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Drogen in der Psychotherapie –
Fragwürdig oder erfolgversprechend? |
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SWR2 Wissen Drogen in der Psychotherapie – Fragwürdig oder erfolgversprechend? Von Jochen Paulus
Sendung vom: Mittwoch, 1. Dezember 2021, 8:30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Andrea Leclerque Produktion: SWR 2021
Kann der Wirkstoff aus „magischen Pilzen“ depressiven Menschen helfen, bei denen andere Medikamente nicht wirken? Noch sind Drogen in der Psychotherapie verboten. Studien sollen Klarheit bringen.
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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MANUSKRIPT
Musik
Sprecherin: Drogen. Verändern das Bewusstsein. Haben Nebenwirkungen. Können süchtig machen. Sind verboten.
Drogen sind derzeit vielleicht die große Hoffnung für die Behandlung psychischer Störungen. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sieht in zwei der verbotenen Substanzen Kandidaten für einen Durchbruch in der Therapie. Deshalb hat sie ihnen den „Breakthrough“-Status verliehen (i). Das macht es leichter, Studien durchzuführen und zu untersuchen, ob sie zur Linderung oder Heilung von psychischen Störungen wie Ängsten, Traumata und Depressionen beitragen können. Erste kleine Studien bescheinigen, dass sie gut wirken – in einigen Studien wirken sie geradezu unglaublich gut. Die Favoriten sind sogenannte Psychedelika, die Halluzinationen auslösen, vor allem der Zauberpilzstoff Psilocybin.
Ansage: Drogen in der Psychotherapie – Fragwürdig oder erfolgversprechend? Von Jochen Paulus.
Sprecherin: Für Patientinnen wie die an traumatischen Kindheitserfahrungen leidende Diana sind Drogen häufig eine letzte Hoffnung, um aus einer chronischen psychischen Erkrankung zu kommen. Der 46-Jährigen hatten mehrere Psychotherapien nicht geholfen.
Musik
Sprecherin: Schließlich fuhr sie in die Niederlande, um an einer angeleiteten Drogenerfahrung teilzunehmen. In Deutschland ist das illegal. Während einer „Zeremonie“ trank sie einen Tee aus sogenannten Zauberpilzen. Sie enthalten Psilocybin. Diana begann zu halluzinieren:
O-Ton Diana: Dann bin ich am Anfang gleich in ein sehr tiefes Loch geklettert, und unten war es ganz grau und ganz neblig und ganz dunkel und sehr unangenehm und in diesem Nebel, der so wabernd war, tauchte dann ein Bild von mir auf als Achtjährige in einem Sarg. Und dann war mir klar, ja, das bin ich, dass ich gestorben bin. Und eine Frage war ja auch, wäre die Welt ein besserer Platz ohne mich?
Sprecherin: Diese bedrückenden Bilder wandelten sich schließlich. Auf einmal war die Stimmung hell und freundlich.
O-Ton Diana: Und von diesem ganz ersten Schock bin ich weggeführt worden tatsächlich von einer Person, von einem Mann, und ich hab dann begriffen: Das ist der Pilz. Und der hat mich dann auch die ganze Zeit begleitet, das war ein wahnsinnig freundlicher Mann, der nur Güte für mich übrig hatte und Unterstützung. Etwas, was ich als Kind tatsächlich nie hatte.
Sprecherin: Für Diana war diese Erfahrung ein gutes Erlebnis. Sie gewann Klarheit über sich und ihre kindlichen Verletzungen.
Atmo: Insight-Konferenz
Sprecherin: Konferenzen zu Psychedelika würden „aus dem Boden sprießen wie Pilze“. So spottete ein niederländischer Experte. Bei der Insight-Konferenz in Berlin traten im September 2021 über einhundert Referentinnen und Referenten auf. Einer der prominentesten war Professor Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Er ist einer der führenden deutschen Spezialisten für Psychopharmaka, also Arzneimitteln, die auf die Psyche wirken.
O-Ton Gerhard Gründer: Ja, ich war skeptisch, bevor ich mich damit auseinandergesetzt habe, wie so viele meiner Fachkolleginnen und -kollegen. Wenn man sich dann aber intensiver damit auseinandersetzt und vor allen Dingen auch über Wirkmechanismen von Psychopharmaka nachdenkt und nach neuen Behandlungsansätzen sucht, dann kommt man automatisch dahin, dass man sich mit Psychedelika beschäftigt.
