Home

Biographisches

Artikel

Buch Verhaltenstherapie
image002.jpg


Journalistenpreise


Freunde fürs Leben –

Wie wir sie finden und warum wir sie brauchen
von Jochen Paulus
(Wissen, SWR2, 19.5. 2021)

Audio herunterladen (26,1 MB | MP3)

SWR2 Wissen

Freunde fürs Leben –

Wie wir sie finden und warum wir sie brauchen

Von Jochen Paulus

 

Sendung: Mittwoch, 19. Mai 2021, 08.30 Uhr

Redaktion: Sonja Striegl

Regie: Tobias Krebs

Produktion: SWR 2021

 

 

Mit fünf Freunden kommen wir gut durchs Leben. Denn Anzahl und Qualität unserer Freundschaften beeinflussen unser psychisches und körperliches Wohlbefinden sowie unsere Gesundheit.

 

 

SWR2 Wissen können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören:

https://www.swr.de/~podcast/swr2/programm/podcast-swr2-wissen-100.xml

 

 

 

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

 

 

Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?

 

Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen

Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.

Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 

Die SWR2 App für Android und iOS

 

Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Nutzen Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern, meistgehört, Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen …

Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app

 

MANUSKRIPT

 

Musik (unter nächsten Sprechertext)

 

Sprecherin:

Freundschaft. Dichter haben sie verklärt, Forscher herausgefunden, dass wir ohne sie eine kürzere Lebenserwartung haben. Aber warum ist sie so wichtig? Und wieso haben wir gerade die Freundinnen und Freunde, die wir haben? Gibt es überhaupt wahre, selbstlose Freundschaften oder versprechen wir uns doch immer einen Nutzen? Für die Psychologie-Professorin Cornelia Wrzus von der Universität Heidelberg ist das scheinbar einfache und alltägliche Phänomen Freundschaft erst einmal ein Rätsel.

 

O-Ton 1 - Cornelia Wrzus:

Also eigentlich sind Freundschaften psychologisch sehr spannend, weil vorab, bevor man sich kennt, sind das ja Beziehungen zu Unbekannten. Man ist mit der Person nicht irgendwie verwandt, man möchte mit der Person keinen Nachwuchs zeugen, was aus evolutionärer Sicht irgendwie naheliegend ist, warum man mit anderen, nicht verwandten Personen Kontakt hat, und das wird dann manchmal auch in der Forschung als „Paradox der Freundschaft“ bezeichnet.

 

Musik weg

 

Ansage:

„Freunde fürs Leben – Wie wir sie finden und warum wir sie brauchen“. Von Jochen Paulus.

 

O-Ton 2 - Cornelia Wrzus:

Und man geht aber einfach davon aus, dass Freundschaften, weil man sie freiwillig eingeht, auch einen sehr positiven Charakter haben und darüber und über die Hilfe, die sie leisten können, also die man sich in Freundschaften manchmal auch gegenseitig gibt, einen Mehrwert für uns Menschen darstellen, um im Alltag oder im Leben einfach besser zurechtzukommen. Also sie sind positiv in den meisten Fällen und sie basieren auf Reziprozität, dass man sich eben gegenseitig unterstützt.

 

Sprecherin:

Gegenseitige Unterstützung? Natürlich, wer wollte widersprechen? Und doch steckt darin ein Problem. Sind Freundschaften am Ende auch deshalb paradox, weil sie letztlich doch Geschäfte auf Gegenseitigkeit darstellen? Enden sie, wenn das Verhältnis von Geben und Nehmen nicht mehr stimmt? Doch davon später und zunächst zu den schönen Seiten der Freundschaft. Der 60-jährige Münchner Karrierecoach Bernhard pflegt seit über 30 Jahren eine enge Freundschaft zu der Heidelberger Psychotherapeutin Christina. Weil sie so weit voneinander weg wohnen, sehen sie sich nicht oft und doch:

 

O-Ton 3 - Bernhard:

Diese Freundschaft ist mir sehr, sehr, sehr wichtig. Es ist, glaube ich die Person, die mir eine der wichtigsten überhaupt ist. Und ja, diese Freundschaft gibt mir, wie soll ich das sagen, das ist so einfach so eine Art seelischer Backup. Ich weiß, wenn irgendetwas Schönes ist, oder etwas Schwieriges, etwas Bedrohliches, etwas Trauriges ist - ich weiß immer, dass ich zu diesem Menschen gehen kann und ich weiß immer, dass dieser Mensch ein Gehör hat für mich.

