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Detektive mit Doktortitel
 Wissenschaftler auf Verbrecherjagd
(SWR2, 15. Juni 2011)

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Collage: Töne + Tatort-Musik Ansage:

„Detektive mit Doktortitel - Wissenschaftler auf Verbrecherjagd". Eine Sendung von Jochen Paulus.

Tatort-Musik

Sprecherin:

Wissenschaftler machen den Kommissaren ihr Aufklärungsmonopol streitig - in der Realität wie im Krimi. Im „Tatort" kommt eine kleinwüchsige Pathologin mit dem Spitznamen Alberich groß heraus, im Kino soll Angelina Jolie eine Gerichtsmedizinerin aus den Romanen von Patricia Cornwell verkörpern. In Fernsehserien helfen Kriminalpsychologen, Insektenforscher und Audiotechniker bei der Wahrheitsfindung. Bei den Kriminalromanen verraten Titel wie „Die Chemie des Todes" oder „Obduktion", dass die Polizeibeamten sich nicht mehr allein um die Leichen versammeln.

Tatort-Musik

Sprecherin:

Ein Mord ist geschehen und die Stunde des Experten Roman Bux schlägt. Während der Normalbürger vor dem vielen Blut erschaudert, sieht der Rechtsmediziner von der Universität Frankfurt lauter wichtige Spuren. Sie können womöglich den Ablauf der Tat erzählen:

O-Ton 1 - Roman Bux:

Diese Anhaftung am Schrank neben dem Bett, die stammt aus einer Blutung aus einer Schlagader. Da kann sonst ganz viel rot sein, als Experte sollten sie eben erkennen, ah, das ist jetzt eine Stelle, die kann ich konkret auswerten. Die gibt mir eine Information über den Gesamtablauf. Es gibt immer auch viele Spuren, irgendwelche Kontakt-, irgendwelche Wischspuren, die geben aber kaum Informationen fürs eigentliche Geschehen.

Sprecherin:

Dr. Roman Bux gehört zu den forensischen Wissenschaftlern in Deutschland, die ganz real gerufen werden, wenn ein Verbrechen geschehen ist. Die Frankfurter Polizei klingelt ihn oder einen Kollegen aus der Rechtsmedizin schon mal nachts um Viertel vor zwei aus dem Bett, wenn sie an einem Tatort Unterstützung benötigt, um Blutspuren zu interpretieren. Den folgenden Fall hat Bux für das Universitätsmagazin aufgeschrieben. Spannend ist, wie das Muster der Blutspuren schließlich zum Täter führt. Eine alte Frau liegt tot in der Mitte des Zimmers auf dem Rücken. Sie hat etliche Stich- und Schnittverletzungen im Gesicht und an der linken Handinnenfläche. Um sie herum ist überall Blut. Meist wollen die Polizeibeamten als erstes wissen, wann das Opfer gestorben ist:

 

O-Ton 2 - Roman Bux:

Das ist im Grunde erst mal klassischerweise eine Domäne der Temperatur. Also der Körper des Menschen kühlt sich ja nach dem Tod in einer gewissen Regelmäßigkeit ab. So wird man zur ersten Einschätzung kommen.

Sprecherin:

Je kühler der Körper, desto länger ist der Mensch tot. Im beschriebenen Fall lässt sich aber ohnehin genau eingrenzen, wie lange die Frau gelebt hat, da Nachbarn einen Streit gehört und gleich die Polizei gerufen hatten. Aufschlussreicher sind die vielen Blutspuren überall. Bux arbeitet mit einer Taxonomie der Blutspuren, die er von amerikanischen Gelehrten übernommen hat. Mit ihrer Hilfe teilt er Blutspuren anhand von Merkmalen ein wie Insektenforscher Käfer.

O-Ton 3 - Roman Bux:

Es gibt eine Blutspurengruppe, die entsteht, wenn Blut sich frei fliegend durch den Raum bewegt, also beschleunigtes Blut, spritzendes Blut, tropfendes Blut. Und das trifft dann auf irgendeinen Gegenstand und gibt da ein spezifisches Muster, das wir erkennen können. Das wäre diese Gruppe A bei den Autoren. Und die Gruppe B, die sogenannten non spatter stains, also Nicht-Spritz-Spuren. Das wären jetzt alle Spuren, die in irgendeiner Weise angeschmiert, durchwischt werden.

