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Das Fünf mal Eins der Psychologie – Die
wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale der Menschen |
SÜDWESTRUNDFUNK SWR2
Wissen - Manuskriptdienst „Das Fünf mal Eins der Psychologie - Die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale der
Menschen" Autor: Jochen Paulus Sprecher: Hans Michael
Ehl, Till Harreis Redaktion: Sonja Striegl Sendung: Mittwoch, 14.
Oktober 2009, 08.30 Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist
ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von
allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag, 08.30 Uhr
bis 09.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 €
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unterscheidet mich von anderen? Diese Fragen bewegen Menschen seit Urzeiten.
Ein psychologischer Test mit 48 Fragen im Internet soll es verraten. Forscher
haben ihn dort hingestellt. Der Test beruht auf der Theorie der
Persönlichkeit, auf die sich die meisten Psychologen in den letzten Jahren
geeinigt haben. Ein Freiwilliger aus Frankfurt hat den Test gemacht. O-Ton 1a - Freiwilliger macht Test: „Neigt dazu, andere zu
kritisieren." Ja, lässt sich nicht ganz bestreiten, eher zutreffend.
„Erledigt Aufgaben gründlich." Doch, eher zutreffend. „Wird leicht
deprimiert, niedergeschlagen." Mmh, Durchschnitt. „Ist originell,
entwickelt neue Ideen." Ja, schon manchmal, eher zutreffend ... Sprecherin: „Das Fünf mal Eins der
Psychologie - Die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale der Menschen".
Eine Sendung von Jochen Paulus. O-Ton 1b - Freiwilliger macht Test: ... „Ist eher
zurückhaltend, reserviert." Eher zutreffend. „Ist hilfsbereit und
selbstlos gegenüber anderen." Na ja, Durchschnitt, Mitte. „Ist manchmal
unsorgfältig und schluderig." Manchmal? Ja. „Ist entspannt, lässt sich
durch Stress nicht aus der Ruhe bringen." Mmh. Eher nicht zutreffend. Sprecher: Der Test misst die so
genannten Big Five, wie sie auch im Deutschen meist heißen. Diese „großen
Fünf" sind die grundlegenden Eigenschaften der Persönlichkeit, davon
sind Psychologen heute überzeugt. Erstaunlicherweise sind es auch die
Eigenschaften, die bestimmen, wie Menschen andere Menschen beurteilen - ohne
dass ihnen das klar wäre. Die Big Five beeinflussen außerdem, wie glücklich
ein Mensch ist, welcher Beruf ihm liegt, wie aussichtsreich seine Ehe ist,
wie gesund er lebt und ob er vergleichsweise früh sterben wird. Welche
Eigenschaften sind es, die eine so große Rolle in unserem Leben spielen? Der
Psychologe Dr. Fritz Ostendorf gehört zu den Wissenschaftlern an der
Universität Bielefeld, die einen großen Teil der deutschen Big-Five-Forschung
gemacht haben: O-Ton 2 - Fritz Ostendorf: An erster Stelle der
Faktor Extraversion versus Introversion. Personen, die dadurch gekennzeichnet
sind, dass sie sehr nach außen gekehrt sind, gesellig sind, kontaktfreudig,
abenteuerlustig, eher dominierend in sozialen Gruppen. Dann findet man auf
der anderen Seite in sozialen Kontexten auch Leute, die vielleicht eher
zurückhaltend sind, im Hintergrund der Gruppe sich bewegen, was man dann als
introvertiert bezeichnet. Sprecher: Neurotizismus ist der zweite
Big Five-Faktor. Er fasst die Anfälligkeit für Sorgen und Ängste zusammen. Je
mehr jemand zum Neurotizismus tendiert, desto häufiger fühlt er sich unsicher
und ist nervös. Der Gegenpol wird als emotionale Stabilität bezeichnet. Je
ausgeprägter sie ist, desto stärker ruht jemand in sich und bleibt auch in
stressigen Situationen entspannt. Der dritte Faktor: O-Ton 3 - Fritz Ostendorf: Verträglichkeit -
gekennzeichnet durch Begriffe wie warmherzig, kooperativ, hilfsbereit also
altruistisch, während auf der anderen Seite unverträgliches Verhalten
gekennzeichnet ist durch solche Dinge wie Aggressivität, Herrschsüchtigkeit
zum Beispiel. Sprecher: Gewissenhaftigkeit ist
der vierte Faktor. Er macht sich besonders am Arbeitsplatz bemerkbar. Je mehr
jemand davon hat, desto disziplinierter, organisierter, ausdauernder und
ordentlicher geht er zu Werke. Wie der Name des Faktors schon andeutet, hat
Gewissenhaftigkeit auch etwas mit Moral zu tun. Gewissenhafte Menschen
wollen, dass andere sich - nicht nur bei der Arbeit - auf sie verlassen
können. Sie verstoßen möglichst wenig gegen geschriebene und ungeschriebene
Gesetze... Und schließlich der fünfte Faktor: O-Ton 4 - Fritz Ostendorf: Offenheit für neue
Erfahrungen. Merkmale wären so was wie klug, intelligent, intellektuell, aber
auch vielleicht weise. Als zweite Merkmalsgruppe treten Eigenschaften aus dem
Bereich der Kreativität hinzu, also kreativ, fantasievoll, et cetera. Dort
gehören noch solche Dinge hinzu wie Offenheit für Werte, also Offenheit und
Aufgeschlossenheit gegenüber den Einstellungen anderer Personen. O-Ton 5 - Freiwilliger (Testergebnisse): Mein Testergebnis also:
Neurotizismus in der Mitte, das könnte schon hinhauen. Offenheit für neue
Erfahrungen - hoch. Das sollte auch so sein bei einem Journalisten.