 

Sprecherin:

Sich aufeinander verlassen können, das ist für viele in einer Freundschaft ganz wichtig.

 

O-Ton 4 - Bernhard:

Jeder hat den anderen schon einmal, mehrfach sogar gestützt, also ob das jetzt traurige Momente mit dem Partner, mit der Partnerin sind oder berufliche Dinge, diese Stütze, die habe ich in dieser Freundschaft immer und zu jeder Zeit erfahren, das ist etwas ganz Großartiges und Wertvolles.

 

Sprecherin:

Freundschaften haben gegenüber den meisten anderen Arten von Beziehungen einen entscheidenden Vorteil, an den viele gar nicht gleich denken. Doch für Experten wie den in Jena lehrenden Psychologie-Professor Franz Neyer ist er zentral: Wir können sie frei beginnen und gestalten.

 

O-Ton 5 - Franz Neyer:

Sie sind auf Freiwilligkeit gegründet und dadurch können Sie eine ganz andere Qualität als solche Rollenbeziehungen oder andere Beziehungen, die im Korsett der Familie und Nachbarschaft gefangen sind, erfüllen.

 

Sprecherin:

Kein Wunder also, dass wir uns wohl fühlen, wenn wir mit Freundinnen oder Freunden zusammen sind. Sonst würden wir uns gar nicht mit ihr oder ihm treffen.

 

O-Ton 6 - Cornelia Wrzus:

Dieses gut fühlen, das haben wir in verschiedenen Studien immer wieder gesehen, dass wenn man Menschen danach fragt, wie sie sich fühlen und gleichzeitig die Information hat, mit wem sie gerade Zeit verbringen, ist es in unseren Studien, aber auch in anderen, hat es sich gezeigt, dass Menschen sich etwas besser fühlen, etwas höheres Wohlbefinden haben, wenn sie mit Freunden zusammen sind als in Familienbeziehungen. Jetzt wissen wir natürlich nicht, wer das aus der Familie war, ob das irgendwie die Großeltern waren oder Kinder, sodass da noch eine gewisse Unschärfe ist, aber im Durchschnitt kann man das so sagen, zeigt sich das in verschiedenen Studien, dass man wirklich dieses höhere Wohlbefinden bei Freundschaften oder diesen positiven Charakter bei Freundschaften auch findet.

 

Sprecherin:

Trotzdem dürfen wir von Freunden auch nicht alles erwarten. Franz Neyer, der oft mit Cornelia Wrzus zusammenarbeitet, hat eine klare Meinung zu einer Frage, die Journalisten ihm oft stellen.

 

             

O-Ton 7 - Franz Neyer:

Kann Freundschaft heute die Familie ersetzen? Das ist absoluter Unsinn. Das glaube ich nicht. Man muss sich immer vor Augen führen, dass Familie und Freundschaften was ganz Unterschiedliches sind und unterschiedliche Funktionen erfüllen. Weder geht die Familie unter, wie ja viele Leute heute behaupten, das ist ja auch so eine Rhetorik, die man in der Öffentlichkeit immer wieder hört, noch werden Familien heute durch Freundschaften ersetzt. Das kann man gar nicht gegeneinander ausspielen, sondern das sind Beziehungskontexte, die sich gegenseitig ergänzen.

 

Sprecherin:

Verwandtschaft ist meist verbindlicher als Freundschaft – mit allen Vor- und

Nachteilen, denn auch die soziale Kontrolle ist dann hoch. Doch während wir in die

Verwandtschaft hineingeboren werden, müssen wir uns unsere Freundinnen und Freunde selbst suchen. Wo nehmen wir sie her? Wie wählen wir sie aus? Wählen wir sie überhaupt aus? Die erste Antwort der Psychologie ist nicht sehr überraschend.

 

O-Ton 8 - Franz Neyer:

Gleich zu gleich gesellt sich gern – das klingt so trivial, weil es ja auch eine Redewendung ist, aber die beschreibt das sehr schön. Wir suchen uns Menschen, die zu uns passen und da gilt das Ähnlichkeitsprinzip. Also wenn ich gerne Sport mache, wenn ich gerne ins Kino gehe, wenn ich mich für kulturelle Dinge interessiere oder was anderes eben gut finde, dann suche ich mir Menschen, die ähnliche Interessen haben, ähnliche Einstellungen.