Sprecherin: Fachleute sowie Patientinnen und Patienten warteten in den letzten Jahrzenten vergebens auf bessere Medikamente gegen psychische Störungen. Die bisherigen helfen einfach nicht in ausreichendem Maß.
O-Ton Gerhard Gründer: Wir haben in den letzten 20 Jahren etwa eigentlich nur noch ganz wenige neue Psychopharmaka in unserem Behandlungsinstrumentarium bekommen. Und wenn man das feststellt, dann muss man sich schon fragen, braucht man vielleicht nicht nur einfach neue Substanzen nach dem alten Schema, sondern braucht man ganz neue Therapieansätze? Und Psychedelika repräsentieren sicherlich einen solchen neuen Therapieansatz.
Sprecherin: Natürlich sehen zumindest einige in der Branche die Verwendung von Psychedelika – auch Halluzinogene genannt – kritisch. Zu ihnen zählt Professor Rainer Thomasius, Suchtspezialist am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
O-Ton Rainer Thomasius: Wir haben bisher sehr unvollständige Evidenzen vorliegen für den Einsatz von Halluzinogenen. Auf der anderen Seite aber für viele psychische Störungen, also ich meine hiermit die depressiven Störungen, die Angststörungen, die posttraumatischen Belastungsstörungen, eine sehr hervorragende Evidenz für eingeführte psychotherapeutische oder auch psychopharmakologische Verfahren.
Sprecherin: In einem würden ihm auch andere Fachleute zustimmen: Wie gut Arzneimittel und Psychotherapien gegen viele psychische Störungen wirken, ist bestens untersucht. Die Ergebnisse dieser Forschungen finden viele allerdings sehr bescheiden. So geht es nur 58 Prozent der von Alkohol und anderen Drogen Abhängigen am Ende besser, nachdem sie mit der führenden kognitiven Verhaltenstherapie behandelt wurden, als denen in der Kontrollgruppe ohne Therapie (ii). Von allen mit einschlägigen Medikamenten behandelten Depressiven spricht nur etwa die Hälfte überhaupt darauf an. Selbst dann sind die Depressionen oft nicht völlig verschwunden und häufig brechen sie bald wieder aus, so schlimm wie vorher. Psychotherapie wirkt nachhaltiger, aber auch sie kann vielen nicht helfen (iii). Sind die Depressionen schwer und wirken weder Psychotherapie noch die gängigen Medikamente, sieht sogar Rainer Thomasius kaum Alternativen.
O-Ton Rainer Thomasius: Hier bleibt mitunter als letzte Option nur die Elektrokrampfbehandlung. Hier müssen gut konstruierte Studien durchgeführt werden, ob möglicherweise die Halluzinogene bei diesen schweren depressiven Störungen helfen könnten.
Musik
Sprecherin: Psilocybin, das gerade wohl in den meisten Drogen-Studien verabreicht wird, ist dagegen strikt verboten. Hierzulande darf es nur mit einer Sondergenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erprobt werden. Gerhard Gründer testet Psilocybin gemeinsam mit Forschenden von der Berliner Charité in der bisher einzigen deutschen Untersuchung einer psychedelischen Droge in der Psychotherapie.
O-Ton Gerhard Gründer: Wir behandeln 144 Patienten mit einer sogenannten therapieresistenten Depression. Das heißt, das sind Patienten, die hatten schon mindestens zwei vergebliche Behandlungs-, mindestens zwei vergebliche Behandlungsversuche mit konventionellen Antidepressiva. In unserer Studie realistisch sind das zum Teil viel, viel mehr. Die haben noch andere Therapieverfahren schon versucht, zum Teil Elektrokonvulsionstherapie, zum Teil Ketamin-Infusionen.
Sprecherin: So eine Studie ist teuer. Gerhard Gründer und sein Team können sie nur durchführen, weil sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 2,4 Millionen Euro dafür erhalten haben. Genehmigung und Geld waren schwerer zu bekommen als Patienten. Sie melden sich in Scharen, was ungewöhnlich ist, wenn ein Psychopharmakon untersucht werden soll.
O-Ton Gerhard Gründer: Die kommen zu uns, werden umfangreich aufgeklärt, vorbereitet und dann erhalten sie in einem doppelblinden Design entweder ein aktives Placebo, Nikotinamid, oder eine niedrige Dosis Psilocybin, fünf Milligramm oder eine hohe Dosis Psilocybin, 25 Milligramm. Wir vermuten, nur die hohe Dosis ist antidepressiv wirksam.