Sprecherin:

Im Fall der alten Dame findet er einige Blutstropfenspuren besonders interessant. Sie bilden an der Decke eine gerade Linie. Für jede Einzelne kann er aus der Form berechnen, aus welcher Richtung der Blutstropfen gekommen ist - wo der Täter also das Messer angesetzt hat. Am einfachsten ist eine kreisrunde Tropfenspur zu deuten. Ein perfekter Kreis entsteht nur, wenn ein Tropfen senkrecht auf eine Fläche trifft. Das Messer des Täters muss sich also genau unter dieser runden Tropfenspur befunden haben. Andere Tropfen, die sich gelöst haben, als der Täter mit dem blutigen Messer erneut ausgeholt hat, sind schräg aufgeschlagen, deshalb bilden die Tropfenspuren nun unterschiedlich lange Ellipsen. Der Rest ist Mathematik, wie sie Schüler lernen, ohne zu ahnen, dass sie bei der Aufklärung von Verbrechen helfen könnten.

O-Ton 4 - Roman Bux:

Sie können erst mal, das ist die eigentliche Trigonometrie - sie können aus, unwissenschaftlich gesprochen, Länge und Breite einer solchen Ellipse können sie den Auftreffwinkel über eine Sinusfunktion berechnen. Und wenn sie das in der dritten Dimension machen und mehrere solcher Spuren haben, dann können sie zu dieser „area of origin" kommen. Das heißt, sie können insgesamt unter günstigen Bedingungen das Raumelement konstruieren, aus dem diese blutigen Antragungen ihren Anfang genommen haben, aus dem die herrühren.

Sprecherin:

In diesem Fall schneiden sich die errechneten Linien in einem Bereich etwa 1,50 Meter über dem Fußboden. Dort muss der Täter das Messer bewegt haben. Er hat also nicht

 

einfach auf sein liegendes Opfer eingestochen, sondern es gab einen Kampf, worauf auch eine Verletzung an der Hand der Frau deutet. Gerichte interessieren sich für solche Details, denn sie wollen möglichst genau wissen, wie die Tat abgelaufen ist. Davon hängt unter Umständen ab, ob die Haftstrafe ein paar Jahre kürzer oder länger wird. Dazu muss allerdings erst einmal der Täter ermittelt werden. Doch wer hier gewütet hat, lässt sich nicht aus der Verteilung der Blutspritzer ablesen. Dafür könnte eine andere blutige Spur den Mörder verraten: ein Handabdruck an der Zimmerwand in der Nähe des Lichtschalters. Vielleicht hat sich der Täter mit der Tatwaffe selbst geschnitten? Die Polizei wendet sich mit dieser Frage an Dr. Esther Reuss, eine Kollegin von Roman Bux. Die Frankfurter Molekularbiologin soll eine DNA-Analyse durchführen. Sie liebt Blutspuren. Denn sie sind viel leichter zu untersuchen als beispielsweise Knochen.

O-Ton 5 - Esther Reuss:

Die DNA-Extraktion aus Knochenmaterial ist natürlich aufwendiger, weil man die erst mal kaputt bekommen muss. Und pulverisiert und aus dem Pulver letztlich die DNA extrahiert.

Sprecherin:

Dafür gibt es eine eigene „Knochenmühle". Die ist aber bei Blut nicht nötig. Dafür lässt sich Blut sogar in kleinsten Mengen analysieren und aufspüren.

O-Ton 6 - Esther Reuss:

Manchmal versuchen natürlich Täter, Blutspuren zu verwischen. Da gibt es aber ein ganz sensitives Nachweisverfahren, die sogenannte Luminol-Reaktion, die das Hämoglobin im Blut nachweist. Und das ist ein Reagenz, das man auf Blutspuren gibt und die fangen dann, wenn die mit dem Reagenz in Berührung kommen, im Dunkel an zu leuchten. Das sieht man häufig in Krimis. Das ist so ein blau-violettes Leuchten und das ist ein Vortest auf Blut.

Sprecherin:

Allerdings kann Luminol das Blut auch verdünnen und verschmieren. Deshalb haben US-Forscher gerade eine Kamera vorgestellt, die es mit Hilfe von Infrarotlicht sichtbar machen soll. Auf diese Weise lässt sich die Spur erst einmal dokumentieren. So oder so kann man das gefundene Blut mit Watte auftupfen und im Labor untersuchen.