 

Sprecherin:

Auch ähnliche religiöse Überzeugungen spielen mit, ebenso die Bildung und das Einkommen. So weit, so naheliegend. Doch als die Forschenden genauer hinsahen, erlebten sie eine Überraschung. Der Psychologie-Professor Mitja Back von der Universität Münster veröffentlichte 2008 eine mittlerweile klassische Studie, damals forschte er noch in Leipzig. Er hatte untersucht, welche Freundschaften sich unter Studentinnen und Studenten entwickeln, die neu an die Universität kommen. Backs Studie begann bei der Einführungsveranstaltung.

 

O-Ton 9 - Mitja Back:

Und dann lief das folgendermaßen ab, dass jeder dieser Studenten sich einzeln vorstellen musste, ist nach vorn an das Podium gegangen, hat kurz gesagt, wie sie oder er heißt, wie alt sie oder er ist und den Herkunftsort noch. Das war eine ganz kurze Vorstellung von etwa zehn Sekunden und alle anderen anwesenden Personen haben dann Urteile über diese Person abgegeben, also wie sehr sie diese Person mögen und ob sie diese Person gerne näher kennenlernen würden.

 

Sprecherin:

Ein Jahr später fragten die Forscher nach, wer sich nun mit wem angefreundet hatte.

Tatsächlich waren die Studierenden nun eher mit solchen Kommilitoninnen und Kommilitonen zusammen, die sie schon nach diesen ersten zehn Sekunden sympathischer gefunden hatten. Das ist schon erstaunlich genug. Doch wie Mitja Backs Studie zeigt, spielte auch etwas anderes eine große Rolle.

 

             

O-Ton 10 - Mitja Back:

Personen, die für dieses eine kurze Experiment nebeneinandergesessen hatten, die waren nach einem Jahr stärker miteinander befreundet.

 

Sprecherin:

Dabei hatten sich die Studierenden den Nebensitzer nicht ausgesucht, sondern hatten ihre Plätze zugewiesen bekommen. Doch nicht nur die Studierenden, die unmittelbar nebeneinandersaßen, mochten sich später lieber. Es reichte schon, wenn zwei zwar in der gleichen Reihe saßen, aber soweit auseinander, dass sie gar nicht miteinander reden konnten. Wie ist das möglich? Dazu muss man sich ansehen, wie die Vorstellungsrunde ablief: Wer in einer Reihe ganz rechts saß, stand auf, ging aufs Podium, stellte sich vor und begab sich zurück – aber auf den ganz linken Platz seiner Reihe. Alle anderen in der Reihe rückten dafür einen Platz weiter und der ganz rechts stellte sich als nächster vor.

 

O-Ton 11 - Mitja Back:

Diese Personen haben alle eine gemeinsame Bewegung gemacht, wenn eine Person derselben Gruppe dran war. Man hat auch gesehen, dass andere Reihen diese Bewegung gemeinsam gemacht haben. Sehr subtil wird da eine Eigengruppe und Fremdgruppe hergestellt.

 

Sprecherin:

So ist es letztlich oft auch der Zufall, der Freundschaften entstehen lässt. Einer hat das schon lange geahnt.

 

O-Ton 12 - Mitja Back:

Vom dem bekannten Schauspieler Sir Peter Ustinov gibt es ein schönes Zitat, dass er sagt, im Gegensatz zu der landläufigen Meinung geht er nicht davon aus, dass Freude unbedingt die sind, die man am meisten mag, sondern einfach die, die zuerst da sind.

 

Musik

 

Sprecherin:

Wilfried und Walter hat der Zufall in einem Chor zusammengeführt. Beide leben im Rhein-Main-Gebiet, der 66-jährige Wilfried als Berater für Unternehmensentwicklung, der 51-jährige Walter hat in der Reifenindustrie mit der Kundenabrechnung zu tun. Die beiden kennen sich seit 13 Jahren, waren aber – jedenfalls in den Augen von Wilfried – bis vor sechs Jahren noch nicht befreundet. Doch dann fragte ihn jemand, ob er eigentlich keine Freunde habe? Im Gespräch mit Walter erinnert Wilfried sich.