Gewissenhaftigkeit - auch hoch, erfreulich. Extraversion - eher ein bisschen
niedrig. Verträglichkeit schließlich relativ niedrig, das heißt, ich neige zu
Kritik. Sprecher: Aber warum halten die
Psychologen ausgerechnet diese fünf Merkmale für die zentralen
Persönlichkeitseigenschaften? Die Geschichte dieser vielleicht wichtigsten
Entdeckung der Persönlichkeitspsychologie begann vor einem halben Jahrhundert
an einem unwahrscheinlichen Ort: einem Stützpunkt der US-amerikanischen
Luftwaffe. Zwei Psychologen baten
dort Offiziersanwärter und Offiziere, sich gegenseitig einzuschätzen, und
zwar anhand einer Liste mit zwanzig Eigenschaftswörtern. Als die Forscher die
Antworten analysierten, fanden sie Erstaunliches: Die Männer nutzten die
Vielfalt der zwanzig Adjektive gar nicht wirklich aus. Sie tendierten
vielmehr dazu, bestimmte Adjektive gemeinsam zu verwenden, so als ob sie
identische Eigenschaften beschreiben würden. Unbewusst beurteilten sie ihre
Kameraden anhand von nur fünf Faktoren. Das ließ sich mit Hilfe eines
statistischen Verfahrens zeigen. Als die Psychologen den Versuch mit
Studenten wiederholten, zeigten sich wieder die gleichen fünf Faktoren.
Andere Psychologen fanden mit neuen Versuchspersonen immer wieder dasselbe. Schließlich begnügten
sich die Wissenschaftler nicht mehr mit einer Handvoll Eigenschaftswörter,
sondern widmeten sich der Sprache als Ganzem. Sie war ja schon immer das
Medium, in dem Menschen sich und andere beschrieben. Professor Heinz Schuler
von der Universität Stuttgart-Hohenheim berät große Firmen bei der Auswahl
von Mitarbeitern und legt dabei auch Wert auf die jeweils passende
Persönlichkeit: O-Ton 6 - Heinz Schuler: Man findet in der
schöngeistigen Literatur, zumindest seit dem sechzehnten, siebzehnten
Jahrhundert doch sehr interessante und wichtige Beiträge zur Psychologie,
auch zur Erkenntnis anderer Menschen. Nur hat man das so weit getrieben in
der phänomenologischen Persönlichkeitstheorie, dass man eigentlich für
Persönlichkeitsmerkmale all das gehalten hat, für unterscheidbare
Persönlichkeitsmerkmale, was sprachlich artikulierbar ist. Menschen sind sich
ja selber sehr wichtig und andere Menschen sind ihnen sehr wichtig, also muss
es in der Sprache vorkommen, was uns an Menschen wichtig ist. Sprecher: Darum nahmen Psychologen
sich Wörterbücher vor. Hunderte von Studenten durchstöberten die Folianten
nach Eigenschaftswörtern und sortierten diese nach ihrer Bedeutung zu
Wortgruppen, etwa „angespannt", „ängstlich", „nervös". Neue
Studenten beurteilten sich selbst oder Bekannte anhand all dieser
Eigenschaftsworte - und wieder ließen sich ihre Antworten auf die Big Five
reduzieren, auf Extraversion, Neurotizismus, Verträglichkeit,
Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen. Doch die Big Five
stecken nicht nur in der Sprache. Auch Persönlichkeitstests, die anhand ganz
verschiedener psychologischer Theorien entwickelt wurden, messen die gleichen
fünf Charakterzüge, wie sich herausstellte. Professor Paul Costa aus
Baltimore, einer der weltweit führenden Big Five-Forscher, hält die großen
Fünf daher für grundlegend. O-Ton
7 - Paul Costa: The Big Five is a comprehensive map of the major dimensions
of human personality. They're trait dimensions. And traits are consistent
differences in thinking, feeling and behaving. They characterize each
individual. Make one person different from another. Sprecher 2: Costa Voice over Die Big Five sind eine