O-Ton 7 - Esther Reuss (Atmo: Analysegerät / kurz unter Sprecherintext):

Rotationsgeräusch, Schalten. Das ist dieses Real-Time-Gerät...

Sprecherin:

Der so genannte genetische Fingerabdruck, der hier ermittelt wird, lässt sich in einer Datenbank überprüfen, ganz ähnlich wie ein richtiger Fingerabdruck. Im Fall der toten alten Frau ist das allerdings nicht nötig. Denn der Molekularbiologin ist etwas aufgefallen. Bei einem wildfremden Täter müsste sein genetischer Fingerabdruck ganz anders aussehen als der des Opfers - und das tut er nicht.

 

O-Ton 8 - Esther Reuss:

Wenn man zwei Profile sieht, und das erkennt man mit der Zeit, dass die sich doch sehr ähnlich sind. Und dann kommt es einem vielleicht schon in den Sinn, die sind sich so ähnlich, vielleicht sind das direkt Verwandte, also Mutter - Kind, Vater - Kind, wie auch immer oder vielleicht sind es auch Geschwister.

Sprecherin:

Damit kommt als Urheber der Blutspur nur der einzige Sohn des Opfers infrage. Die Kripo hatte ihn bisher nicht im Verdacht. Doch nach dem Hinweis der Wissenschaftlerin wird er zum Hauptverdächtigen, er muss eine Blutprobe abgeben, die DNA wird ermittelt, Treffer. Sie erweist sich als identisch mit der aus dem blutigen Handabdruck. Der Sohn gesteht den Mord, behauptet aber, die Tat nicht geplant zu haben. Er sei kokainsüchtig und habe seine Mutter nach einem Streit im Drogenrausch erstochen. Dieser Umstand könnte ihm vor Gericht eine Strafminderung bringen. Nun sollen die Forscher klären, ob er wirklich unter dem Einfluss der Droge stand. In der aktuellen Blutprobe Hinweise auf Kokain zu suchen, wäre jetzt, eine Woche nach der Tat, sinnlos. Denn Kokain wird viel schneller abgebaut. Aber in der Blutspur, die er am Tatort hinterlassen hat, könnte es nachzuweisen sein. Also schneidet die Polizei am Tatort ein Stück Tapete ab. Im Uni-Labor wird das Blut herausgelöst und untersucht.

Atmo: Flüssigkeitschromatografie (kurz frei und dann kurz unterlegen)

Sprecherin:

Dafür ist die Toxikologie zuständig, in der Cora Wunder arbeitet. Eines ihrer wichtigsten Geräte bekommt aufbereitete Blutproben auf einer Art Teller serviert.

O-Ton 9 - Cora Wunder:

(Sirrende Geräusche) Es gibt hier einen Arm, der drüberfährt, so ein Autosampler¬Gläschen packt und hier injiziert. In den Gaschromatografen.

Sprecherin:

Im Gaschromatograf herrscht eine Temperatur von 200 Grad, sodass die Probe sofort verdampft und sich in ihre Bestandteile auflöst. Die werden nun mit Stickstoff durch ein langes gewundenes Röhrchen gepustet, das mit einem speziellen Material gefüllt ist.

O-Ton 10 - Cora Wunder:

Also ich versuche es den Studenten so zu erklären. Die Substanzen kommen durch einen Tunnel. Es gibt dünne Substanzen, die gehen halt ganz schnell durch diesen Tunnel durch, also passieren den Tunnel vielleicht in fünf Minuten. Und dann gibt es dickere Substanzen, könnte man mit einem Comic vergleichen: Wenn so eine etwas dicklichere Person versucht, durch ein Loch durch zupassen, wo sie eigentlich gar nicht durch passt, man muss so ein bisschen nachdrücken, diese Substanzen brauchen dann länger. Und die kommen vielleicht nach zehn bis fünfzehn Minuten erst aus diesem Tunnel raus.