Sprecherin: Die Wirkung der bei einer Einzeltherapie in einer Kapsel verabreichten Droge hält etwa sechs Stunden an. Die Patientinnen und Patienten werden gründlich auf die Erfahrung vorbereitet, zwei Therapeutinnen oder Therapeuten begleiten sie den ganzen Tag intensiv, später wird das Erlebnis in mehreren Sitzungen nachbereitet.
Musik
Sprecherin: Es ist üblich, bei solchen Sitzungen Musik zu hören, auch in der Studie von Gerhard Gründer. Die Johns-Hopkins-Universität hat eine fast achtstündige Playlist der Musik veröffentlicht, die sie in einer ihrer Studien verwendet hat (iv). Auch Diana hörte Musik während ihrer Psilocybin-Erfahrung. Sie traf den gütigen „Pilzmann“ und ging mit ihm weiter.
O-Ton Diana: Und wir sind dann auf ein Tunnelende zugegangen und in der Mitte bin ich noch mal so überwältigt gewesen, von Trauer und von Angst und wirklich sehr alten Gefühlen und dann hat sich tatsächlich die Musik, die ja sehr laut auch und sehr präsent war, auf die ich auch sehr stark reagiert habe, hat sich auch manifestiert als Person. Das war dann eher so eine Fee in einem hellblauen Kleid mit langen blonden Haaren, also wirklich so ein bisschen Disney-mäßig. Und die beiden haben mich gehalten und das war auch das erste Mal für mich. Also da war ich immer noch, da sah ich mich als Kind, dass das ich das durfte, dass ich weinen durfte, ohne aus dem Zimmer geschickt zu werden wegen Hysterie oder so etwas.
Sprecherin: Eine begleitende Therapie machte Diana in den Niederlanden nicht. Aber sie hatte sich auf diese Sitzung online mit dem an der Londoner Regents University tätigen Therapeuten Henry Whitfield vorbereitet. Er hat schon öfter Patienten dabei geholfen, therapeutische Drogenerfahrungen aufzuarbeiten. Whitfield erklärt den Sinn der Musik bei solchen Sitzungen:
O-Ton Henry Whitfield: Music serves … a way of helping you feel safe
and that you're in a nice kind of environment. However, the music chosen in
psychedelic therapy at a certain point it will take a more dark turn as well
because it wants to invite you to feel those difficult feelings so that some
of the music might sound a bit scary or some like very serious classical
music, some universities have used in their studies. But basically it holds
you. Some people have called it the handrail through the experience. Because
it is a constant and it is there and you feel held by it. Übersetzung: Musik signalisiert, dass Du sicher und in einer schönen Umgebung bist. Jedoch nimmt die Musik in der psychedelischen Therapie an einem bestimmten Punkt eine Wendung ins Dunkle, weil sie Dich einladen will, schwierige Gefühle wahrzunehmen. Sie klingt dann vielleicht ein bisschen gruselig. Einige Universitäten haben ernste klassische Musik in ihren Studien verwendet. Aber im Prinzip hält die Musik Dich. Manche haben sie mit einem Geländer verglichen, das durch die Erfahrung führt. Denn sie ist konstant da und Du fühlst Dich von ihr gehalten.
Sprecherin: Whitfield hatte mit Diana vorher auch die Fragen erarbeitet, auf die sie sich in der Sitzung Antworten erhoffte. Sie war schon als Kind chronisch krank. Die Eltern, die all ihren Kindern gleich viel Aufmerksamkeit schenken wollten, waren nach Dianas Erinnerung überfordert.
O-Ton Diana: Und haben mich quasi dann dafür auch bestraft, wenn ich, ja, wenn ich ihre Zeit verschwendet hab‘im Zuge davon, dass sie mit mir zu Ärzten und Spezialisten gehen mussten oder ins Krankenhaus oder zur Krankentherapie oder was auch immer, und ich hab dort einfach wirklich gelernt, dass ich eine Last bin. Und auch das Thema, dass ich an allem schuld bin, das ist einfach so ein Mutter-Tochter-Ding, was da auch passiert ist und was Fragen waren, die ich mit in die psychedelische Zeremonie genommen habe, unter anderem, warum ich einfach eine Last bin und warum ich an allem schuld bin.