 

O-Ton 13 - Wilfried und Walter:

Wilfried: Und ich habe gesagt, doch. Der eine lebt in Australien und der andere in London, aha, offenbar Hauptsache, die sind weit weg. Und das hat mich ziemlich beschäftigt, dann dachte ich, es ist eigentlich verrückt. In meiner Nähe gibt es Menschen, ein paar wenige, von denen ich annehme, die hätten nix dagegen, meine

Freunde zu sein. Das war für mich ein sehr bewusster Entschluss, also ich hab mir den Ruck gegeben und mir gesagt, eh, der Walter, der ist Dein Freund. (Walter lacht leise)

 

Sprecherin:

Davon war Walter ohnehin schon lange überzeugt. Vielleicht hat er einfach die bessere Wahrnehmung. Die beiden schätzen sich, obwohl sie sich als sehr verschieden betrachten.

 

O-Ton 14 - Wilfried und Walter:

Walter: Obwohl wir so unterschiedlich sind, sagst du mir immer, was ich alles Tolles kann, was ich manchmal selbst von mir gar nicht sehe. Oder was mir nicht so bewusst ist, ja, wenn Du es gesagt hast, okay.

 

Sprecherin:

Völlig unterschiedlich sind sie natürlich nicht, beide haben im Chor gesungen, sind gebildet, ähnlich alt und schätzen offene Gespräche. Allerdings: Das Tempo, mit dem sie reagieren, unterscheidet sich stark, etwa wenn es gilt, auf eine Mail zu antworten. Das führt immer wieder zu Auseinandersetzungen.

 

O-Ton 15 - Wilfried und Walter:

Wilfried: Ich hatte einen Bühnenauftritt vor mir und war aufgeregt und stolz und alles auf einmal und hatte mir sehr gewünscht, dass du da hinkommst und das siehst. Walter: Und das hatte ich alles schon für mich geplant, dass ich da auch hinkommen kann. Es war schon alles frei genommen. Wilfried: Es kam aber irgendwie keine Antwort auf meine Einladungsmail. Walter: Genau. Wilfried: Ich dachte, ausgerechnet, ich hab‘ irgendwie an 27 Leute geschrieben. Dich habe ich besonders gemeint. Und 25 haben geantwortet oder 26. Walter: Und ich hab‘ halt nur geplant und reagiert und es eingerichtet. Wilfried: Ja. Walter: Und ich hatte aber nicht, das war mir nicht so klar, dass das eigentlich gerade das Wichtigere gewesen wäre.

 

Sprecherin:

Die beiden Freunde hatten etliche Auseinandersetzungen wegen solcher Fragen. Und immer wieder war Walter irritiert darüber, wie schnell Wilfried neue Projekte anging, ohne groß darüber nachzudenken. Aber sie haben sich aneinander gewöhnt und Wilfried hat es sogar schätzen gelernt, dass Walter oft erst lange und gründlich nachdenkt, bevor er aktiv wird.

 

O-Ton 16 - Wilfried und Walter:

Wilfried: Mittlerweile kenne ich dich ein bisschen und weiß, das ist einfach, da muss man sich den Ladebalken dazu denken. Es wird jetzt allmählich verarbeitet und du beschäftigst dich damit, das kann ich mir jetzt alles fantasieren, aber in den ersten Jahren war so etwas für mich schlicht nicht einfühlbar.

 

Musik

 

Sprecherin:

Früher zelebrierten Männer ihre Freundschaften geradezu. Wurden Im Mittelalter

Freunde noch kaum von Verwandten unterschieden, verklärte der französische Philosoph Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert die Freundschaft als „höchste Form der menschlichen Beziehung“, eben weil Freundschaften freiwillig sind und sehr innig sein können. Im 18. Jahrhundert erreichte die Begeisterung ihren Höhepunkt.