 

Sprecherin:

Diese Zeitspanne verrät also, um welche Substanz es sich handelt. Um sicherzugehen, müssen die Substanzen gleich nach dieser Gaschromatografie eine zweite Analyse durchlaufen, bei der es auf die Masse ihrer Bestandteile ankommt. Am Ende liefert das Gerät ein Diagramm mit verschieden langen Strichen, die für jede Substanz an charakteristischen Stellen auftreten. Anhand dieser Striche beurteilen Toxikologen wie Cora Wunder, welche Drogen beispielsweise in einer Blutprobe enthalten sind. Das Gerät hat viele chemische Fingerabdrücke in einer Art Bibliothek gespeichert und macht Vorschläge, um was es sich handeln könnte. Entscheiden darf es freilich nicht.

O-Ton 11 - Cora Wunder:

Es gibt zwar jetzt ein System, dass das automatisch machen soll, aber im Endeffekt bestimmt das der Analytiker. Das ist ziemlich viel Handarbeit bei der ganzen Sache, und das ist auch nicht so wie in den ganzen Fernsehsendungen, wie bei CSI, dass man da sagt, das muss in die Tox und man bekommt innerhalb der nächsten fünf Minuten eben sein Ergebnis. Das dauert etwas länger.

Sprecherin:

Beim Blut, das der Sohn des Opfers am Tatort hinterlassen hat, ist der Befund eindeutig: Der Fingerprint zeigt Striche an den Positionen 82, 182 und 303. Klarer Fall von Kokain. Ob das den geständigen Täter wirklich entlastet, muss später das Gericht entscheiden. Denn Rechtsmediziner Roman Bux ist bei der Analyse der Blutspuren etwas aufgefallen, was die Geschichte des Sohnes - er habe seine Mutter nach einem Streit erstochen - in Frage stellt. Ihm sind Blutspritzer aufgefallen, die am Schrank neben dem Bett der toten Frau gefunden wurden. Der Rechtsmediziner hat schnell gesehen, dass sie aus einer Arterie stammen, aus der Halsschlagader der Frau. Sie hat eine schwere Schnittverletzung am Hals. Der Wissenschaftler kann auch sagen, dass sie noch gelebt hat, als ihr diese Wunde zugefügt wurde. Denn bei der Leichenöffnung fand sich Blut in der Lunge.

O-Ton 12 - Roman Bux:

Wenn Sie eine Bluteinatmung haben, dann heißt das, dass eine Verletzung, die mit einem größeren Blutaustritt einhergeht in Umgebung der Atemöffnung oder der Atemwege zum Zeitpunkt des Noch-Gelebt-Habens gesetzt wurde. Und wenn sie jetzt hier so eine Halsschnittverletzung haben, eine größere, aus der es natürlich blutet und sie haben die Bluteinatmung und sie haben hier sonst keine Verletzung in der Region, die auch für einen Blutaustritt verantwortlich sein kann, dann können Sie schon sagen, Stichwunde, Schnittwunde am Hals ist zu Lebzeiten gesetzt worden und man hat die zumindest noch so lange überlebt, dass die Bluteinatmung noch möglich war.

Sprecherin:

Offenbar ist die Frau trotz der Verletzung sogar noch aufgestanden und hat sich gewehrt. Der Kampf führte zu den Blutspritzern an der Decke. So brutal der Sohn hier auch agierte - fataler könnte für ihn sein, was der Blutexperte über die erste Attacke herausgefunden hat, als seine Mutter noch im Bett lag:

 

O-Ton 13 - Roman Bux:

Wenn sie als Tatrichter davon ausgehen, dass das Opfer geschlafen hat zum Zeitpunkt des Angriffs, dann kann das schon im Grunde den Unterschied zwischen Mord und Totschlag ausmachen. Denn es kann sein, dass juristischerseits der Umstand des Geschlafen-Habens als Heimtücke gewertet wird. Es wird praktisch jemand angegriffen, der sich des Angriffs nicht gewärtig ist.

Sprecherin:

Über Schuld und Strafen entscheiden am Ende immer die Richter. Aber sie entscheiden heute oft auf der Basis von Erkenntnissen, die Wissenschaftler in mühevoller Kleinarbeit herausgefunden haben. Mal stützen sie sich auf die Expertise von Medizinern und Naturwissenschaftlern, mal holen sie - wie im Fall des Wettermoderators Jörg Kachelmann - Gutachten von Psychiatern und Psychologen ein. Roman Bux ist mit der Würdigung seiner Arbeit zufrieden:

O-Ton 14 - Roman Bux:

Im Grunde habe ich schon sehr häufig den Eindruck, und das sieht man an der Art und der Intensität der Nachfrage durch die Berufsjuristen in solchen Verfahren, dass insgesamt großes Interesse daran besteht und ich vermute schon, dass die entsprechende Begutachtung dann auch ins Urteil einfließt.