Sprecherin: Schon früher haben Forscherinnen und Forscher versucht, psychische Erkrankungen mit psychedelischen Drogen zu heilen (v). Vor einem guten halben Jahrhundert machten sich vor allem kanadische Experten systematisch daran. Der Psychiatrieprofessor David Nutt vom Imperial College in London ist einer der international bekanntesten Drogenspezialisten.
O-Ton David Nutt: Psychedelics first … came into psychiatric treatment
research in about 1953, 54, and they were widely, widely researched up to
about 1967. 1000 papers were published on psychedelic therapy, 40,000
patients were studied. And it was all looking very promising. Übersetzung: Psychedelika wurden zuerst 1953/54 in der psychiatrischen Behandlungsforschung eingesetzt und bis etwa 1967 in großem Stil genutzt. Etwa tausend Fachartikel wurden zur psychedelischen Therapie veröffentlicht. Sie wurde an etwa 40.000 Patienten erprobt und es sah alles vielversprechend aus.
Sprecherin: Doch diese frühe Blütephase der psychedelischen Therapie dauerte nur ein gutes Jahrzehnt. Sie endete – so die eine Theorie – auch, weil die Forscher nicht beweisen konnten, dass die Drogen wirklich halfen (vi). Das hätten sie nach den 1962 in den USA eingeführten Regeln mit placebokontrollierten Doppelblindstudien belegen müssen. Nach der zweiten Theorie ging es beim Ende der Drogentherapie um etwas ganz Anderes.
Musik – Hair: LBJ took the IRT Down
to 4th Street USA When he got there What did he see? The youth of America on LSD … Sprecherin: In den 1960er-Jahren entstand eine Gegenkultur mit Studentenunruhen, Protesten gegen den Vietnam-Krieg und jeder Menge Drogen. Berühmt und berüchtigt wurde der Harvard-Professor Timothy Leary.
O-Ton David Nutt: Leary was an interesting man… the world would
change for the better. Übersetzung: Leary war ein sehr interessanter Mann. Er hatte eine sehr tiefgehende Erfahrung mit Pilzen und hat sich dann daran gemacht, sie mit anderen Psychedelika zu wiederholen. Er wurde ins Gefängnis geworfen, auch weil die Leute nicht mochten, was er sagte, weil das den „American way of life“ infrage stellte. Er behauptete, wenn alle Psychedelika nähmen, würde die Welt sich zum Besseren verändern.
Musik – Hair: Singing my special songs on a spider web sitar Life is around you and in you Answer for Timothy Leary, dearie Sprecherin: Leary wurde sogar im Hippie-Musical Hair von 1968 kurz besungen.
Der US-amerikanischen Regierung gefiel es gar nicht, dass die Jugend Drogen konsumierte, um so ihr Bewusstsein zu erweitern. 1971 schlug Präsident Nixon zu – laut David Nutt nicht nur, um etwas gegen die Drogengefahren zu unternehmen.
O-Ton David Nutt: Nixon decided … that he couldn't win the war
in Vietnam, so he created a displacement war. Another war. He could win he
thought the war on drugs and these drugs got banned. Übersetzung: Nixon kam zum Schluss, dass er den Krieg in Vietnam nicht gewinnen konnte, also schuf er einen Ersatzkrieg. Einen anderen Krieg, von dem er dachte, er könne ihn gewinnen, den Krieg gegen die Drogen. Und die Drogen wurden verboten.
Sprecherin: Damit war es auch schwierig bis unmöglich, den Nutzen der Drogen in der Psychotherapie zu untersuchen. Der Krieg gegen die Drogen habe die Forschung fünfzig Jahre zurückgeworfen, bedauert David Nutt heute. Begründet wurde der Kampf gegen die Drogen natürlich mit deren Risiken. Deshalb sind die Stoffe auch heute noch verboten. Der Hamburger Suchtmediziner Thomasius hebt besonders eine Gefahr hervor.
O-Ton Rainer Thomasius: Die botanischen und die synthetischen Halluzinogene können unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen wie beispielsweise Psychosen.
Sprecherin: Psychosen zeichnen sich durch Wahnvorstellungen aus, die wichtigste psychotische Erkrankung ist die Schizophrenie. Dieses Risiko und weitere sind natürlich der Psychologin Dr. Katrin Preller geläufig. In ihren Studien an der Universität Zürich verabreicht sie Gesunden und Kranken Psilocybin – und seltener auch LSD.