 

Der Dichter und Sammler Johann Wilhelm Ludwig Gleim richtete einen sogenannten

Freundschaftstempel ein. Er behängte die Wände seines Wohnhauses am Dom von

Halberstadt mit Bildern seiner zahlreichen Freunde, darunter berühmte Literaten von Lessing bis Jean Paul. Erst im 20. Jahrhundert wurden Freundschaft und schwärmerische Zuneigung in der Gesellschaft strikt getrennt. Aber Freundschaften machen uns immer noch glücklich, jedenfalls ein Stück weit. Wer immer Freundschaften pflegt, ist im Schnitt deutlich zufriedener. Sie oder er liegt zehn

Punkte höher auf einer Glücksskala, die von null bis hundert reicht. Das zeigt das Sozio-ökonomische Panel, für das seit Jahrzehnten regelmäßig Tausende repräsentativ ausgewählte Deutsche nach ihren Lebensumständen befragt werden. Die Daten zeigen auch: Fünf Vertraute reichen, wer mehr hat, erhöht die Zufriedenheit mit dem Leben nicht weiter. Freundschatten machen aber nicht nur glücklicher, sagt Robin Dunbar, Psychologie-Professor der Universität Oxford.

 

O-Ton 17 - Robin Dunbar:

So I think the most important thing about friendship … but close friends.

 

Sprecher 2 (voice over Dunbar):

Das Wichtigste bei der Freundschaft, das, worum wir uns alle sorgen sollten, ist dies: Die Zahl und die Qualität unserer Freundschaften hat einen großen Einfluss auf unser psychisches und körperliches Wohlbefinden und unsere Gesundheit im Allgemeinen. Sie sagt sogar vorher, wie bald wir sterben werden. Also, eine ausreichende Zahl von Freunden ist wirklich wichtig – nicht unverbindliche Freundschaften, sondern enge Freundschaften.

 

Sprecherin:

Und wie viele enge Freunde brauchen wir seiner Meinung nach?

 

O-Ton 18 - Robin Dunbar:

A good number seems to be about five ... you have a close relationship with.

 

Sprecher 2 (voice over Dunbar):

Fünf scheint eine gute Zahl zu sein, sie taucht immer wieder auf. Zu den Fünfen können auch nahe Angehörige zählen, nicht nur Leute, die wir normalerweise als Freunde sehen. Es geht um Menschen, zu denen wir enge Beziehungen haben.

 

Sprecherin:

Wie sehr gute Freunde das Leben verlängern, illustriert Dunbar gerne mit den Ergebnissen einer Studie, die nachforschte, welche Faktoren darüber entschieden, wer ein Jahr nach einer Herzattacke noch am Leben war.

 

O-Ton 19 - Robin Dunbar:

The effect of the number and quality of friendships … was giving up smoking.

Sprecher 2 (voice over Dunbar):

Der Einfluss von Anzahl und Qualität der Freundschaften war ungefähr doppelt so groß wie der von all den Dingen, über die sich der Arzt Sorgen macht, also wie viel Sport Sie treiben, wie dick Sie sind, was Sie essen, die Luftqualität Ihres Wohnorts. Ähnlich großen Einfluss wie die Anzahl der Freunde hat nur, mit dem Rauchen aufzuhören.

 

Sprecherin:

Schon in jungen Jahren tun Freunde Leib und Seele gut, wie eine große USamerikanische Langzeitstudie zeigt: Jeder zusätzliche Freund verbesserte den eigenen Wert auf einer entsprechenden Gesundheitsskala um 6,6 Prozent. Freunde haben praktische Vorteile für die Gesundheit: Sie ermahnen uns, dass wir uns besser ernähren oder zum Arzt gehen, wenn wir krank wirken. Und weil wir uns in ihrer Gesellschaft wohl fühlen, werden im Körper die gerne als „Glückshormone“ bezeichneten Endorphine freigesetzt, die wiederum das Immunsystem stärken. Glücklicherweise haben die meisten Menschen genügend Freunde, die gesunde Zahl fünf ist tatsächlich der Durchschnitt. Frauen liegen etwas darüber und sie pflegen ihre Freundschaften auch anders, obwohl die Qualität der Gefühle laut Dunbar die gleiche ist.

 

O-Ton 20 - Robin Dunbar:

For women what allows them to keep friendships going, … conversation is unimportant.

 

Sprecher 2 (voice over Dunbar):

Was die Freundschaften von Frauen auf Dauer am Leben hält, ist, dass sie wirklich miteinander reden. Bei Männern sind es die Dinge, die sie miteinander tun. Es kommt nicht darauf an, ob sie zusammen im Bierkeller sitzen und still ihre Krüge leeren oder ob sie klettern gehen, auf einem See Kanu fahren oder Fußball spielen. Es spielt keine Rolle, solange sie zusammen aktiv sind. Die Menge der Gespräche ist unwichtig.