Sprecherin:

Immer wieder kommt es vor, dass ein Schuldspruch praktisch nur am Gutachten von Experten hängt. Im Juni 2008 starb eine 84-jährige Rentnerin in Dresden qualvoll bei einem Raubmord. Dem Hauptverdächtigen Mirko S. konnte die Kripo aber nichts beweisen. Offenbar hatte der bereits vorbestrafte Raubmörder im Gefängnis dazugelernt. Die Beamten fanden weder Fingerabdrücke noch DNA. Zum Verhängnis wurden Mirko S. schließlich winzige Bruchstücke von Kleidungsfasern, die beispielsweise an der Politur eines alten Schranks am Tatort klebten. Sie wurden mit Fasern aus Kleidungsstücken von Mirko S. verglichen und einige erwiesen sich als identisch. Mirko S. bekam lebenslänglich.

Für Täter ist es extrem schwer geworden, keinerlei verwertbare Spuren am Tatort zu hinterlassen. Selbst die guten alten Fingerabdrücke sind nicht immer zu vermeiden. Nicht einmal die RAF mit ihrer hohen kriminellen Intelligenz hat das geschafft.

O-Ton 15 - Harald Weisel:

Die Terroristen haben ja die Wohnungen gecleant, nachdem sie die verlassen haben, um eben den Nachweis nicht zu ermöglichen, dass sie dort waren. Und selbst dort hat man noch Abdrücke gefunden.

Sprecherin:

Harald Weisel ist Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt und Sachverständiger für Daktyloskopie, der Lehre von den Fingerabdrücken. Er zögert ein

 

bisschen. Dann verrät er aber doch, wo die Kollegen damals die Abdrücke gefunden haben, weil die Terroristen vergessen hatten, dort zu putzen.

O-Ton 16 - Harald Weisel:

In dem Fall war es auf einer Glühbirne.

Sprecherin:

An die Glühbirne hatten die Terroristen also nicht gedacht. - Schon vor Jahrtausenden waren die Menschen von den geheimnisvollen Linien auf ihren Fingern und Zehen fasziniert.

O-Ton 17 - Harald Weisel:

In Kanada haben die sogenannten Micmac-Indianer schon in Höhlenzeichnungen also die Linienmuster in die Wände geritzt.

Sprecherin:

In China beschrieb ein Kriminalschriftsteller bereits im 12. Jahrhundert, wie zwei mutmaßliche Mörderinnen ihre Fingerabdrücke abgeben mussten. Offenbar war die Methode damals im Reich der Mitte bereits in Gebrauch. In Europa setzte sie sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts durch. Neben einigen Engländern und Franzosen ist dies dem Berliner Tierarzt Wilhelm Eber zu verdanken. Er hatte sich im Schlachthof die blutigen Fingerabdrücke genauer angesehen, die seine Kollegen und die Beschäftigten hinterließen. Dabei fiel ihm auf, dass keine zwei Menschen die gleichen Muster tragen. Fingerabdrücke sind also ein Geschenk der Natur an die Kriminalisten. Theoretisch ermöglichen sie es, eine Spur eindeutig einem Menschen zuzuordnen. Aber wie stellt ein Experte überhaupt fest, ob zwei Abdrücke vom gleichen Menschen stammen? Harald Weisel sitzt in einem Großraumbüro mit vielen Bildschirmen, das so unspektakulär aussieht wie beim Einwohnermeldeamt.

O-Ton 18 - Harald Weisel:

Wir haben auf dem Rechner sämtliche Anwendungen, die wir brauchen und wir sind BKA-mäßig vollständig vernetzt.