O-Ton Katrin Preller: Dazu muss man aber sagen, dass wir natürlich auch eben die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen haben, was unter anderem auch heißt, dass wir eben schauen, ob die Patienten keine Herz-Kreislauf-Schwierigkeiten haben. Wir nehmen auch Blut ab, um zu schauen, ob im Metabolismus alles in Ordnung ist, und wir schließen alle Probanden und Probandinnen aus, die entweder selber oder in der erstgradigen Verwandtschaft psychotische Erkrankungen haben. Und mit den Sicherheitsmaßnahmen plus der professionellen Betreuung sehen wir keine langfristigen Nebenwirkungen.
Sprecherin: Allerdings sind die Drogen nur dann einigermaßen harmlos.
O-Ton Katrin Preller: Das kann natürlich anders sein, wenn ich unkontrolliert und ohne die entsprechende Begleitung und ohne die Dosis zu wissen, so eine Substanz zuhause oder auf einem Festival einnehme, dann kann das natürlich ganz, ganz, andere Erfahrung sein, die dann noch viel schwieriger zu verarbeiten ist.
Sprecherin: Psychedelika können den Blutdruck in die Höhe treiben und das Herz rasen lassen, vor allem aber können sie den Geist verwirren, die Stimmung dramatisch verschlechtern und starke Ängste auslösen. Drogenkonsumenten sprechen dann von einem „bad trip“. Im schlimmsten Fall begeben sich Menschen im Rausch in gefährliche Situationen – auf der Flucht vor ihren Dämonen oder weil sie glauben, sie könnten fliegen. Das passiere selten, sagt Katrin Preller.
O-Ton Katrin Preller: Aus dem Fenster springen wollte definitiv noch niemand, aber eben was vorkommen kann, sind ebenso Episoden, bei denen die Angst wirklich so überwältigend wird, dass eben man eben pharmakologisch intervenieren muss, das ist aber, und ich habe bestimmt irgendwie hundert Teilnehmer und Teilnehmerinnen gesehen, ich glaube, das kam einmal vor bisher.
Sprecherin: Interessanterweise ist auch die Gefahr, süchtig zu werden, bei der Einnahme von Psychedelika kein wirkliches Problem, weiß Suchtforscher Rainer Thomasius.
O-Ton Rainer Thomasius: Ich sehe die Abhängigkeitswirkung von Halluzinogenen auch als ausgesprochen gering, weil bisherige Studien nicht darauf hinweisen, dass es zu einer Herunterregulierung unterschiedlicher Nervenzellverbände kommt, wie wir es bei der Tabakabhängigkeit, der Cannabis-, der Alkoholabhängigkeit sehen.
Sprecherin: Daher ist die Therapie im Kampf gegen die Sucht nach Alkohol, Nikotin oder anderen Drogen nicht von vornherein widersinnig.
O-Ton Katrin Preller: Ob sie wirklich hilft, werden wir dann rausfinden. Aber wir sehen auch aus Studien, die schon in den fünfziger, sechziger Jahren durchgeführt worden sind, dass damals LSD eigentlich vor allem zum Zweck der Therapie der Alkoholabhängigkeit eingesetzt worden ist. Das heißt, die Vorbefunde sind eigentlich schon recht richtungsweisend, dass das wirken könnte.
Sprecherin: Am häufigsten wird Psilocybin derzeit wohl zur Bekämpfung von Depressionen erprobt. Die Datenlage sah bei aller Vorsicht sehr vielversprechend aus. Doch dann kam der April 2021 und eine andere Studie erschien: David Nutt, sein Kollege Robin Carhart-Harris und Kollegen veröffentlichten den ersten Vergleich von Psilocybin mit einem Standard-Antidepressivum – in der angesehenen Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“. Die Ergebnisse stellen alles in Frage. Als entscheidendes Erfolgskriterium wählte das Team einen Fragebogen mit Depressionssymptomen, den die Patientinnen und Patienten selbst ausfüllten.
O-Ton David Nutt: What we found … was on the primary measure
which was the self-reported reports of depression called the QIDS we found
there wasn't a difference. Übersetzung: Im sogenannten primary outcome, dem zentralen Ergebnis der Studie, dem von den Probanden selbst ausgefüllten Depressionsfragebogen, gab es keinen Unterschied.