umfassende Landkarte der wichtigsten Dimensionen der menschlichen
Persönlichkeit. Sie sind Persönlichkeitszüge. Und Persönlichkeitszüge
beschreiben Unterschiede im Denken, Fühlen und Verhalten. Sie
charakterisieren das Individuum, sorgen für die Unterschiede zwischen einer
Person und der nächsten. Sprecher: Auf diese
Persönlichkeitseigenschaften zu achten, haben Menschen im Lauf der Evolution
gelernt, glauben die Big Five-Forscher. Denn es hilft beim Überleben, zu
wissen, wie es bestellt ist um diese Eigenschaften bei Menschen, mit denen
man zu tun hat. Fritz Ostendorf, der an der Universität Bielefeld auch den
Big Five-Test von Paul Costa ins Deutsche übertragen hat: O-Ton 8 - Fritz Ostendorf: Ich muss zum Beispiel
wissen, mit wem ich gut klar kommen kann, oder wem ich besser aus dem Wege
gehe - soll heißen: Verträglichkeit ist eine Hauptdimension, wahrscheinlich
die Hauptdimension, nach der man zunächst Interaktionspartner beurteilt.
Zweitens ist es vielleicht wichtig zu wissen, wer in einer Gruppe das Sagen
hat, wer also im Vordergrund steht, viel redet, wer also die Gruppe eher
anführt, und wer im Gegensatz dazu sich eher anschließt und im Hintergrund
steht, das wäre der Bereich Extraversion versus Introversion. Sprecher: Tatsächlich können
Menschen die Big Five von anderen erstaunlich schnell erkennen. Psychologen
der Universitäten Halle und Bielefeld ließen 600 Versuchspersonen Big
Five-Fragebögen ausfüllen und kleine Aufgaben erledigen. Zum Beispiel mussten
sie einen Witz erzählen oder in einem Rollenspiel einen widerspenstigen
Nachbarn überreden, seine Musikanlage leiser zu stellen. Eine Mitarbeiterin
agierte bei diesen Aufgaben als Gegenüber, außerdem war ein Versuchsleiter
dabei. Der Versuchsleiter erlebte jeden Teilnehmer einige Stunden, die
Mitarbeiterin sogar nur einige Minuten. Dennoch konnten beide vor allem die
Extraversion und die Offenheit für neue Erfahrungen einigermaßen treffsicher
einschätzen. Die Studie ging noch weiter. Die Forscher hatten auf Video
aufgezeichnet, wie die Versuchspersonen die Aufgaben bewältigten. Diese
kurzen Videos führten sie Beurteilern vor. Schon mit wenigen dieser
Aufzeichnungen lieferten die Beurteiler Einschätzungen von beachtlicher
Genauigkeit. Wie eine andere Studie
zeigt, reicht es sogar schon, einen anderen ein paar Sätze sprechen zu hören,
um sich ein Urteil über ihn zu bilden. Welcher der beiden Männer ist
extravertierter, also auch dominierender? Er? O-Ton 9 - Introvertierter Mann (Lautstärken
nicht angleichen): Einst stritten sich Nordwind
und Sonne, wer von ihnen beiden wohl der Stärkere wäre, als ein Wanderer, der
in einen warmen Mantel gehüllt war, des Weges daher kam. Sie wurden einig,
dass derjenige für den Stärkeren gelten sollte, der den Wanderer zwingen
würde, seinen Mantel abzunehmen. Sprecher: Oder er? O-Ton 10 - Extravertierter Mann
(Lautstärken nicht angleichen): Einst stritten sich
Nordwind und Sonne, wer von ihnen beiden wohl der Stärkere wäre, als ein
Wanderer, der in einen warmen Mantel gehüllt war, des Weges daher kam. Sie
wurden einig, dass derjenige für den Stärkeren gelten sollte, der den
Wanderer zwingen würde, seinen Mantel abzunehmen. Sprecher: Natürlich ist der zweite
Mann weit extravertierter. Das zeigte ein Big Five-Test. Professor Walter
Sendlmeier vom Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin hat diese
Aufnahmen auch 28 Juroren vorgespielt und um ihr Urteil gebeten. Sie rieten
meist richtig, wie der Vergleich mit dem Testergebnis der Sprecher zeigte.