Sprecherin:

Weisel versieht gerade einen Fingerabdruck mit Markierungspunkten. O-Ton 19 - Harald Weisel:

Ein Punkt kommt immer dorthin, wo sich entweder eine Linie gabelt, also dass aus einer Linie zwei werden, an die Gabelungsstelle oder immer dann, wenn eine Linie endet oder beginnt. Ein Fingerabdruck kann so um die 100 Punkte haben. In den Fragmenten haben wir in der Regel bedeutend weniger. Also sind wir schon froh, wenn wir so um die 15, 20 für die Recherche haben. Minimum für eine Recherche brauchen wir fünf Punkte, um überhaupt recherchieren zu können.

 

Sprecherin:

Recherchieren heißt: Das entstandene Punktmuster wird elektronisch nachgeschlagen im Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungs-System, kurz AFIS, eine Art Google für Daktyloskopen. Es enthält etwa drei Millionen Fingerabdrücke. In wenigen Sekunden sucht das AFIS aus dieser Masse beispielsweise die 15 heraus, die dem Fingerabdruck des Verdächtigen am ähnlichsten sehen. Die vergleicht Harald Weisel der Reihe nach am Schirm per Augenschein mit dem neuen Abdruck.

O-Ton 20 - Harald Weisel:

Wir haben hier ein markantes Merkmal, eine sogenannte eingelagerte Linie, die kann ich jetzt schon mal hier in der Spur markieren - hier beginnt sie, hier endet sie. Und das gleiche Merkmal müsste jetzt ja, falls es identisch ist, in dem andern Abdruck auch vorhanden sein. Und hier haben wir eine Linie, die hier endet. Etwa gleich lang ist wie in der Spur. Und von hier aus werden wir jetzt weitere Merkmale suchen, die übereinstimmen.

Sprecherin:

Zwölf Übereinstimmungen braucht Weisel, dann ist er sich sicher. O-Ton 21 - Harald Weisel:

In der Daktyloskopie machen wir ja keine Wahrscheinlichkeitsaussage, sondern wir sagen entweder diese Spur oder dieser Abdruck wurde von der Person verursacht oder nicht. Und das dann, wenn wir genug Übereinstimmungen haben. Und ich gehe davon aus, wenn die Grundsätze der Vorgehensweise eingehalten werden, dass wir eine Fehlerquote gleich null haben.

Sprecherin:

Doch tatsächlich sind Fingerabdruck-Experten keineswegs unfehlbar, was allerdings lange nicht erforscht wurde. Erst im April 2011 legte das FBI die erste große Studie vor. In jedem 13. Fall hatten die Spezialisten eine tatsächliche Übereinstimmung nicht erkannt. Schlimmer noch: In immerhin einem von tausend Fällen behauptete ein Fachmann, die Fingerabdrücke seien identisch, obwohl sie es nicht waren. So kommt womöglich der Falsche hinter Gitter. Harald Weisel glaubt, dass ihm und seinen Kollegen eine Panne wie dem FBI im Jahr 2004 nicht passieren würde. Damals war der amerikanische Anwalt Brandon Mayfield fälschlicherweise verdächtigt worden, beim Bomben-Attentat in einem Madrider Bahnhof beteiligt gewesen zu sein. Die FBI-Spezialisten meinten, seinen Fingerabdruck auf einer Plastiktüte im Auto der Bombenleger identifiziert zu haben. Doch sie hatten sich geirrt. Weisel holt den inzwischen berüchtigten Abdruck auf den Schirm. Hinterher sei leicht zu erkennen, wo das Problem lag:

O-Ton 22 - Harald Weisel:

Wie man auch hier schon sehen kann, man sieht unheimlich wenig anatomische Merkmale. Und die Frage ist, ob die Spur die Qualität aufweist, die zu einer Auswertung überhaupt geeignet ist. Wir haben uns ja diesen Abdruck angesehen, der wäre bei uns

 

in der ersten Stufe der Untersuchung möglicherweise schon ausgeschieden, weil einfach die Qualität zu schlecht ist, um hier ein solides Ergebnis zu produzieren.

Sprecherin:

Doch wenn dringend ein Terrorist gefangen werden muss, versuchen sich Experten schon einmal an undeutlichen Abdrücken. Insgesamt aber halten selbst Kritiker die Analyse von Fingerabdrücken für eine nützliche Methode. Und sie bringt ja auch schöne Erfolge. Wenn auch immer seltener. Viele Einbrecher scheinen nämlich Handschuhe angeschafft zu haben. Jedenfalls konnte die Polizei in einer Großstadt des Ruhrgebiets 2009 nur bei einem von fünfhundert Wohnungseinbrüchen anhand von Fingerabdrücken einen Verdächtigen identifizieren, so eine Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum.

