbar): Der Einfluss von Anzahl und
Qualität der Freundschaften war ungefähr doppelt so groß wie der von all den
Dingen, über die sich der Arzt Sorgen macht, also wie viel Sport Sie treiben,
wie dick Sie sind, was Sie essen, die Luftqualität Ihres Wohnorts. Ähnlich
großen Einfluss wie die Anzahl der Freunde hat nur, mit dem Rauchen
aufzuhören. Sprecherin:
Schon in jungen Jahren tun
Freunde Leib und Seele gut, wie eine große USamerikanische Langzeitstudie
zeigt: Jeder zusätzliche Freund verbesserte den eigenen Wert auf einer
entsprechenden Gesundheitsskala um 6,6 Prozent. Freunde haben praktische
Vorteile für die Gesundheit: Sie ermahnen uns, dass wir uns besser ernähren
oder zum Arzt gehen, wenn wir krank wirken. Und weil wir uns in ihrer
Gesellschaft wohl fühlen, werden im Körper die gerne als „Glückshormone“
bezeichneten Endorphine freigesetzt, die wiederum das Immunsystem stärken.
Glücklicherweise haben die meisten Menschen genügend Freunde, die gesunde
Zahl fünf ist tatsächlich der Durchschnitt. Frauen liegen etwas darüber und
sie pflegen ihre Freundschaften auch anders, obwohl die Qualität der Gefühle
laut Dunbar die gleiche ist. O-Ton 20 - Robin Dunbar: For women what allows them to keep
friendships going, … conversation is unimportant. Sprecher
2 (voice over Dunbar): Was die Freundschaften von
Frauen auf Dauer am Leben hält, ist, dass sie wirklich miteinander reden. Bei
Männern sind es die Dinge, die sie miteinander tun. Es kommt nicht darauf an, ob sie zusammen im
Bierkeller sitzen und still ihre Krüge leeren oder ob sie klettern gehen, auf
einem See Kanu fahren oder Fußball spielen. Es spielt keine Rolle, solange
sie zusammen aktiv sind. Die Menge der Gespräche ist unwichtig. Sprecherin:
Das kam heraus, als Dunbar die
Freundschaften von 30 Studierenden über anderthalb Jahre verfolgte. Die der
Frauen hielten eher, wenn sie miteinander redeten, bei den Männern spielte
das überhaupt keine Rolle. Bei ihnen kam es darauf an, etwas zusammen zu
unternehmen. Im Einzelfall kann es natürlich anders aussehen, so wie bei
Wilfried und Walter. Sie wandern nicht nur zusammen, sondern unterhalten sich auch viel und
offen. Und schließlich gibt es ja auch noch Freundschaften zwischen Frauen
und Männern wie die zwischen Bernhard und Christina. O-Ton 21
- Bernhard: Mit einem Mann oder mit einer
männlichen Freundschaft, die ich auch habe, ist es anders. Da hört man dann
irgendwann auf oder man spricht die Dinge nicht so tief an. Man bügelt
manches ein bisschen glatter, man geht über Dinge hinweg und frotzelt mehr
miteinander. Das habe ich bei der anderen Freundschaft so nicht. Wir frotzeln
auch, aber die Themen sind breiter. Sie sind tiefer, sie sind ernsthafter,
sie sind gefühliger, sie sind wühlender in den eigenen Gedanken, Gefühlen als
bei einer männlichen Freundschaft. Sprecherin:
Auch wenn die meisten Menschen
gut mit Freunden versorgt sind, gibt es doch Ausnahmen. Vor allem ältere
Menschen pflegen typischerweise nur noch wenige Freundschaften. Das muss kein
Problem sein, da oft die engen, wahren Freundinnen und Freunde übriggeblieben
sind. Aber wenn sie in Zeiten einer Pandemie auch diese Vertrauten nicht mehr
sehen können, weil eine Ansteckung für alle besonders gefährlich wäre,
schrumpft der Kreis weiter. O-Ton 22 - Robin Dunbar: And that's not good really, …, than they
might otherwise have been. Sprecher
2 (voice over Dunbar): Und das ist wirklich nicht gut,
weil gerade bei älteren Menschen die Zahl enger Freunde sehr gut etwa das
Risiko für Alzheimer vorhersagt und auch das von allen wesentlichen
Krankheiten, die für den Großteil der Todesfälle im Alter verantwortlich
sind. Krebs, Herzinfarkte und so weiter. Das führt dazu, dass Menschen ohne
Treffen mit Freunden also leider unvermeidlich kürzer leben, als sie es sonst