Introvertierte sind daran zu erkennen, dass sie monotoner sprechen.
Extravertierte artikulieren schneller und häufig auch deutlicher. Der
Unterschied ist oft so deutlich, dass es gar nicht nötig ist, mehrere Sätze
zu hören. Ein einzelner Laut hilft bereits weiter. Das gilt auch für die
Eigenschaft Neurotizismus. Welche Frau hat hier einen hohen
Neurotizismus-Wert und welche ist emotional stabil? O-Ton 11 - Neurotische Frau (Lautstärken
nicht angleichen): Aaaaah Sprecher: Der Unterschied zur
nächsten Kandidatin ist klar: O-Ton 12 - Nicht neurotische Frau
(Lautstärken nicht angleichen): Aaaaah Sprecher: Die Wurzeln der Big Five
reichen bis tief in die Biologie. So untersuchte der US-Psychologe Turhan
Canli das Gehirn von Freiwilligen im Magnetresonanztomografen und achtete
dabei vor allem auf die Amygdala. Diese kleine Hirnstruktur verarbeitet
Gefühle. Bei neurotischen Menschen fand sich eine geringere Nervenkonzentration
in der Amygdala der linken Hirnhälfte, bei Extravertierten dagegen
eine größere in der rechten Hirnhälfte. In einer anderen
Untersuchung reagierte die Amygdala von Extravertierten vergleichsweise stark
auf angenehme Fotos, etwa von Welpen und glücklichen Paaren. Extravertierte
reagieren überhaupt besonders stark bei der Aussicht auf Erfreuliches. In
ihrem Gehirn ist das so genannte Verhaltenserleichterungs-System besonders
aktiv - darauf deuten zumindest einige Studien hin. Hinter diesem System
steht der Nervenbotenstoff Dopamin. Wie viel von ihm im Gehirn zur Verfügung
steht, hängt auch von den Genen ab, die so letztlich über die Persönlichkeit
mitbestimmen. Der emeritierte Persönlichkeitspsychologe Burkhard Brocke von
der Technischen Universität Dresden hat sich in seiner Forschung viel mit den
biologischen Grundlagen der Persönlichkeit beschäftigt: O-Ton 13 - Burkhard Brocke: Ein Beispiel wäre etwa
bei der Extraversion. Es gibt verschiedene Gen-Abschnitte, die darüber
entscheiden, ob bestimmte Aspekte eines Neurotransmitters wie etwa das
Dopamin mehr oder weniger aktiv sind. Etwa bestimmte Rezeptoren des dopaminergen
Systems. Bestimmte Genvarianten sind mit einer relativen starken Aktivität
verbunden und eine andere Variante mit einer geringen. Sprecher: Brocke legt aber Wert
darauf, dass die Gene längst nicht allein über die Persönlichkeit
entscheiden: O-Ton 14 - Burkhard Brocke: In dieser Formulierung -
Persönlichkeit geht letztendlich auf biologische Faktoren, auf Erbeinflüsse
zurück - das ist eine Formulierung, die deutlich zu weit geht. Selbst bei den
Persönlichkeitsmerkmalen, gerade auch bei den Merkmalen aus dem Fünf-FaktorenModell,
Extraversion etwa, ist der Einfluss dessen, was vererbt wird, allenfalls
fünfzig Prozent. Sprecher: Genetisch oder nicht -
die Big Five beeinflussen das Leben einer Person erheblich. So sind
extravertierte Menschen, deren Gehirn ja stärker auf Erfreuliches reagiert,
im Schnitt überdurchschnittlich glücklich. Neurotische, also ängstliche und
besorgte Menschen sind dagegen eher unglücklich, was wenig überrascht. Das
hat Folgen für ihre Ehen. Sie sind unglücklicher und werden häufiger
geschieden. Verträgliche und gewissenhafte Eheleute hingegen landen eher
selten vor dem Scheidungsrichter. Auch für den Beruf haben die Big Five
Konsequenzen, sagt Fritz Ostendorf von der Universität Bielefeld. O-Ton 15 - Fritz Ostendorf: Für berufliche
Zufriedenheit ist dieser Faktor emotionale Stabilität versus Labilität ein
bedeutsamer Prädiktor. Hier sind sehr bedeutsame Zusammenhänge zu finden.