 

Sprecherin:

Das kam heraus, als Dunbar die Freundschaften von 30 Studierenden über anderthalb Jahre verfolgte. Die der Frauen hielten eher, wenn sie miteinander redeten, bei den Männern spielte das überhaupt keine Rolle. Bei ihnen kam es darauf an, etwas zusammen zu unternehmen. Im Einzelfall kann es natürlich anders aussehen, so wie bei Wilfried und Walter. Sie wandern nicht nur zusammen, sondern

unterhalten sich auch viel und offen. Und schließlich gibt es ja auch noch Freundschaften zwischen Frauen und Männern wie die zwischen Bernhard und Christina.

 

O-Ton 21 - Bernhard:

Mit einem Mann oder mit einer männlichen Freundschaft, die ich auch habe, ist es anders. Da hört man dann irgendwann auf oder man spricht die Dinge nicht so tief an. Man bügelt manches ein bisschen glatter, man geht über Dinge hinweg und frotzelt mehr miteinander. Das habe ich bei der anderen Freundschaft so nicht. Wir frotzeln auch, aber die Themen sind breiter. Sie sind tiefer, sie sind ernsthafter, sie sind gefühliger, sie sind wühlender in den eigenen Gedanken, Gefühlen als bei einer männlichen Freundschaft.

 

Sprecherin:

Auch wenn die meisten Menschen gut mit Freunden versorgt sind, gibt es doch

Ausnahmen. Vor allem ältere Menschen pflegen typischerweise nur noch wenige Freundschaften. Das muss kein Problem sein, da oft die engen, wahren Freundinnen und Freunde übriggeblieben sind. Aber wenn sie in Zeiten einer Pandemie auch diese Vertrauten nicht mehr sehen können, weil eine Ansteckung für alle besonders gefährlich wäre, schrumpft der Kreis weiter.

 

O-Ton 22 - Robin Dunbar:

And that's not good really, …, than they might otherwise have been.

 

Sprecher 2 (voice over Dunbar):

Und das ist wirklich nicht gut, weil gerade bei älteren Menschen die Zahl enger Freunde sehr gut etwa das Risiko für Alzheimer vorhersagt und auch das von allen wesentlichen Krankheiten, die für den Großteil der Todesfälle im Alter verantwortlich sind. Krebs, Herzinfarkte und so weiter. Das führt dazu, dass Menschen ohne Treffen mit Freunden also leider unvermeidlich kürzer leben, als sie es sonst getan hätten.

 

Sprecherin:

Aber nicht nur die Alten leiden. Beschränkungen von Kontakten zu Freunden außerhalb des Haushalts treffen natürlich vor allem die Altersgruppen, die auf solche Kontakte besonders angewiesen sind: die Kinder. Für Kleinkinder sei zwar die Familie am wichtigsten, sagt die Heidelberger Entwicklungspsychologin Cornelia Wrzus, aber:

 

O-Ton 23 - Cornelia Wrzus:

Mit dem Schulalter, mit dem Grundschulalter werden Freunde zunehmend wichtig. Nach wie vor ist es natürlich aber die Kernfamilie und dann umso mehr, wenn dann die Kinder auch ins Jugendalter kommen. Und dort findet eben die Ablösung vom Elternhaus statt. Und Freunde sind dann wirklich die zentralen Bezugspersonen.

 

Sprecherin:

Jüngere halten zwar meist online weiter Kontakt zu ihren Freundinnen und Freunden, aber das ist kein vollwertiger Ersatz. Strenge Kontaktbeschränkungen, wie es sie in Großbritannien und anderen Ländern gab, verändern auf Dauer, wer mit wem befreundet ist, hat der britische Psychologe Dunbar beobachtet, der auf die Erforschung solcher Netze spezialisiert ist.

 

O-Ton 24 - Robin Dunbar:

Probably your best friends are not going to be … the same street as you.

 

Sprecher 2 (voice over Dunbar):

Die engsten Freundschaften werden wahrscheinlich nicht betroffen sein. Aber die mittelwichtigen Freundschaften könnten vor sich hinsiechen und langsam verblassen.

Diese Freunde werden womöglich ersetzt durch Leute, die man noch treffen kann, Leute aus der gleichen Straße.