getan hätten. Sprecherin:
Aber nicht nur die Alten
leiden. Beschränkungen von Kontakten zu Freunden außerhalb des Haushalts
treffen natürlich vor allem die Altersgruppen, die auf solche Kontakte
besonders angewiesen sind: die Kinder. Für Kleinkinder sei zwar die Familie am
wichtigsten, sagt die Heidelberger Entwicklungspsychologin Cornelia Wrzus,
aber: O-Ton 23
- Cornelia Wrzus: Mit dem Schulalter, mit dem
Grundschulalter werden Freunde zunehmend wichtig. Nach wie vor ist es
natürlich aber die Kernfamilie und dann umso mehr, wenn dann die Kinder auch
ins Jugendalter kommen. Und dort findet eben die Ablösung vom Elternhaus
statt. Und Freunde sind dann wirklich die zentralen Bezugspersonen. Sprecherin:
Jüngere halten zwar meist
online weiter Kontakt zu ihren Freundinnen und Freunden, aber das ist kein
vollwertiger Ersatz. Strenge Kontaktbeschränkungen, wie es sie in
Großbritannien und anderen Ländern gab, verändern auf Dauer, wer mit wem
befreundet ist, hat der britische Psychologe Dunbar beobachtet, der auf die
Erforschung solcher Netze spezialisiert ist. O-Ton 24 - Robin Dunbar: Probably your best friends are not going to
be … the same street as you. Sprecher
2 (voice over Dunbar): Die engsten Freundschaften
werden wahrscheinlich nicht betroffen sein. Aber die mittelwichtigen
Freundschaften könnten vor sich hinsiechen und langsam verblassen. Diese Freunde werden womöglich
ersetzt durch Leute, die man noch treffen kann, Leute aus der gleichen
Straße. Musik
Sprecherin:
Natürlich enden Freundschaften
auch ohne Pandemie. Die Studierenden in Dunbars Studie verloren in den
anderthalb Jahren 40 Prozent ihrer Freunde oder trennten sich von ihnen, was
in diesem Alter normal ist. Aber sie fanden genauso viele neue. Mehr noch:
Wie die Analyse der Telefondaten zeigte, gestalteten sie die neuen Kontakte
identisch. Verlor jemand beispielsweise den zweitbesten Freund, mit dem er
zehnmal im Monat telefoniert hatte, dann telefonierte er typischerweise mit
dem neuen Freund – zehnmal im Monat. „Wir füllen mit dem neuen Freund genau
die Lücke, die der alte hinterlassen hat“, folgert Dunbar in einem Artikel
für den „New Scientist“. Mehr Zeit ist für den neuen Freund offenbar schlicht
nicht übrig. Aus dem gleichen Grund können wir nicht mehr als eine Handvoll
wirklich guter Freunde haben. Deshalb müssen oft alte Platz machen, wenn sich
jemand für neue entscheidet. Das kann für die langjährige beste Freundin
bitter sein. Die heute 20-jährige Studentin Diana lernte Leonie in der
fünften Klasse kennen. Die beiden Mädchen, die in Wirklichkeit anders heißen,
wurden beste Freundinnen. Diana hielt Leonie die Treue, als es der Freundin
sehr schlecht ging. O-Ton 25
- Diana: Sie hat Krebs bekommen in der
achten Klasse, mit ungefähr 13 Jahren müsste das gewesen sein und war dann
auch über ein Jahr lang im Krankenhaus, wo sie dann eben nicht in die Schule
kam. Und ich bin dann immer hingefahren und habe sie dort besucht und ihr
halt Sachen aus der Schule erzählt, Hausaufgaben vorbeigebracht und Kontakt
gehalten, ja. Sprecherin:
Diana und ein weiteres Mädchen
waren fast die einzigen Freundinnen, die regelmäßig in die Klinik kamen, mehr
wollte Leonie auch nicht sehen. Als Leonie nach einem Jahr entlassen wurde,
besuchten beide zwar verschiedene Klassen, aber die enge Freundschaft ging
weiter. Auch als sie nach dem Abitur in verschiedene Städte zogen, sahen sie
sich regelmäßig. Doch nach einem Jahr versetzte Leonie Diana ausgerechnet an
deren Geburtstag. Die beiden trafen sich, um sich auszusprechen: O-Ton 26
- Diana: Sie kam vorbei und das war halt
nicht sehr, also für mich nicht wirklich nachvollziehbar, weil sie meinte
eben, wir hätten uns auseinandergelebt und dass es auch an ihr gelegen hätte.