Klar, dass emotional Instabilere, auch mit dem unschönen Wort Neurotizismus
bezeichnet, dieser Faktor, eher unzufrieden sind mit ihren beruflichen
Tätigkeiten, dass sich das entsprechend so manifestiert. Sprecher: Das heißt aber nicht, dass
eher neurotische Menschen schlecht im Beruf wären. Es gibt sogar Berufe, wo
diese scheinbar nur negative Eigenschaft zum Vorteil wird, behauptet der
führende Big Five-Forscher Paul Costa. O-Ton
16 - Paul Costa: You find that people high in neuroticism are
receptive to other people's emotional pain. And it turns out that individuals
with high neuroticism make particularly good therapists and caregivers. When
you can correlate the rating scales of therapists' style, it turns out to be
a measure of high N. Who is it who scores high on therapists' rating scales?
Individuals high on N scales. There is probably more to being a good
therapist than just being N but it is an important component of it. Sprecher 2: Costa Voice over Leute mit hohem
Neurotizismus sind empfänglich für den emotionalen Schmerz von anderen. Es
hat sich herausgestellt, dass sie ausgesprochen gute Therapeuten und
Pflegende abgeben. Wenn man die Skalen, die die Fähigkeiten eines Therapeuten
messen, in Beziehung zu anderen setzt, entpuppen sie sich als Maß für
Neurotizismus. Wer erzielt hohe Werte auf diesen Therapeuten-Skalen?
Menschen, die hohe Werte auf Neurotizismus-Skalen haben. Zu einem guten
Therapeuten gehört sicher mehr als Neurotizismus, aber es ist eine wichtige
Komponente. Sprecher: Weil die Big Five
wichtig für den Beruf sind, setzen Psychologen gerne entsprechende Tests ein,
wenn es gilt, den richtigen Stellenbewerber auszusuchen. Allerdings achten
sie dabei auch auf die so genannten Facetten, aus denen sich jeder der Big
Five zusammensetzt. Extraversion beispielsweise besteht aus Wärme, positiven
Gefühlen, Geselligkeit, Selbstbewusstsein, Aktivität und Suche nach
Aufregung. Sie hängen zwar zusammen, sonst würden sie keinen gemeinsamen
Faktor bilden, Doch sie können im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt
sein. Und oft kann man in einem Beruf nicht alle Facetten brauchen, sagt der
Hohenheimer Psychologie-Professor Heinz Schuler, der sich viel mit
Personalauswahl beschäftigt. O-Ton 17 - Heinz Schuler: Etwa bei dem Merkmal
Extraversion, das man für Verkaufsberufe und für Führungstätigkeiten als
relativ relevant ansieht, da gibt's auch Komponenten darin, zum Beispiel die
Neigung nach aufregenden Situationen, das Bedürfnis, aufregende Situationen
zu erleben, das ist für die wenigsten Berufe tatsächlich ein Positivum. Das
hält Menschen eher davon ab, zielstrebig zu sein und sich den Regeln zu
fügen, sondern bringt sie eher in Gefahrensituationen. Sprecher: Natürlich bestimmen die
Big Five nicht allein, ob es jemand zu einem prestigeträchtigen Beruf bringt,
wie viel er verdient oder wie oft er sich eine neue Stelle suchen muss. Doch
Studien zeigen: Der Einfluss der Big Five auf den Berufserfolg ist ungefähr
so groß wie der der Intelligenz oder der sozialen Schicht, aus der jemand
stammt. Aber man muss eben genau hinsehen - auch wenn es um die Offenheit für
neue Erfahrungen geht. O-Ton 18 - Heinz Schuler: Da gibt es Komponenten
darin, zum Beispiel Offenheit für andere Meinungen, für Werthaltungen, für
andere Kulturen und so weiter. Das ist nützlich zumindest für eine gewisse
Zahl von Berufen. Und es gibt andere, die haben eher mit Tagträumereien zu
tun, Komponenten darin, die sind beruflich eher auch wiederum kontraindiziert
und bringen in den meisten Berufen zum Beispiel keine großen Erfolge ein. Sprecher: Am wichtigsten im Beruf
ist jedoch die Gewissenhaftigkeit, weiß Heinz Schuler aus vielen
Untersuchungen: O-Ton 19 - Heinz Schuler: Es gibt kaum einen Beruf
in dem es nicht von Nutzen wäre, sorgfältig zu planen, kontrolliert zu
handeln, planvoll vorzugehen, organisiert zu sein, zielgerichtet zu handeln
und verlässlich zu sein auch für andere. Sprecher: Das gilt sogar für
Berufsgruppen, bei denen man es nicht vermuten würde. Künstler beispielsweise
brauchen neben der Offenheit für neue Erfahrungen auch Gewissenhaftigkeit. O-Ton 20 - Heinz Schuler: Wenn man sich diese
Gewissenhaftigkeit anschaut, dann findet man doch einige unterschiedliche Facetten.