 

Musik

 

Sprecherin:

Natürlich enden Freundschaften auch ohne Pandemie. Die Studierenden in Dunbars Studie verloren in den anderthalb Jahren 40 Prozent ihrer Freunde oder trennten sich von ihnen, was in diesem Alter normal ist. Aber sie fanden genauso viele neue. Mehr noch: Wie die Analyse der Telefondaten zeigte, gestalteten sie die neuen Kontakte identisch. Verlor jemand beispielsweise den zweitbesten Freund, mit dem er zehnmal im Monat telefoniert hatte, dann telefonierte er typischerweise mit dem neuen Freund – zehnmal im Monat. „Wir füllen mit dem neuen Freund genau die Lücke, die der alte hinterlassen hat“, folgert Dunbar in einem Artikel für den „New Scientist“. Mehr Zeit ist für den neuen Freund offenbar schlicht nicht übrig. Aus dem gleichen Grund können wir nicht mehr als eine Handvoll wirklich guter Freunde haben. Deshalb müssen oft alte Platz machen, wenn sich jemand für neue entscheidet. Das kann für die langjährige beste Freundin bitter sein. Die heute 20-jährige Studentin Diana lernte Leonie in der fünften Klasse kennen. Die beiden Mädchen, die in Wirklichkeit anders heißen, wurden beste Freundinnen. Diana hielt Leonie die Treue, als es der Freundin sehr schlecht ging.

 

O-Ton 25 - Diana:

Sie hat Krebs bekommen in der achten Klasse, mit ungefähr 13 Jahren müsste das gewesen sein und war dann auch über ein Jahr lang im Krankenhaus, wo sie dann eben nicht in die Schule kam. Und ich bin dann immer hingefahren und habe sie dort besucht und ihr halt Sachen aus der Schule erzählt, Hausaufgaben vorbeigebracht und Kontakt gehalten, ja.

 

Sprecherin:

Diana und ein weiteres Mädchen waren fast die einzigen Freundinnen, die regelmäßig in die Klinik kamen, mehr wollte Leonie auch nicht sehen. Als Leonie nach einem Jahr entlassen wurde, besuchten beide zwar verschiedene Klassen, aber die enge Freundschaft ging weiter. Auch als sie nach dem Abitur in verschiedene Städte zogen, sahen sie sich regelmäßig. Doch nach einem Jahr versetzte Leonie Diana ausgerechnet an deren Geburtstag. Die beiden trafen sich, um sich auszusprechen:

 

O-Ton 26 - Diana:

Sie kam vorbei und das war halt nicht sehr, also für mich nicht wirklich nachvollziehbar, weil sie meinte eben, wir hätten uns auseinandergelebt und dass es auch an ihr gelegen hätte. Aber dass sie da momentan nicht in der Lage sei oder nicht willens sei, das zu ändern. Und ja, ich wusste dann auch nicht genau, was ich sagen soll oder wie ich reagieren soll, weil ich fand das alles etwas komisch, weil unsere Freundschaft dann auch schon elf Jahre lang ging und ich war auch ein bisschen überrumpelt, weil ich das nicht hatte kommen sehen.

 

             

Sprecherin:

Das ist drei Jahre her und dabei blieb es. Offenbar war der Nutzen der Freundschaft in den Augen von Leonie geringer als die Kosten, als der nötige Aufwand. Das passt zu der psychologischen Standardtheorie, dass Freundschaften nur existieren, solange die Gegenseitigkeit, die Reziprozität gewahrt bleibt. Aber bleiben wir unseren Freunden wirklich immer nur so lange treu, wie sie uns so viel geben wie wir ihnen geben? Die prominenten US-amerikanischen Evolutionspsychologen Leda Cosmides und ihr Mann John Tooby haben eine Theorie entwickelt, warum das nicht so ist – oder jedenfalls nicht ganz. Sie beginnt mit einer Analogie, dem so genannten Paradox des Bankers.

 

O-Ton 27 - Leda Cosmides:

Whenever you’re desperately in need of money … wants you to lend you money.

 

Sprecherin 2 (voice over Cosmides):

Wenn Sie verzweifelt Geld benötigen, leiht die Bank Ihnen keines, weil Sie nicht kreditwürdig sind und es wahrscheinlich nicht zurückzahlen. Wenn Sie hingegen jede Menge Geld haben, leiht die Bank Ihnen gerne welches.