Wenn gar keine Spuren zu finden sind, werden moderne Kriminalisten aber ebenfalls misstrauisch. Dr. Andreas Hellmann, ein BKA-Spezialist für Pflanzen- und Tierspuren erinnert sich an so einen Fall.

O-Ton 23 - Andreas Hellmann:

Also es war eine Person an einen Baum gefesselt, das hat sie zumindest ausgesagt, und hat über einen längeren Zeitraum versucht, sich davon zu befreien von diesem Baum und wir haben dann die Jacke bekommen zur Untersuchung und sollten eben nachweisen, ob von diesem Baum da noch Reste an seiner Jacke zu sehen sind, die drauf hinweisen, dass er da auch gefesselt war.

Sprecherin:

Denn vielleicht war der Mann ja gar nicht Opfer, sondern Täter in diesem Fall, in dem es um ein ausgeraubtes Fahrzeug ging. Zum Glück für die Kriminalisten war der Baum stark mit grünen Algen bewachsen:

O-Ton 24 - Andreas Hellmann:

Wir haben dann Vergleichsantragungen an einer ähnlichen Jacke gemacht, an einer produktgleichen Jacke und haben gesehen, dass diese Algen sofort übertragen werden und dass man die überhaupt nicht mehr abbekommt. Und diese tatsächliche Jacke von der Person, die sagte, sie wäre dann an den Baum gefesselt gewesen, hatte keine Algen.

Sprecherin:

Folglich hatte der Mann gelogen. Häufiger allerdings werden Täter durch Spuren überführt, die Hellmann und seine Kollegen tatsächlich finden. Für Kriminalbiologen wie ihn sind Menschen wandelnde Spurenträger.

O-Ton 25 - Andreas Hellmann:

Sie müssen sich vorstellen, wir bewegen uns draußen in der freien Natur und sammeln permanent Spuren. Wir sammeln permanent Pflanzen und Tiere auf. Denken sie daran, wir gehen durch eine Wiese und haben auf einmal die Hosen voll mit Samen, wo pflanzliche Samen an den Socken hängen bleiben, an den Hosen hängen bleiben und

 

alles das lässt sich dann immer auswerten. Das heißt: Bei fast jedem Fall treten biologische Spuren auf in Form von Pflanzen- oder Tierspuren, die natürlich nicht immer ausgewertet werden, aber die sind eigentlich immer da.

Sprecherin:

Zumal viele Menschen auch noch Hunde, Katzen oder Kaninchen halten. Die Haare der Tiere lassen sich an den unmöglichsten Stellen aufspüren. Das mussten ein paar Bankräuber feststellen, die sich wirklich Mühe gegeben hatten.

O-Ton 26 - Andreas Hellmann:

Sie waren gut geschützt, das heißt, sie hatten eine Strumpfmaske auf, hatten Handschuhe an, haben selbst keine DNA-Spuren abgegeben. Sie sind in ein Auto gesprungen, sind von der Bank geflohen, haben das Auto irgendwo abgestellt, umgestiegen, sind in ein anderes Auto gestiegen, weiter geflohen. Und dieses Auto ist dann im Rahmen der Ermittlungen eben aufgefunden worden und haben dann eben klassischerweise hier eine Spurensicherung an diesem Fahrzeug durchgeführt und es sind eine Menge von Hundehaaren aufgefallen.

Sprecherin:

Die Täter hatten an alles gedacht - nur nicht an den vierbeinigen Freund, den einer von ihnen besaß. Dass die Haare im Fluchtfahrzeug von ihm stammten, wiesen die BKA¬Wissenschaftler mit einer DNA-Analyse nach. Dieses mächtige Werkzeug der Kriminalisten ist auch bei Tier- und Pflanzenspuren im Kommen. Das heißt aber nicht, dass die Biologen getrost vergessen könnten, was sie über die äußerlich sichtbaren Merkmale von Pflanzen und Tieren gelernt haben. Nach wie vor muss erst einmal ganz klassisch bestimmt werden, um welche Pflanze es sich überhaupt handelt.