Aber dass sie da momentan nicht in der Lage sei oder nicht willens sei, das
zu ändern. Und ja, ich wusste dann auch nicht genau, was ich sagen soll oder
wie ich reagieren soll, weil ich fand das alles etwas komisch, weil unsere
Freundschaft dann auch schon elf Jahre lang ging und ich war auch ein
bisschen überrumpelt, weil ich das nicht hatte kommen sehen. Sprecherin:
Das ist drei Jahre her und
dabei blieb es. Offenbar war der Nutzen der Freundschaft in den Augen von
Leonie geringer als die Kosten, als der nötige Aufwand. Das passt zu der
psychologischen Standardtheorie, dass Freundschaften nur existieren, solange
die Gegenseitigkeit, die Reziprozität gewahrt bleibt. Aber bleiben wir
unseren Freunden wirklich immer nur so lange treu, wie sie uns so viel geben
wie wir ihnen geben? Die prominenten US-amerikanischen Evolutionspsychologen
Leda Cosmides und ihr Mann John Tooby haben eine Theorie entwickelt, warum
das nicht so ist – oder jedenfalls
nicht ganz. Sie beginnt mit einer Analogie, dem so genannten Paradox des
Bankers. O-Ton 27 - Leda Cosmides: Whenever you’re desperately in need of money
… wants you to lend you money. Sprecherin
2 (voice over Cosmides): Wenn Sie verzweifelt Geld
benötigen, leiht die Bank Ihnen keines, weil Sie nicht kreditwürdig sind und
es wahrscheinlich nicht zurückzahlen. Wenn Sie hingegen jede Menge Geld
haben, leiht die Bank Ihnen gerne welches. Sprecherin:
Also: Wenn wir am dringendsten
Unterstützung brauchen, bekommen wir sie am wenigsten. Wir stellen ein hohes
Kreditrisiko dar, heißt das in der Finanzsprache. Verhalten sich Freunde so
wie die Banker? Dass sie uns in schlechten Zeiten für ein Kreditrisiko halten und fallen
lassen? Leda Cosmides und John Tooby argumentieren, dass sich ein solches
Verhalten in der menschlichen Evolution nicht hätte durchsetzen können. O-Ton 28 - Leda Cosmides: Hunter-gatherers do get into circumstances …
partners would abandon you. Sprecherin
2 (voice over Cosmides): Jäger und Sammler sind in
lebensbedrohliche Situationen geraten, in denen sie dringend Hilfe brauchten.
Stellen Sie sich vor, Sie leben als Halb-Nomade und verletzen sich, können sich
kaum bewegen, während die anderen weiterziehen wollen. Was passiert jetzt mit
Ihnen? Hilft Ihnen jemand oder bleibt gar die ganze Gruppe da, bis Sie wieder
gesund sind? Wenn in unserem Hirn nur Reziprozität herrschen würde, würden
Sie als schlechtes Kreditrisiko gelten und all Ihre Freunde würden Sie
aufgeben. Besser gesagt: Ihre Reziprozitätspartner würden Sie aufgeben. Sprecherin:
Auch wenn das immer wieder
geschieht: Den Freund in der Not im Stich zu lassen, betrachten wir als
Verrat an der Freundschaft. Doch warum halten wir überhaupt die Treue, stehen
Freunden mit Rat und Tat zur Seite? Leda Cosmides und John Tooby argumentieren:
Die Bereitschaft zu scheinbar selbstloser Hilfe habe sich in der Evolution
durchgesetzt, weil der andere ja später
auch einmal nützlich sein könnte. Das soll nicht heißen, dass
wir aus Berechnung helfen. Nach der Theorie macht diese Logik zwar
freundschaftliche Gefühle erst möglich, doch die Gefühle sind echt. Die
Evolution hat ja auch die Liebe der Eltern zu ihren Kindern hervorgebracht,
damit sie für den hilflosen Nachwuchs sorgen. Und trotzdem denken Eltern
dabei nicht eine Sekunde an die Weitergabe der eigenen Gene. Sie lieben ihre
Kinder einfach. Auch wenn es um Freundschaft geht, ist es verpönt, auf den
eigenen Vorteil zu schauen. O-Ton 29 - Leda Cosmides: Reciprocity, direct reciprocity
relationships... not friends not that we are friends. Sprecherin
2 (voice over Cosmides): Reziprozität, direkte
Reziprozität ist oft ein Zeichen für soziale Distanz. Wenn Sie mir helfen und ich denke, dass ich
gleich etwas zurückgeben muss, heißt das normalerweise, dass wir keine Freunde sind, und nicht, dass
wir Freunde sind. Sprecherin:
Leda Cosmides betrachtet
Freundschaft deshalb nicht als ein schlichtes Tauschgeschäft, sondern als
eine Art Feuerversicherung. Genauso wie wir hoffen, dass wir sie nie brauchen
werden und die jährlichen Beiträge gerne verloren geben, hoffen wir, dass wir
nie auf die Hilfe unserer Freunde angewiesen sein werden – aber dass sie für
uns da sein werden, falls doch. So gesehen ist Freundschaft zwar ein Trick
der Evolution, um vordergründig selbstlose Hilfe möglich zu machen, aber die
Freundschaft ist deswegen nicht weniger echt. Die Freunde Wilfried und Walter
wissen jedenfalls, was das Besondere an ihrer Freundschaft ist: O-Ton 30
- Wilfried und Walter: Wilfried: Der Verzicht auf eine Schauseite, also
Freundschaft nicht als Laufsteg, wo ich zeige, wie toll ich bin und was ich
alles für wunderbare Sachen mache und dann sollst du staunen, sondern wo ich
ankommen kann mit Dingen, die auch mal wirklich unangenehm sind und mich
belasten. Walter: Du hast
gerade ein schönes Wort gesagt: ankommen. Das ist nämlich etwas, was ich hier
auch immer wieder darf, ich darf hier ankommen, und ich fühle mich hier sehr
willkommen. Und das ist definitiv auch eine Sache, also wenn ich hier bin,
fühle ich mich zuhause. Musik
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