Sprecherin: Psilocybin war zwar etwas erfolgreicher als das herkömmliche Antidepressivum, aber der Unterschied lag im Zufallsbereich. Hätte das Team mehr Patientinnen und Patienten gehabt, hätte sich Psilocybin vielleicht als überlegen erwiesen. Das wäre auch passiert, wenn das Team sich für ein anderes „primary outcome“ entschieden hätte. Denn gewissermaßen außer Konkurrenz wurden noch viele weitere Ergebnisse erhoben. Andere Depressionsmaße etwa, die Besserungsrate und das Wohlbefinden.
O-Ton David Nutt: Everything, everything was significant... nature of science. The nature of trials.
Übersetzung: Alles, alles war statistisch signifikant. Nur nicht das entscheidende Erfolgskriterium und das ist wirklich Pech. Hätten wir ein anderes Erfolgskriterium gewählt, wären die Leute jetzt viel zufriedener. Aber so ist die Wissenschaft, so sind klinische Studien.
Sprecherin: Ob Psilocybin doch besser ist als die Standardmedikamente, müssen nun neue, größere Studien zeigen. Sie laufen bereits, etwa die deutsche Studie von Gerhard Gründer mit immerhin 144 Teilnehmenden.
Aber wie helfen Drogen möglicherweise gegen psychische Erkrankungen? Niemand weiß es, doch an Ideen fehlt es nicht. Um reine Entspannung, kurzfristige Hochgefühle geht es jedenfalls nicht. Katrin Preller erforscht an der Universität in Zürich, wie Psilocybin die Weiterleitung von Nachrichten im Gehirn beeinflusst. Die geschieht unter anderem mit Hilfe von Botenstoffen, die eine Nervenzelle aussendet und die von einem Rezeptor der nächsten Nervenzelle aufgenommen werden – wie ein Schlüssel von einem Schloss.
O-Ton Katrin Preller: Eine Hypothese sind Veränderungen am Serotonin-2A-Rezeptorsystem. Das ist der Rezeptor, an dem das Psilocybin im Gehirn andockt, und wenn man diese Rezeptoren stimuliert, dann kann das durchaus auch langfristige Effekte haben, eben dass sich die Anzahl dieser Rezeptoren zum Beispiel im Gehirn verändert und das könnte theoretisch ein antidepressiver Effekt sein.
Sprecherin: Denn manche Informationen im Gehirn werden nun anders verarbeitet.
O-Ton Katrin Preller: Und dann haben wir gesehen, dass die Art und Weise, wie unser Gehirn Information zusammenbringt, also interpretiert, verknüpft mit anderen Informationen, dass die Funktionen wahrscheinlich auch etwas gelockert sind. Das heißt, wir integrieren die Informationen anders, und das kann eben dazu führen, dass wir diese Wahrnehmungsveränderungen haben. Aber das kann eben auch dazu führen, dass wir uns selber in einem ganz neuen Licht betrachten können, dass wir die Umwelt anders anschauen können und dass wir vielleicht auch aus eingefahrenen Denkmustern ausbrechen können.
Sprecherin: Drogenerfahrungen allein heilen allerdings meist nicht. Deshalb werden sie bei der Behandlung in eine Psychotherapie eingebettet. Die soll helfen, die oft dramatischen und nicht selten beängstigenden Erlebnisse zu verarbeiten – sie zu integrieren, wie die Fachleute sagen.
Musik
Sprecherin: Diana hatte sich wegen ihrer zahlreichen gesundheitlichen Probleme in der Kindheit als Last für ihre Eltern empfunden. An diesem Thema arbeitete sie neun Monate lang in wöchentlichen Sitzungen mit ihrem Therapeuten Henry Whitfield.
O-Ton Henry Whitfield: The strongest, most recurring … principles
you can see oh it is an echo from the past. Übersetzung: Ihr stärkster, am häufigsten wiederkehrender Gedanke war: Ich bin eine Last. Ihr Geist wiederholte das die ganze Zeit und es beeinflusste, wie sie die Welt sehen konnte, all ihre Beziehungen. Aber in der Therapie mit Psychedelika und Achtsamkeitsübungen konnte sie erkennen: Das sind die Schatten der Vergangenheit.