 

Sprecherin:

Also: Wenn wir am dringendsten Unterstützung brauchen, bekommen wir sie am wenigsten. Wir stellen ein hohes Kreditrisiko dar, heißt das in der Finanzsprache. Verhalten sich Freunde so wie die Banker? Dass sie uns in schlechten Zeiten für ein

Kreditrisiko halten und fallen lassen? Leda Cosmides und John Tooby argumentieren, dass sich ein solches Verhalten in der menschlichen Evolution nicht hätte durchsetzen können.

 

O-Ton 28 - Leda Cosmides:

Hunter-gatherers do get into circumstances … partners would abandon you.

 

Sprecherin 2 (voice over Cosmides):

Jäger und Sammler sind in lebensbedrohliche Situationen geraten, in denen sie dringend Hilfe brauchten. Stellen Sie sich vor, Sie leben als Halb-Nomade und verletzen sich, können sich kaum bewegen, während die anderen weiterziehen wollen. Was passiert jetzt mit Ihnen? Hilft Ihnen jemand oder bleibt gar die ganze Gruppe da, bis Sie wieder gesund sind? Wenn in unserem Hirn nur Reziprozität herrschen würde, würden Sie als schlechtes Kreditrisiko gelten und all Ihre Freunde würden Sie aufgeben. Besser gesagt: Ihre Reziprozitätspartner würden Sie aufgeben.

 

Sprecherin:

Auch wenn das immer wieder geschieht: Den Freund in der Not im Stich zu lassen, betrachten wir als Verrat an der Freundschaft. Doch warum halten wir überhaupt die Treue, stehen Freunden mit Rat und Tat zur Seite? Leda Cosmides und John Tooby argumentieren: Die Bereitschaft zu scheinbar selbstloser Hilfe habe sich in der Evolution durchgesetzt, weil der andere ja später auch einmal nützlich sein könnte. Das soll nicht heißen, dass wir aus Berechnung helfen. Nach der Theorie macht diese Logik zwar freundschaftliche Gefühle erst möglich, doch die Gefühle sind echt. Die Evolution hat ja auch die Liebe der Eltern zu ihren Kindern hervorgebracht, damit sie für den hilflosen Nachwuchs sorgen. Und trotzdem denken Eltern dabei nicht eine Sekunde an die Weitergabe der eigenen Gene. Sie lieben ihre Kinder einfach. Auch wenn es um Freundschaft geht, ist es verpönt, auf den eigenen Vorteil zu schauen.

 

O-Ton 29 - Leda Cosmides:

Reciprocity, direct reciprocity relationships... not friends not that we are friends.

 

Sprecherin 2 (voice over Cosmides):

Reziprozität, direkte Reziprozität ist oft ein Zeichen für soziale Distanz. Wenn Sie mir

helfen und ich denke, dass ich gleich etwas zurückgeben muss, heißt das normalerweise, dass wir keine Freunde sind, und nicht, dass wir Freunde sind.

 

Sprecherin:

Leda Cosmides betrachtet Freundschaft deshalb nicht als ein schlichtes

Tauschgeschäft, sondern als eine Art Feuerversicherung. Genauso wie wir hoffen, dass wir sie nie brauchen werden und die jährlichen Beiträge gerne verloren geben, hoffen wir, dass wir nie auf die Hilfe unserer Freunde angewiesen sein werden – aber dass sie für uns da sein werden, falls doch. So gesehen ist Freundschaft zwar ein Trick der Evolution, um vordergründig selbstlose Hilfe möglich zu machen, aber die Freundschaft ist deswegen nicht weniger echt. Die Freunde Wilfried und Walter wissen jedenfalls, was das Besondere an ihrer Freundschaft ist:

 

O-Ton 30 - Wilfried und Walter:

Wilfried: Der Verzicht auf eine Schauseite, also Freundschaft nicht als Laufsteg, wo ich zeige, wie toll ich bin und was ich alles für wunderbare Sachen mache und dann sollst du staunen, sondern wo ich ankommen kann mit Dingen, die auch mal wirklich unangenehm sind und mich belasten. Walter: Du hast gerade ein schönes Wort gesagt: ankommen. Das ist nämlich etwas, was ich hier auch immer wieder darf, ich darf hier ankommen, und ich fühle mich hier sehr willkommen. Und das ist definitiv auch eine Sache, also wenn ich hier bin, fühle ich mich zuhause.

 

Musik

 

 

* * * * *