Zum Beispiel gehört als Facette dazu die Anpassungsbereitschaft und das ist
vielleicht tatsächlich bei Künstlern, vielleicht auch sogar bei
Wissenschaftlern und auch bei manchen anderen Berufen nicht gerade das
vordringlichste. Aber es gibt andere Komponenten, zum Beispiel beharrlich und
zielstrebig zu arbeiten. Das ist auch für einen Künstler wichtig. Wenn der
nach drei Pinselstrichen alles weglegt und sagt, ich fange lieber was anderes
an, dann kommt er wahrscheinlich nie zu Potte und wird auch nichts verkaufen
und nicht davon leben können. Sprecher: Die Big Five
beeinflussen sogar, wie lange ein Mensch lebt. Ihre Auswirkungen sind nicht
dramatisch, aber auch hier wieder größer als beispielsweise die der sozialen
Schicht. So werden gewissenhafte Menschen im Schnitt älter. Das könnte daran
liegen, dass sie mehr auf eine gesunde Ernährung und genügend Bewegung achten
und eher vorsichtig Auto fahren. Neurotische Menschen sterben dagegen eher
früh. Sie rauchen mehr, vielleicht um sich besser zu fühlen. Wenig
verträgliche Menschen reagieren stärker auf Stress, was offenbar zu ihrer
kürzeren Lebenserwartung beiträgt. Extravertierte hingegen, die ja
normalerweise ein sonniges Gemüt besitzen, leben länger. Ihnen könnte auch
helfen, dass sie mehr Freunde haben und von ihnen unterstützt werden. Die Big Five können aber
nicht nur zu Krankheiten und Tod beitragen, sie können auch selbst krankhafte
Ausmaße annehmen. Dann liegt eine Persönlichkeitsstörung vor. Wer
beispielsweise an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leidet, misstraut
anderen, fühlt sich zurückgesetzt oder betrogen und verzeiht nicht. Bei einer
narzisstischen Persönlichkeitsstörung wiederum haben Menschen eine extrem
hohe Meinung von sich und ihren Fähigkeiten, wollen bewundert werden und sind
überheblich. Der amerikanische
Big Five-Spezialist Paul Costa: O-Ton
21 - Paul Costa: In order to understand the personality disorders,
we have to look at the facet level. So both narcissistic and paranoid are
both characterized by excessively low agreeableness. Which includes such
traits as suspiciousness, arrogance or immodesty. But suspiciousness is much
more characteristic of the paranoid and arrogance or immodesty of the
narcissist. Sprecher 2: Costa Voice over Um
Persönlichkeitsstörungen zu verstehen, müssen wir auf die Facetten schauen.
So ist sowohl für die paranoide wie für die narzisstische
Persönlichkeitsstörung eine geringe Verträglichkeit charakteristisch. Dazu
gehören Misstrauen und Arroganz. Aber Misstrauen ist viel stärker charakteristisch
für die paranoide Persönlichkeitsstörung und Arroganz für die narzisstische. Sprecher: Auch andere
Persönlichkeitsstörungen haben viel mit den Big Five zu tun. So sind für die
Borderline-Störung ein hoher Neurotizismus und eine geringe Verträglichkeit
typisch, wie eine gerade in einem renommierten Fachblatt veröffentlichte
Studie ergab. Es ist nicht immer leicht zu sagen, wo die Grenze verläuft
zwischen einer noch normalen, wenn auch exzentrischen Persönlichkeit und
einer Persönlichkeitsstörung. Letztlich kommt es darauf an, wie sehr die
Persönlichkeit ihrem Besitzer Probleme bereitet. O-Ton
22 - Paul Costa: The mere extremity of a trait doesn't imply or
guarantee a disorder. When a trait is extreme and rigid and always applied
without regard of the situation then the chances that it is leading to a
misfit increases and so we can see some probability of the trait being
maladaptive. Dass eine
Persönlichkeitseigenschaft extrem ausgeprägt ist, bedeutet noch keine
psychische Störung. Wenn sie aber extrem und rigide ist und ohne Rücksicht
auf die Situationen zum Ausdruck kommt, dann liegt womöglich eine
Fehlanpassung vor. Sprecher: Spätestens hier drängt
sich die Frage auf, warum unsere Persönlichkeiten sich unterscheiden. Oder
besser gesagt: Warum wir überhaupt eine Persönlichkeit besitzen -denn
wären wir alle gleich, wäre der Begriff Persönlichkeit sinnlos. Warum hat
sich in der Evolution nicht eine einzige, optimale Psyche durchgesetzt? -
Doch selbst Zwillinge, die die gleichen Gene besitzen und gemeinsam
aufgewachsen sind, haben zwar sehr ähnliche Persönlichkeiten, aber nicht die