Sprecherin: Auch Diana war es wichtig, ihre Erfahrungen mit dem Pilzmann, der Musikfee und sich selbst als Kind im Sarg zusammen mit ihrem Therapeuten zu sortieren.
O-Ton Diana: Gibt's da einen Zusammenhang? Und vor allen Dingen dann auch zu gucken, gibt es eine Interpretation der Sachen, die ich erlebt habe, als Antwort auf meine Fragen, die ich mit reingenommen habe.
Atmo: Insight-Konferenz
Sprecherin: Auch einer der charismatischsten Referenten der Berliner Insight-Konferenz im Herbst 2021 hat persönliche Erfahrungen mit Drogen – nicht nur eine oder zwei und nicht unbedingt therapeutische. Rick Doblin trägt einen Doktortitel der US-EliteUniversität Harvard, aber ein akademischer Abschluss war längere Zeit nicht sein oberstes Ziel.
O-Ton Rick Doblin: I dropped out …of my first year my freshman year of college because I was doing LSD and mescalin. I dropped out for ten years.
Übersetzung: Ich bin im ersten Jahr raus aus dem College, weil ich LSD und Meskalin genommen habe. Ich bin dann zehn Jahre weggeblieben.
Sprecherin: 1986 gründete Doblin MAPS, die multidisziplinäre Gesellschaft für psychedelische Studien, deren Direktor er immer noch ist. Im Lauf ihrer Geschichte hat sie 150 Millionen Dollar Spenden und Projektgelder gesammelt. Damit konnte MAPS auch eine erfolgreiche Phase-3-Studie finanzieren, deren Ergebnisse im Mai 2021 in Nature Medicine erschienen sind (vii). Doblin und MAPS arbeiten mit MDMA. Der Stoff wurde unter dem Namen Ecstasy bekannt, wobei längst nicht alles, was heute als Ecstasy gedealt wird, reines MDMA ist. Doblin, kein Mediziner, sondern ein Politikspezialist, suchte MDMA mit Bedacht aus.
O-Ton Rick Doblin: MDMA is the most …gentle of all the
psychedelics. It's the easiest to integrate. It's the least ego dissolving.
It's not gonna generate the same kind of I think I might be dying or I might
be going crazy that you get from LSD or psilocybin. Übersetzung: MDMA ist unter allen Psychedelika das sanfteste. Es ist am einfachsten zu integrieren, es löst das Ich am wenigsten auf. Es erzeugt nicht das Gefühl, ich könnte sterben oder verrückt werden, wie es bei LSD oder Psilocybin passieren kann.
Sprecherin: Auch die Patientengruppen wählte Doblin taktisch geschickt. MAPS ließ MDMA sterbenskranken Menschen mit starken Ängsten vor dem Tod geben. Denn unter Fachleuten grassierten Befürchtungen, dass MDMA Jahre später Hirnschäden verursachen könnte. Bei Todkranken spielte dieses Argument keine Rolle. Wohl überlegt ging es weiter.
O-Ton Rick Doblin: We needed … a patient population that the
American public was sympathetic with because these drugs are stigmatized
there are so much fears but if you can say were helping X group so we thought
okay we got two different ideas - one is PTSD because in America we have kind
of very honoring of the veterans. Übersetzung: Wir brauchten Patienten, die die Sympathie der amerikanischen Öffentlichkeit genossen. Denn diese Drogen waren stigmatisiert. Es gab so viele Ängste. Aber wenn wir sagen konnten, wir helfen Gruppe X. Wir dachten an die posttraumatische Belastungsstörung, denn in den USA sind die Kriegsveteranen sehr angesehen.
Sprecherin: Ehemalige Soldaten und Soldatinnen leiden oft darunter, dass sich grausame Kriegserlebnisse immer wieder in ihr Bewusstsein drängen. Nach einer Vergewaltigung geht es vielen Frauen ähnlich, sie haben nicht selten mit Schockerinnerungen zu kämpfen. An der großen Studie nahmen schließlich 91 Menschen mit einer posttraumatischer Belastungsstörung teil. Beide Gruppen in der Studie bekamen Psychotherapie, aber nur eine schluckte MDMA. In dieser Gruppe war nach der Behandlung bei zwei Dritteln keine posttraumatische Belastungsstörung mehr festzustellen. In der Placebogruppe war nur ein Drittel so erfolgreich. Ein Problem allerdings bleibt – wie bei all diesen Studien. Die meisten Patientinnen und Patienten merken, ob sie eine Droge bekommen haben oder nur ein Placebo. Es wäre also möglich, dass mehr der Glaube an die Droge hilft als die Droge selbst. Auf den ersten Blick ist das egal. Doch was passiert, wenn die Droge nicht mehr nur Enthusiasten gegeben wird, die sich freiwillig für so eine Studie melden, sondern x-beliebigen Kranken in einer Routinebehandlung? Dann könnten die Erfolgsraten weit weniger fantastisch ausfallen.
