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Frauen – das dumme Geschlecht?
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Bei Tests der Allgemeinbildung schneiden Frauen oft schlechter ab als Männer. Marburger Psychologinnen zeigen jetzt: Eigentlich wissen sie viel mehr, als sie bei trockenen Wissensabfragen zeigen. Vielleicht ist es nicht nett von RTL, bei „Wer wird Millionär?“ schon mit dem Titel der Sendung zu suggerieren, welches Geschlecht die Hauptgewinne bei der Quiz-Show abräumt. Doch falsch liegt der Sender nicht: Sieben Männer haben bislang dank ihres Wissens eine Million gewonnen, aber nur drei Frauen. Und von denen musste eine, nämlich die Fernsehmoderatorin Barbara Schöneberger, einen Mann als „Telefonjoker“ befragen. Nur mit seiner Hilfe bekam sie heraus, welchem Knaben Wilhelm Tell bei Schiller den Apfel vom Kopf schießt. Auch bei einem Wissenstest auf „Spiegel online“ mit über 600 000 Teilnehmern glänzten die Männer: Sie beantworteten von 45 Fragen im Schnitt 26,5 richtig, die Frauen schafften nur 21,5. Das könnte man abtun als unwissenschaftliche Befunde von Test-Amateuren aus irgendwelchen Redaktionen. Doch die Profis kommen zu ähnlichen Ergebnissen. „Ich war völlig platt“, erinnert sich der Psychologe Rüdiger Hossiep von der Ruhr-Universität Bochum an den Moment, als er vor ein paar Jahren die Auswertung des „Bochumer Wissenstests“ sah: Der durchschnittliche Mann wusste mehr als 84 Prozent der Frauen. Um jedem Verdacht vorzubeugen, dass chauvinistische Männer sich den Test ausgedacht hätten, verrät Hossiep schnell die Besetzung seines Entwicklungsteams: „Mit der Forschung waren im Wesentlichen Frauen befasst.“ Die Ergebnisse wurden auch nicht etwa durch Seniorinnen verzerrt, die in ihrem Leben schlechte Bildungschancen gehabt hatten. Die vierstellige Probandenschar rekrutierte sich vor allem aus Hochschulabsolventen. Neu ist das Phänomen nicht. Viele frühere Intelligenztests enthielten Fragen zum Allgemeinwissen. Und schon Mitte des vorigen Jahrhunderts konnten Frauen deutlich weniger davon beantworten als Männer. Das hängten die Forscher allerdings nie an die große Glocke, schließlich waren IQ-Tests umstritten genug. Außerdem konnten Frauen diese scheinbare Schwäche durch Stärken in anderen Intelligenzbereichen ausgleichen. Das Bild änderte sich, als Anfang des neuen Jahrtausends der erste auf Allgemeinbildung spezialisierte Test herauskam, der General Knowledge Test. Entwickelt von dem britischen Psychologen Paul Irwing, fragt er verschiedene Wissensgebiete ab. Es geht um Chemie wie um Mode, um Biologie wie um Popmusik. Die Psychologin Jutta Margraf-Stiksrud von der Universität Marburg und ihre Mitarbeiterinnen haben ihn ins Deutsche übersetzt und mit ihm geforscht. Bei einem Test, der gezielt das Allgemeinwissen misst, lassen sich Geschlechtsunterschiede nicht mehr ritterlich unterbuttern. Doch da war Margraf-Stiksrud nicht bange. Schließlich gab es in den 1970er-Jahren große Bildungsreformen, und Mädchen erzielen heute bessere Abiturnoten als Jungen. So war es für sie eine „durchaus nicht angenehme Überraschung“, als sie feststellte: „Der Geschlechtsunterschied ist im Allgemeinwissen noch genauso groß wie vor 30 Jahren.“ In ihrer Studie mit 300 hessischen Zwölftklässlern führten die Jungen in den Bereichen Sport, Wirtschaft, Spiele, Geographie und Geschichte mit Abstand. Weniger weit, aber immer noch deutlich vorn lagen sie in Chemie, Physik, Biologie und Politik. Auch bei Film und Popmusik kannten sie sich etwas besser aus. Gleichauf waren die Geschlechter bei Klassischer Musik und Mode. Lediglich bei der Ernährung gewannen die Mädchen klar. In Kunst, Literatur und Gesundheit lagen sie immerhin leicht vorne. Suche nach Erklärungen Woher kommen die Unterschiede? Frauen interessieren sich weniger für Naturwissenschaften, Wirtschaft und ähnlich „harte“ Themen, überlegten die Wissenschaftlerinnen. Das wäre zwar immer noch ein Problem, aber wenigstens eine Erklärung. Die Marburger Forscherinnen gingen dieser These in einer Untersuchung mit 166 Studierenden nach. Wie erwartet interessierten sich die Frauen eher für Musik, Malerei und Gesundheit, während die Männer es mit der Politik und den Naturwissenschaften hielten. Doch schon wenn es darum ging, wie häufig sich die Studiosi tatsächlich mit diesen Themen beschäftigten, schwanden die Unterschiede. So kümmerten sich die Frauen zwar eher um Ernährung und Mode, die Männer mehr um Politik und Wirtschaft. Doch mit Naturwissenschaften und Geschichte