gleiche. Denn es ist nützlich, sich zu unterscheiden, glaubt die
amerikanische Psychologin Judith Rich Harris, die dieser Frage ein ganzes
Buch gewidmet hat. Nur einer der Zwillinge kann beispielsweise der Stärkste
sein. Selbst ein nur wenig Schwächerer sucht sich lieber eine andere Rolle
-und wird so ein Stück weit zu einem anderen Menschen. Auch in der Evolution
war es wohl nützlich, wenn verschiedene Menschen verschiedene Persönlichkeiten
entwickelten - und sei es eine eher neurotische. Denn auch sie bietet
Vorteile, ist sich Paul Costa sicher: O-Ton
23 - Paul Costa: Individuals who are anxious and worried are likely
to scan the environment and be vigilant and there are many situations where
that can be adaptive. You can save the social group as a horde and say: Hey,
danger is coming, danger is coming and convince others to look in the same
direction. Sprecher 2: Costa Voice over Ängstliche und besorgte Individuen
werden wahrscheinlich ständig die Umgebung im Blick behalten und wachsam
sein. Das kann in vielen Situationen ein Anpassungsvorteil sein. Man kann
seine Gruppe retten, indem man sagt: Achtung, Gefahr droht und dann alle in
die gleiche Richtung sehen. Sprecher: Wahrscheinlich gibt es
in jeder Kultur Situationen, in denen es sich auszahlt, vorsichtig zu sein.
Für die anderen der Big Five dürfte das gleiche gelten. Daher ergibt Sinn,
was auf den ersten Blick als besonders kühne Behauptung der Forscher
erscheint: Die Big Five sind universell - sie existieren in allen Kulturen. O-Ton
24 - Paul Costa: An explosion of cross-cultural research where the
same five factors appeared with an instrument that McCrae and I developed -
the NEO-PI in over 50 different countries -without any exceptions. Sprecher 2: Costa Voice over Es gab eine Explosion
interkultureller Forschung, bei der die fünf Faktoren in über 50 Kulturen
gefunden wurden - ohne jede Ausnahme. Sprecher: Das heißt nicht, dass
jeder Faktor überall gleich stark ausgeprägt wäre. Ein 80-köpfiges
Forscherteam hat die Big Five von Studenten aus 51 Nationen untersucht. In
ihren Selbstbeschreibungen sind die Brasilianer beim Neurotizismus
Spitzenreiter, die NordIren bei der Extraversion, die Tschechen bei der
Verträglichkeit und die DeutschSchweizer bei der Offenheit und der
Gewissenhaftigkeit. Die Deutschen liegen dabei knapp hinter ihren Schweizer
Nachbarn. Entgegen allen Klischees sahen sich die Japaner und Chinesen nicht
als besonders gewissenhaft, was aber natürlich an anderen Maßstäben liegen
könnte. Überhaupt sollte man den Unterschieden zwischen den Kulturen nicht zu
viel Bedeutung beimessen. Sie sind geringer als die Unterschiede zwischen
verschiedenen Menschen in der gleichen Kultur. Wichtiger ist ein anderer
Befund aus anderen Studien in fernen Ländern. Zwar gibt es überall die Big
Five - aber nicht nur. O-Ton
25 - Paul Costa: There are indigenous factors. In Chinese culture
you'll find filial piety - respect and harmony etc. - and each culture has
its own specific factors, that are indigenous, that describe its unique
differences. Sprecher 2: Costa Voice over Es gibt einheimische
Faktoren. In der chinesischen Kultur findet man Verbundenheit mit der Familie
- Respekt und Harmonie et cetera. Jede Kultur hat ihre eigenen, speziellen
Faktoren, die einzigartige Merkmale beschreiben. Sprecher: Die große Überraschung
der Kulturvergleiche aber liegt woanders - nämlich bei den Unterschieden
zwischen Männern und Frauen innerhalb der Kulturen. Der erste Befund dazu
entspricht noch den Erwartungen: Geschlechtsunterschiede gehen überall in die
gleiche Richtung. Die Frauen beschreiben sich als extravertierter,
verträglicher, gewissenhafter und neurotischer als die Männer, wie zuletzt
eine Studie mit fast 18.000 Teilnehmern bestätigte. Verblüffend ist jedoch
das Ausmaß der Geschlechtsunterschiede in den einzelnen Ländern. O-Ton
26 - Paul Costa: You would have expected very traditional
countries, patriarchical countries to have even greater sex differences. Men
would act in exaggeratedly masculine roles than the females. In fact it was
the opposite. We found these gender differences but they were the smallest as