Musik
Sprecherin: Wie gut Psychedelika wirklich helfen, wird sich also in der alltäglichen Behandlung zeigen müssen. Vielleicht wird MDMA als erstes zugelassen. Rick Doblin hofft, dass es Ende 2023 in den USA soweit sein könnte, Ende 2024 in Europa. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim rät zu Geduld.
O-Ton Gerhard Gründer: Also Rick Doblin mit 2024, das ist Rick Doblin, der ist einfach, der geht enthusiastisch voran. Das halte ich für völlig illusorisch. Die optimistischste Einschätzung ist 2025 und wenn es 2027 ist, dann glaube ich, können wir immer noch froh sein, im Interesse unserer Patienten.
Sprecherin: Die Studie von Gründer soll Anfang 2023 erste Ergebnisse liefern. Auch andere Untersuchungen sind schon weit fortgeschritten. In wenigen Jahren wird klarer sein, ob Drogen als Teil einer Therapie wenigstens einigen psychisch Kranken tatsächlich helfen können.
Musik
Abspann:
SWR2 Wissen (mit Musikbett)
Sprecherin: Drogen in der Psychotherapie – Fragwürdig oder erfolgversprechend? Von Jochen Paulus. Sprecherin: Isabella Bartdorff. Redaktion: Sonja Striegl. Regie: Andrea Leclerque.
Abbinder
****
i
Brian T
Anderson, Alicia L Danforth, und Charles S Grob, „Psychedelic medicine:
safety and ethical concerns“, The Lancet Psychiatry 7, Nr. 10 (1. Oktober 2020): 829–30, https://doi.org/10.1016/S2215-0366(20)30146-2. ii
Molly
Magill und Lara A Ray, „Cognitive-Behavioral Treatment with Adult Alcohol and
Illicit Drug Users: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials“, Journal of Studies on
Alcohol and Drugs 70, Nr.
4 (Juli 2009): 516–27, https://doi.org/10.15288/jsad.2009.70.516. iii Tom Bschor, Antidepressiva: wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte, 1. Auflage (München: Südwest, 2018). iv https://cdn.jamanetwork.com/ama/content_public/journal/psych/938691/yoi200060supp2_prod_16196 63147.21301.pdf?Expires=1638505869&Signature=PvJWhqXPXDICCvJrjob9hViz~0lMrMJXbrSd1Lx7 dKKq0fSqKoQtKdkRGyA46oKnmAHTx8~6- WGg11c7x5A2OuX5kiX~qBm1ob0Vz3YRfvDhhhtnO1Zrlsp1Dr-eJnyOeIr7BO5FdCcULgKy3tt1npXfYFCmR9gPzdmtiiYfxAxPqQnEv7Znb- AVFPPc5Q2IHdlIYiIYLiMoH02CmHl3Yc5zyNkUzfDaxtJV109Sdx9laTegIdt- rurPfED~CxwbvdwBw1ecvC~lpsZDruBu9gNXzeZL4UE~mb6PBrj4RGNpWTWVODSRqchpery5ISSh GUSSngMe9uhzSslZ9tFEw__&Key-Pair-Id=APKAIE5G5CRDK6RD3PGA v
Erika
Dyck, Psychedelic psychiatry: LSD from clinic to campus (Baltimore, Md: Johns Hopkins University
Press, 2008). vi Matthew Oram, „Efficacy and Enlightenment: LSD Psychotherapy and the Drug Amendments of 1962“, Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 69, Nr. 2 (1. April 2014): 221–50, https://doi.org/10.1093/jhmas/jrs050. vii
Jennifer
M. Mitchell u. a., „MDMA-assisted therapy for severe PTSD: a randomized,
double- blind, placebo-controlled phase 3 study“, Nature Medicine 27, Nr. 6 (1. Juni 2021): 1025–33, https://doi.org/10.1038/s41591-021-01336-3. * * * * * |