beschäftigten sich alle gleichermaßen wenig. Nebenbei stellte sich heraus: Je mehr die Probanden Interesse für Chemie und Physik bekundeten, desto höher fiel ihr mit erhobener IQ aus. Das Umgekehrte galt für Mode-Fans beiderlei Geschlechts. So interessant das ist – die genaue Analyse dieser und anderer Untersuchungen zeigt: Verschiedene Interessen sind an den krassen Wissensunterschieden nicht schuld. Sie tragen zwar zu ihnen bei, aber nicht viel. Vielleicht lassen sich die bescheidenen Leistungen von Frauen in Wissenstests durch ein Phänomen erklären, das Psychologen „Stereotyp-Bedrohung“ nennen. Es könnte dazu führen, dass Frauen unter ihren Möglichkeiten abschneiden. Was damit gemeint ist, illustriert ein Experiment von Claude Steele aus dem Jahr 1999. Der Stanford-Psychologe und seine Mitarbeiter hatten Frauen und Männer mit einem schwierigen Mathematik-Test konfrontiert. Ergebnis: Die Frauen schnitten schlechter ab. Steele vermutete, dass sie nur von dem Klischee verunsichert waren, Frauen könnten keine anspruchsvollen mathematischen Aufgaben lösen. Beim nächsten Durchgang wurde den Frauen deshalb weisgemacht, dass der Test keine Geschlechtsunterschiede finde. Und auf einmal war es tatsächlich so. Das funktionierte allerdings nur bei Mathematik, nicht auf anderen Wissensgebieten. Der Effekt lässt sich sogar im Gehirn verfolgen, wie die Psychologin Anne Krendl von der Tufts University in Boston mithilfe eines Magnetresonanztomographen nachwies. Frauen, die an das Stereotyp über die mathematischen Fähigkeiten ihres Geschlechts erinnert wurden, aktivierten bei einem Kopfrechnen-Test („Ist 98 : 7 + 19 × 3 = 81?“) nicht die Hirnregionen, die bei Mathematik-Aufgaben normalerweise in Aktion treten. Stattdessen war ihr Gehirn damit beschäftigt, sich mithilfe des auf negative soziale Emotionen spezialisierten „ventralen anterioren cingulären Cortex“ in der Großhirnrinde mit der Situation auseinanderzusetzen. Das war eine heiße Spur. Also versuchten die Marburger Forscherinnen, jede Stereotyp-Bedrohung bei den Teilnehmerinnen ihrer Untersuchung auszuschalten. Sie versicherten den Versuchspersonen, bei dem anstehenden Wissenstest würden Frauen in der Regel besser abschneiden. „Ärgerlicherweise hat diese Ermutigung den Frauen nicht viel genützt“, sagt Jutta Margraf-Stiksrud. Dafür tat sich etwas bei den Männern: Sie wurden besser – und die Geschlechtsunterschiede waren so groß wie selten zuvor. „Scheinbar hat das eher die Männer herausgefordert, es den Frauen zu zeigen“, interpretiert Die Wissenschaftlerinnen versuchten es also mit einer anderen Idee. Wie sie aus der Gedächtnisforschung wussten, haben Frauen ein besseres episodisches Gedächtnis als Männer. Sie können sich also besser erinnern, was sie oder andere erlebt haben. Das ist nützlich beim Ehekrach („Du hast mir vor unserer Heirat versprochen …“), aber nicht bei den üblichen Wissenstests. Bei denen kommt es darauf an, unpersönliche Fakten hervorzukramen. Und dieses semantische Gedächtnis ist die Domäne der Männer. Deshalb stellt sich die Frage: Können Frauen aufholen, wenn ein Wissenstest verstärkt das episodische Gedächtnis anspricht? In einer Untersuchung wurden die Fragen entsprechend umformuliert. So hieß es beispielsweise statt „Wer entdeckte die Vererbungsgesetze?“ jetzt „Wer entdeckte die Vererbungsgesetze, indem er rote und weiße Blüten paarte?“. Und auf einmal verschwand der Wissensvorsprung der Männer. Die Frauen haben die Fakten also durchaus gespeichert – sie können sie nur nicht abrufen, wenn sie so trocken abgefragt werden wie bei einem Kreuzworträtsel. Aufholen konnten die Frauen auch bei emotional formulierten Fragen wie „Welche Wissenschaftlerin entdeckte das Radium, starb 1934 an Leukämie und wurde 1995 als erste Frau aufgrund eigener wissenschaftlicher Verdienste in das Pantheon in Paris überführt?“. Warum Frauen sich an Geschehnisse besser erinnern als an nackte Fakten, weiß niemand. Ein kanadisches Forscherpaar überlegte einmal, dass steinzeitliche Sammlerinnen sich vielleicht dadurch besser merken konnten, wo sie an Nüssen und Beeren vorbeigekommen waren. Aber das ist Spekulation. Wenn andere Forscher die Ergebnisse der Marburgerinnen bestätigen, kann die These vom miesen Allgemeinwissen der Frauen also zu den Akten gelegt werden. „Das war ein Ergebnis, das wir erhofft hatten“, kommentiert Jutta Margraf-Stiksrud. „Aber wir waren dann doch überrascht, nachdem wir schon so viele Nieten gezogen hatten.“ ...
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