you pointed out. And where do we find the biggest gender differences? In
places like Belgium, the United States and Europe. Very sophisticated western
countries. You have any ideas? I'm at a loss for that one. Sprecher 2: Costa Voice over Man hätte die größten
Geschlechtsunterschiede in sehr traditionellen, patriarchalischen Ländern
erwartet. Dass die Männer sehr viel maskulinere Rollen einnehmen als die
Frauen. Das Gegenteil ist der Fall. Wo finden wir die größten
Geschlechtsunterschiede? In Ländern wie Belgien, dem restlichen Europa und
den Vereinigten Staaten. Hochentwickelte westliche Länder. Ich habe keine
Ahnung wieso. Sprecher: Andere Forscher
vermuten, dass in Industrieländern angeborene Geschlechtsunterschiede wieder stärker
zum Tragen kommen. Sie sollen sich einst bei Jägern und Sammlern entwickelt
haben, würden in Agrargesellschaften aber unterdrückt. Doch das ist pure
Spekulation - ob und wie sich die Big Five im Laufe der Evolution gewandelt
haben, weiß niemand. Dafür wissen die Forscher einiges darüber, wie und wie
stark sich die Big Five im Laufe des Lebens verändern. Eine InternetBefragung,
bei der über 100.000 Teilnehmer mitgemacht haben, demonstrierte eine gewisse
Fähigkeit zur Reifung. Noch einmal Fritz Ostendorf von der Universität
Bielefeld: O-Ton 27 - Fritz Ostendorf: Demnach ist es
erfreulich, mitteilen zu können, dass man mit dem Alter zunehmend
verträglicher wird, zunehmend gewissenhafter und emotional stabiler, also
gefestigter und insgesamt lässt das Ausmaß an Offenheit für neue Erfahrungen
etwas nach und es ist verständlich, dass die Extravertiertheit etwas
zurückgeht, dass man also nicht mehr so wie Jugendliche gerne Partys besucht,
und den Kontakt zu vielen, vielen Freunden und so weiter und sofort. Sprecher: Doch diese Veränderungen
sind nicht sehr groß und vor allem ändern sie an der Position des Einzelnen
wenig. Wer jung unter Gleichaltrigen zu den Extravertiertesten zählte, tut es
im Alter auch noch, nur eben auf einem etwas niedrigeren Niveau. Das haben
Studien gezeigt, in denen Menschen nach Jahrzehnten erneut untersucht wurden.
Paul Costa, der am Nationalen Institut für das Altern in Maryland arbeitet,
war an solchen Studien beteiligt. Ihre Ergebnisse bestätigen einen berühmten
Ausspruch von William James, einem der Gründerväter der Psychologe, der im
19. Jahrhundert lebte. O-Ton
28 - Paul Costa: James said: Personality becomes set in plaster.
Now that is not "set in concrete". Plaster is malleable and it can
scratch and bend and it is not set in iron. Sprecher 2: Costa Voice over James sagte: Die
Persönlichkeit erstarrt wie Gips. Das ist etwas anderes als „erstarrt wie
Beton". Gips ist formbar und biegbar. Sprecher: Aber eben doch nur in
engen Grenzen. Persönlichkeit ist das, was einen Menschen psychologisch
ausmacht - er wäre nicht mehr derselbe, wenn sie sich grundsätzlich ändern
würde. So ist Persönlichkeit definiert und die Big Five-Forschung kommt zum
gleichen Ergebnis - ob es einem gefällt oder nicht. O-Ton
29 - Paul Costa: A number of individuals feel that that is a
pessimistic view. They want to believe that humans are always possible of
improvement and change. They can learn from experience and they get wiser.
But I know a lot of people perhaps myself included that don't seem to benefit
as much from experience as the maxims would state. There are some of us that
are really slow learners if indeed people are infinitely perfectible. Sprecher 2: Costa Voice over Nicht wenige halten dies
für eine pessimistische Sichtweise. Sie wollen glauben, dass Menschen sich
immer ändern und bessern können. Sie lernen doch aus Erfahrung und werden
weiser. Aber ich kenne viele, mich selbst vielleicht eingeschlossen, die
nicht so viel von Erfahrung profitieren, wie solche Glaubenssätze behaupten.
Wenn Menschen tatsächlich unendlich perfektionierbar sind, dann sind viele
von uns ausgesprochen schlechte Lerner. ******************** Hier ein Big Five-Test zum
Mitmachen. Die Fragen stammen von Oliver John, University of California
Berkeley. Der Test ist
auf Deutsch: http://de.outofservice.com/bigfive/ |