O-Ton 27 - Andreas Hellmann:

Wir können nicht mit der Chemie für, nehmen wir mal die Eiche, die DNA-Analyse einer Eiche nicht einsetzen, um Ahornblätter zu untersuchen oder um Eibe zu untersuchen oder andere Pflanzen- oder Tierarten. Das heißt, die Chemie für die DNA-Analyse an Eichen funktioniert auch nur an den Eichen.

Sprecherin:

Zwar kann auch ein Laie ein Eichenblatt von einem Ahornblatt unterschieden. Aber die Spezialisten bekommen oft nur Fetzen von Blättern oder nur ein Haar von einem Tier. Dann helfen erst einmal nur noch Erfahrung und Bestimmungsbücher weiter. Wenn der Biologe dann meint, die Art erkannt zu haben, vergleicht er das gefundene Stück mit einem Original. Deshalb erinnert Hellmanns Abteilung ein wenig an ein Naturkundemuseum. Da gibt es Haare von Pferd, Esel, Schaf und diversen Hunderassen, es gibt Muscheln, Vogelfedern, ausgestopfte Vögel, Hundeschädel und natürlich den Käfer, den ein Kollege vor dem Eingang des BKA totgetreten hat und den Hellmann bestimmen will, sobald er einmal Zeit hat. In Schränken lagern außerdem Holzproben von Bäumen, aber auch kleine Äste. Hellmann schlägt ein Herbarium auf, in dem sich getrocknete Pflanzen finden:

 

O-Ton 28 - Andreas Hellmann:

Es ist zertifiziertes Material, das von Professoren an der Hochschule bestimmt wurde und auch so beschrieben ist. Wir sehen hier zum Beispiel Gräser, das sind getrocknete Gräser, die wir im Einzelfall dann immer wieder als Vergleich heranziehen können.

Sprecherin:

Viele Stücke der Sammlung sind Jahrhunderte alt. In dem Herbarium sind die Klebestreifen schon vergilbt.

O-Ton 29 - Andreas Hellmann:

Kunststoff ist vergänglich, das sehen wir, dass es da so ein bisschen vergilbt ist, aber die Pflanzen, die bleiben stabil, die Merkmale bleiben stabil, auch wenn sie hundert oder zweihundert Jahre getrocknet sind. Wir können die trotzdem noch genauso gut auswerten.

Sprecherin:

Doch so sehr die BKA-Biologen ihre alten Sammlungen in Ehren halten, sie setzen natürlich auch modernste Methoden ein. 1998 wurde eine Deutsche tot in einem niederländischen Waldstück gefunden. Der Verdacht fiel auf ihren Ehemann, doch der Mord konnte ihm nicht bewiesen werden. Erst sechs Jahre später wurde ihm ein Eichenblatt zum Verhängnis, das im Kofferraum seines Autos gefunden worden war. Hellmanns Abteilung packt pflanzliche Funde wie diesen in eine Mühle, wirft ein paar Metallkugeln dazu und lässt das Gerät losrasseln.

O-Ton 30 - Andreas Hellmann (mit Atmo: Mühle):

In dem Bereich wird die Zellwand oder die Zelle soweit aufgebrochen, dass die DNA vollkommen frei ist.

Sprecherin:

In dem damaligen Fall wiesen die BKA-Spezialisten bei der DNA-Analyse nach, dass das Blatt aus dem Auto des Ehemanns von einer Eiche in dem niederländischen Wald stammte.

O-Ton 31 - Andreas Hellmann:

Er hat behauptet, dass er nie an diesem Ort war. Und es ist direkt bewiesen worden, dass er mit dem Fahrzeug an diesem Fundort der Leiche war und dass dann eine Übertragung dieser Blattspur dann auch stattgefunden hat.

Sprecherin:

Der Ehemann wurde zu acht Jahren wegen Totschlags verurteilt. Die genaue Methode zur DNA-Analyse von Eichenblättern hatten die BKA-Spezialisten bei Biologen der Universität Marburg erfragt. Im Gegenzug lehren die BKA-Leute heute in Marburg forensische Biologie. Weit mehr Biologiestudentinnen und -studenten wollen in die Seminare als es Plätze gibt. Für Nachwuchs-Ermittler mit Doktor-Titel ist also gesorgt.


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